"Hallo Magnus", sage ich. Zögerlich habe ich die Tür geöffnet. Zuerst wollte ich ihn nicht sehen, stand eine halbe Ewigkeit mit der Stirn gegen das kühle Glas der Tür gelehnt da und lauschte seinen Worten. Er sprach ruhig und dennoch laut genug, damit ich jedes Wort verstehen konnte. Magnus gab mir Zeit und ich glaube, ihm ist nicht einmal ansatzweise bewusst, wie viel mir das bedeutet. Mein Herz schlägt bis zum Anschlag und die verräterische Ader an meinem Hals pulsiert unablässig. Magnus lächelt mich liebevoll an. Mit der linken Hand balanciert er zwei Kartons von unserem Lieblingsitaliener. Ich kann die Schärfe der Salami und das verführerische Aroma der würzigen Tomatensauce bereits auf meiner Zunge schmecken. In der anderen Hand hält Magnus eine Flasche vollmundigen Rotwein und sein Telefon droht ihm aus den Fingern zu gleiten. Kurz beobachte ich den Weg des goldenen Gerätes welches langsam an dem dunklen Glaskörper der Weinflasche entlanggleitet.
"Gib mir das. Komme rein", sage ich kurzerhand und greife nach den beiden Pappkartons. Hitze empfängt mich und wieder einmal überrascht mich Magnus unerschütterliche Miene. Er sieht so aus, als komme er frisch und gutgelaunt aus dem Urlaub und hätte sich nicht durch den Dschungel von Alicantes Feierabendverkehr gequält, um dann heldenhafterweise zwei dampfend heiße Pizzakartons und eine Flasche Wein stundenlang zu balancieren.
"Lass uns schnell essen, bevor die Pizza kalt wird. Du weißt das ich kalte Pizza hasse. Ich soll dich von Giovanni grüßen. Er hat mich gefragt, ob bei dir alles okay ist. Ich habe ihm was von Stress und einer Diät erzählt. Natürlich hat er mir nicht geglaubt. Wie lange warst du nicht mehr bei ihm? Du gehst doch regelmäßig in seine Pizzeria um dir die lebensnotwendige Dröhnung Kalorien zu holen. Was ist los? Ach, weißt du was? Das erzählst du mir gleich. Und ich muss dir unbedingt von meinem letzten Elternabend erzählen. Das war so schrecklich. Ich saß drei Stunden zwischen frustrierten Helikoptermüttern und habe mir einen Vortrag über vegane Ernährung und wie wichtig es doch ist, dass unsere Kinder frei von dem tierischen Müll der Fastfood Industrie aufwachsen, angehört. Das Biobrokkoli unverzichtbar für das Hirnwachstum ist und nur Wasser aus den Quellen der Schweizer Alpen dafür sorgt, dass aus unseren Kindern die nächsten Einsteins und Bill Gates werden. Ich wurde in meinem Sitz immer kleiner und hoffte das niemand bemerkte, dass ich uns zum Abendessen eine große Portion gebratene Nudeln mit Schweinefleisch und als Nachtisch Schokoladeneis in der XXL-Familienportion geholt hatte. Ich liebe meine Nichte, die Kleine ist mein Engel und ich bin sehr gerne ihr Vormund bis mein Bruder seine derzeitige Behausung mit wunderschönen Stahlgardinen vor den Fenstern, wieder verlässt. Aber solch einen Elternabend überstehe ich nicht noch einmal. Wenn ich daran denke, dass ich fünf Jahre vor mir habe, ist der Gedanke mit meinem Bruder zu tauschen doch ganz reizvoll. Immerhin sehen wir beide gleich aus. Kein Wunder, gleiche Fruchtblase. Also Alexander, kommst du mich im Staatsgefängnis besuchen?"
Magnus redet ohne Punkt und Komma, läuft geschäftig zwischen meiner kleinen Küche und dem Wohnzimmer hin und her. Er holt zwei Teller aus dem Küchenschrank, stellt sie auf den kleinen Tisch neben die Weingläser, welche ich soeben aus dem Schrank neben der Tür zum Badezimmer geholt habe. Magnus verteilt Pizzastücke und ich höre einfach nur zu. So ist er. Magnus redet immer und überall, bringt jedes Eis zum Schmelzen und mit seiner witzigen charmanten Art, ist er ein gerngesehener Gast auf jeder Feier. Nicht umsonst ist Magnus Bane einer meiner besten Freunde. In seiner Gegenwart fühle ich mich wohl. Seine tiefe männliche Stimme verzaubert mich und der bronzefarbene Ton seiner Haut war schon immer ein Magnet bei vielen Männern.
"Danke", sage ich, setze mich neben Magnus auf das Sofa und lasse meinen Gedanken einfach freien Lauf. Er greift sich ein Stück Pizza, beißt genüsslich von dem vor Fett und Käse triefenden Teigfladen ab und verdreht stöhnend die Augen. In meinem Magen bildet sich ein fester Knoten und ich habe das Gefühl, mich jeden Moment zu übergeben. Viel zu sehr liegt mir mein Outing und die Tatsache, dass Magnus mich um ein Date bat im Magen. Schwer, tonnenschwer. Keine Armee Schmetterlinge, sondern ein bläulich-grauer Klumpen Osmium. Das schwerste und seltenste Metall auf unserem Planeten. Und genauso fühle ich mich. Schwer. Unsagbar schwer belastet. Wir müssen über so viele Dinge sprechen. Mein Herz ist nicht frei und meine Seele befindet sich irgendwo zwischen Akzeptanz und Angst.
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Kurzgeschichten
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