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Fast ein ganzes Jahr hatten sie Sunja bei sich versteckt. Die Menschen hatten irgendwann die Suche aufgegeben, blieben dennoch wachsam. Gerüchte waren im Umlauf, dass sie einen Ausweg gefunden oder sich einfach weggezaubert hatte, mit ihrer Teufelskraft natürlich. Sunja bekam Essen, Trinken und einen Schlafplatz von ihnen. Und was am wichtigsten war: Sicherheit. Zu Hanes hielt sie immer noch Abstand, aber sie verstand sich wirklich gut mit Jonas. Eines Tages ging Sunja an die Feuerstelle, da es fast erloschen war. nur noch die Glut leuchtete auf. So wie damals, als die Stimme zu ihr sprach. Sie versuchte ein Stück Holz in Flammen auffunken zu lassen, doch da erschrak sie vor einem Funken, der zu nah an ihre Haut kam. Das Holzstück fiel zu Boden, dich der Funke fiel auf die Glut. Ein Flammenspiel wurde entfacht. Dieses Jahr über hatte sie immer weniger das Mädchen beobachtet, doch da sah sie etwas in den Flammen. Das Spiel zeigte feurige Haare. Sie sah eine Kreatur, wie die, die sie in der Höhle gesehen hatte. Das Mädchen floh davor. Sie war in großer Gefahr. Sunja wusste, dass sie aufbrechen musste. Sie hätte schon viel früher aufbrechen sollen. Schnell stand sie auf und zog sich einen Mantel über. Sie suchte Proviant zusammen, allerdings nur so wenig, dass die Jungs genug übrig haben würden und sie selber genug um über einen kleinen Zeitraum zu überleben. Nun musste sie nur noch einen Weg hinaus finden, doch ehe sie das konnte, wurde sie von Hannes und Jonas bemerkt, die von ihrem Weg vom Markt zurück kamen. "Sunja! Was machst du da? Willst du gehen?" Sie drehte sich erschrocken zu Jonas um. "Ich muss hier weg."
"Warum denn? Du bist hier sicher. Wenn sie dich sehen, dann werden sie dich töten."
"Dann muss ich eben vorsichtig sein. Aber ich muss unter allen Umständen gehen."
"Und wohin?"
"So genau weiß ich das nicht. Aber ich muss unter allen Umständen hier weg."
"Warum so plötzlich?"
"Es ist gar nicht so plötzlich. Ich hätte bereits vor einem Jahr hier verschwinden müssen. Es kam nur leider nicht so weit. Ihr wisst ja, warum." Betrübt sah sie zur Seite. Hannes mischte sich ein, der bis dahin ganze Zeit nur am Türrahmen gelehnt hatte und sie monoton beobachtete. Seine Blicke fühlten sich wie kleine Haken an, die sich immer tiefer in ihr innerstes bohrten. "Und da hattest du nicht mal vor uns zu verabschieden und bestielst uns lieber?"
"Nein, so war das nicht gemeint. Aber ich muss dringend los. Ich habe etwas gesehen, das nicht noch länger auf sich warten lassen kann."
"So, so. Aber ist dir klar, was mit den Menschen hier passiert, wenn du gehst?"
"Nein. Und es interessiert mich auch nicht. Diese Menschen haben mich schon immer verachtet und wollten, dass ich sterbe. Sollen sie zusehen, was sie ohne mich sind."
"Können sie nicht, weil sie sonst tot sind."
"Dann ist es eben so. Ich habe wichtigeres zu tun, als mich zu verstecken, um dann vielleicht doch irgendwann gefunden und getötet zu werden."
"Ganz schön egoistisch von dir."
"Egoistisch von mir? Sie werden so oder so sterben, da werde ich wenigstens mich selber retten und das Mädchen in den Flammen." Jonas lief zu ihr. "Mädchen in den Flammen?"
"Ich habe keine Zeit mehr. Ich muss los." Sunja lief an ihm vorbei und wollte ebenfalls an Hannes vorbei, doch er stellte sich ihr in den Weg. Er kam mit seinem Gesicht näher an ihres. "Dann kannst du ja nochmal meine Frage von zuvor beantworten: Wie willst du hier raus?"
"Ich suche einen Weg und jetzt lass mich durch." Sie versuchte ihn wegzudrängen, doch er packte sie nur und drückte sie an die Wand. Mit einem bösen Blick sah sie in an. "Was soll das?"
"Du kannst auch einfach nett bitten."
"Warum? Ich habe keine Zeit dafür und du bist mir extra in den Weg gegangen, warum soll ich da noch nett bitten, dass du weggehst?" Jonas merkte recht schnell, dass da etwas seltsames zwischen den beiden entstand, weswegen er schnell dazwischen ging. "Wenn du schon gehen willst, dann nehmen wir dich einfach mit oder halt du uns. Also wir begleiten dich einfach." Verwundert sah Sunja die beiden an. "Wirklich?"
