Nichts bleibt für die Ewigkeit

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Ziellos streifte Magnus durch die Stadt, betrachtete stumm den schmutzigen Asphalt unter seinen Füßen. Der Himmel über ihm war grau, bedeckt mit einem dunstigen Schleier, dessen Feuchtigkeit sich unangenehm und kalt durch die Kleidung auf seinem Körper arbeitete. Die Schritte seiner schweren Boots hallten an den Wänden der Häuserschluchten ab, dumpf und hohl dröhnten die Geräusche in seinen Ohren. Zu laut, es war alles zu viel, jedes Licht zu grell, Geräusche zu penetrant und schrill, bunte Farben schmerzten in den Augen und ihr Anblick weckte keinerlei Emotionen.

Hupende Blechlawinen verpesteten die reine klare Winterluft mit ihren Abgasen. Magnus verdrängte das aufkommende Gefühl schwindelerregender Übelkeit. Hastig eilten Menschen an ihm vorbei, ihre Gesichter spiegelten die Realität der heutigen Zeit wider. Nervosität, Unruhe, keine Zeit und der Adrenalinspiegel mit den Stresshormonen Glucocorticoide, Noradrenalin und Dopamin beunruhigend hoch. Jeder zweite von ihnen stand kurz vor einem Herzinfarkt, jeder Zeit, an jedem Ort. Früher, Jahrhunderte vor dem heutigen Tag, liebte Magnus das pulsierende Leben in den Straßen von New York. Es gab keinen Tag der Ruhe, keine Party, die er mied. Magnus war der strahlende Mittelpunkt, sobald er den Raum betrat und genoss sichtlich die Aufmerksamkeit unzähliger Damen und auch die der Herren.

Heute glich der Gedanke an eine Party dem Abstieg in den neunten Kreis der Hölle. Er konnte sich nichts Quälenderes vorstellen als fröhlich feiernde und ausgelassen lachende Menschen um sich herum. Laute Musik und tanzende schwitzende Leiber, welche sich aufreizend an ihm rieben. Nein, nie wieder würde er dabei das elektrisierende Kribbeln in seinen Fingerspitzen spüren. Eiskalte Schauder liefen über seine Haut, zitternd schlang er die Arme um seinen Körper. Er brauchte Halt und krallte die von der eisigen Kälte steifen Finger in den kratzigen Stoff seines Mantels.

Glitzernde Sterne fielen aus den grauen Wolken, kamen auf seinem Haupt zur sterbenden Ruhe. Tod, ein stetiger Begleiter in seinem immerwährenden Leben. Die Unsterblichkeit machte einsam, den Kopf chaotisch und das Herz brüchig. Eine Landkarte mit himmelhohen Bergen und abgrundtiefen Schluchten, verästelte Flusslinien und weite karge Ebenen zierte die Oberfläche des pulsierenden Muskels in seiner Brust. Magnus lebte schon so lange in dieser Welt, er bereiste Länder, die heute nicht mehr existierten. Ihre Erinnerungen sind Staub und der Wind der Zeit trieb sie hinfort. Geliebte Menschen wurden alt und älter. Manche Seelen klammerten sich verzweifelt an das Leben, Frauen trotzten der Prozedur der Reifung und sahen auch mit 128 Jahren noch genauso schön wie mit Anfang 20 aus.

Doch nichts war für die Ewigkeit, das musste Magnus bereits früh schmerzlich erkennen. Kein Mensch war unsterblich, der Tod kam immer mit langen düsteren Schatten, legte seinen Mantel schützend um die sterbliche Hülle und ließ nichts als pure Verzweiflung zurück. Bei jedem Abschied schmerzte Magnus Körper und nie hätte er geglaubt, dass er eines Tages daran zerbrechen würde. Doch der Tod seines geliebten Mannes war der Beginn von einer Kette unsäglichen Leides.

Es war Sommer und die Stadt stank nach Tod und Verderben. Magnus spürte eine Veränderung in den Auren der Menschen um ihn herum. Nervös blickte er in vertraute Gesichter und sah die gleiche Erkenntnis in ihren Augen. Sie wussten es, sie alle und niemand konnte den Lauf der Dinge aufhalten. Menschen starben, ihre Zeit auf dieser Erde war begrenzt. Niemand kannte den Tag, an dem Gevatter Tod düster und verheißungsvoll seine eiskalten Hände auf die Schultern der Menschen legte. Magnus wusste immer, dass dieser Tag kommen würde, irgendwann und er rechnete damit, dass es bald geschah. Schattenjäger starben jung, mitten in der Blüte ihres reinen, vom Erzengel gesegneten Lebens. Sein Schattenjäger hatte die Zeit überlistet, irgendwie und Magnus wagte nicht danach zu fragen. Alexander alterte nicht, blieb der wunderschöne junge Mann mit den eisblauen Augen und chaotischen schwarzen Haaren.

Das Leben an seiner Seite war gefährlich und sinnlich. Alexander war voll von jungenhafter Energie, Leidenschaft, Kraft und Magnus genoss jede Sekunde mit seinem Herzensmenschen. Er konnte sie nicht aufgeben, auch wenn es ihn innerlich zerriss. Jeder Tag war eine Qual, das Herz in seiner Brust schlug schon lange nicht mehr in dem stetigen Takt. Sein Herz liebte einen Mann, es wollte nur ihn. Die Liebe bleibt, egal was passieren würde. Das wusste Magnus immer, von dem Moment ihrer ersten Begegnung an. Gefangen im permanenten Kampf um Gerechtigkeit und Freiheit, hielten sie aneinander fest und schworen sich ewige Treue und Liebe. Der Erzengel war ihr Zeuge und nach all den Jahren der Trauer und des Hasses, war es ebendieser Himmelsbote, welcher Magnus letzte Hoffnung war.

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