"Ja. Wir mögen dich, da können wir dir auch helfen. Und deine Meinung werden wir sicher auch nicht ändern können. Aber ich habe auch nicht vor, hier zu sterben. Also komme ich mit." Sunja sah etwas in Hannes Augen aufblitzen. "Dann komme ich auch mit." Er grinste breit und stieß sich von der Wand ab, dass Sunja wieder frei von ihm war, da er seine Arme von beiden ihren Seiten abgestemmt hatte, damit sie nicht weggehen konnte. "Dann packen wir mal noch schnell unsere Sachen zusammen und dann sind wir auch schon auf und davon." Sunja wartete kurz, ging nochmal sicher, dass sie selber auch alles hatte, da kamen die Jungs auch bereits zurück. "Du solltest dir besser einen Umhang umlegen", meinte Jonas, doch Hannes war schneller. Mit einem kurzen Überwurf, hatte Sunja bereits das große Stück Stoff über ihrem Kopf. Etwas überrumpelt packte sie es und richtete es. Böse sah sie ihn an.
Das kann ja noch was werden, mit diesem Idioten.
Langsam schlichen sie nach draußen. Sunja bedeckte sich so gut sie konnte und hoffte, dass sie niemand entdecken würde, denn wenn das geschehen würde, dann wäre alles aus. Eine Stimme begrüßte sie. Sofort zuckte Sunja zusammen und griff erschrocken nach einer Hand vor ihr, zu ihrem Bedauern war es Hannes Hand. Grinsend sah er sie an. "Was denn, so schreckhaft? Denk dran, Sonnenschein, du wolltest hier weg."
"Aber auch nur, weil es meine Aufgabe ist. Ich habe eine Bestimmung zu erfüllen."
"Eine Bestimmung. So, so. Das ist es also, wie du dieses plötzliche Verschwinden nennst."
"Psst. Nicht so laut, sonst hört uns vielleicht noch jemand." Verunsichert sah sie sich um, doch niemand schien sie zu beachten. "So große Angst? Soll ich deine Hand halten, bis wir draußen sind?" Erst da bemerkte sie, dass sie immer noch seine Hand hielt. Schnell ließ sie von ihm ab. Da merkte sie auch schon, wie nah sein Gesicht an ihrem war. Sie lief an ihm vorbei und beschleunigte ihren Schritt. "Was denn? Eingeschnappt?" Jonas mochte die Stimmung zwischen den beiden nicht. Er mochte Sunja und er glaubte, dass sich zwischen Hannes und ihr vielleicht mehr entwickeln könnte. Er konnte ja nicht wissen, dass ihr Herz bereits an eine andere Person mit wunderschönem Feuerhaar vergeben war. Sie selber wusste es ja auch noch nicht wirklich. "Hey, Sonnenschein, lauf doch nicht so schnell. Wo willst du überhaupt hin?" Hannes lief ihr schnell nach, um den Abstand aufzuholen, der zwischen ihnen entstanden war. "Den Ausgang von dieser verdammten Höhle suchen." Sie drehte sich um, da sah er ihre Augen hell erleuchten. Er war fasziniert von diesem Anblick, so sehr, dass er kurz stehen blieb und zu grinsen anfing. Zum Glück hatten sie zu dem Dorf einen recht guten Abstand gewinnen können, dass niemand in ihrer Nähe war, um es zu sehen. Jonas kam auch noch schnell und sah es ebenfalls. "Wow, unglaublich", sagte er. Sie sah die Blicke der beiden. Ihre Faszination ließ sie sich unwohl fühlen, weswegen sie sich schnell umdrehte und weiter lief. Sie hatte ihre Kräfte eingesetzt, um einen Weg nach draußen zu finden. Es war Tag, aber in der Höhle bekam man davon nicht viel mit. Sie versuchte durch das Licht von draußen einen Ausgang zu finden, der sie in die Höhle führte und von ihrem Standpunkt aus nach draußen. "Ich hab was." Sofort rannte sie los. Steine versperrten ihr den Weg, doch schnell warf sie sie zur Seite. Sobald die Mauer, die ihren Weg versperrt hatte, beiseite geräumt war, rannte sie weiter. Sie war noch nie außerhalb der Höhle gewesen. Aufgeregt stürmte sie los, mit den Jungs im Schlepptau. Sunjas Herz fing an schneller zu schlagen und dann spürte sie es, zum ersten Mal in ihrem Leben: Sonnenstrahlen auf ihrem Körper. Das Licht schien sie mit einer ihr unbekannten Kraft zu füllen, die bis dahin versteckt blieb. Wie konnte nie zuvor jemand diesen Ausgang gefunden haben? "Unglaublich. So sieht also die Sonne aus. So sieht draußen aus." Jonas sah sich voller Freude um. Sunja fing an sich im Kreis zu drehen. Die Sonne füllte sie mit einer bis dahin unbekannten Freude. Jonas sah ihr mit genauso einer Freude dabei zu. Ihre Haare schimmerten in dem Licht. Ein Glanz, den er noch nie gesehen hatte, so wie sonst auch niemand in der Höhle. Hannes staunte auch nicht schlecht, doch er beruhigte sich recht schnell wieder und fing wieder mit seiner üblichen Neckerei an. "Hey, Sonnenschein, ist ja schön, dass du jetzt deines Gleichen gefunden hast, aber kannst du jetzt mal aufhören so rumzutänzeln? Du hattest es doch so eilig an einen gewissen Ort -oder eher zu einer gewissen Person- zu kommen." Sunja stoppte in ihrer Bewegung. Gerade hatte sie noch so ein unglaubliches Glück gespürt, doch bei ihm wurde sie sofort genervt. "Warum bist du so?", fragte sie ihn. Sie war mehr als genervt. Zum ersten mal sah sie die Sonne und dann war da einer wie er und ruinierte ihr alles. Ein breites Grinsen umspielte seine Lippen. "Wie bin ich denn?"
"Einfach unausstehlich!"
"Unausstehlich oder unwiderstehlich?"
"H e if " Sein Blick und seine Frage überrumpelten sie ein wenig. Sie zog ihre Augenbrauen zusammen und zog ihren Kopf unverwandt nach hinten. "Unausstehlich! Wie eingebildet bist du eigentlich?"
"Nicht sonderlich, mir wurde nur immer wieder gesagt, wie toll ich bin. Da wollte ich nur sicher gehen, dass ich mich nicht verhört habe." Sunja verdrehte ihre Augen.
Wie kann jemand nur so arrogant sein?
Sie konnte bei ihm nur mit ihrem Kopf schütteln. Einer wie er würde für sie niemals Sinn machen. "Wenn du unbedingt darauf bestehst, dann lass mich gucken, wo sie sein soll."
"Nur zu, lass dir ruhig Zeit. Wir haben ja genug davon, wie es mit deiner Freundin -oder was auch immer- es aussieht, das kann ich dir nicht sagen." Sunja glaubte, dass jeden Augenblick eine ihrer Adern platzen könnte, so sehr nervte er sie bereits. Als sie in dem Haus versteckt gelebt hatte, da sah sie ihn weniger, er sprach weniger und machte einen genervteren Eindruck. Aber nun war es sie, die genervt war. Er sprach viel mehr, war aufmüpfiger und auch aufdringlicher. Er kam ihr so nah -zu nah. Sie mochte seine Nähe nicht. Aber sie wollte sich auch nicht zu sehr auf ihn konzentrieren oder von ihm ablenken müssen. Sie sah einfach nur in die Sonne, sah sich Bilder in dem Licht an. Da war wieder dieses Mädchen. Sie sammelte irgendwas im Gestrüpp, irgendwelche Pflanzen und Beeren. Sie sah den Weg, sah die unendliche Weite, die sie auf sich nehmen musste, um zu ihr zu gelangen. Sie würde auch an einen Ort gelangen, der ihr Unbehagen bereitete. Ein böser Ort. Ein gefährlicher Ort. Sie würde auch ohne diesen Ort noch vielen Gefahren ins Auge blicken müssen. Wann würde sie da nur das Mädchen erreichen? Sie sah eine Frau aus einem kleinen Haus kommen. Diese Frau, sie hatte sie einst gesehen. es war an einem Tag, wo sie das Mädchen wieder beobachtet hatte. Das Mädchen hatte einen Mann umgebracht, der sie angreifen wollte. Mit einem merkwürdigen Ausdruck im Gesicht, sah die Frau zu ihr. Sah sie das Licht von Sunja? So musste es sein, denn sie sagte ihr, dass sie sie beschützen solle. Dasselbe sagte auch die Flamme, mit derselben Stimme. Aber woher wusste die Frau von ihr und wie konnte sie ihr Nachrichten geben, wenn sie nur eine Blutzauberin war? Das würde sie diese Frau fragen können, wenn sie sie kennenlernen würde. Für den Augenblick öffnete sie ihre Augen, drehte sich zu Jonas und Hannes um -mit ernsten und festen Blick- und sagte sie erstmal: "Ich weiß jetzt, wo wir hin müssen."

LichtzauberWo Geschichten leben. Entdecke jetzt