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Langsam lief sie die Treppe hinauf. Hass spürte sie in ihrem Innersten. Hass und Was war dieses andere Gefühl? So hatte sie noch nie gefühlt. Sie verstand es nicht, aber sie empfand dieses Gefühl als äußerst böse. War sie damit böse? Hatten diese Menschen vielleicht recht? Nein, diese Menschen waren böse. Diese Menschen machten sie böse. Man erntet, was man säht. Sie sollten nun dasselbe tun. Es wurde heller, bis sie oben ankam, wo die Wachen sich an einem Würfelspiel erfreuten. Erschrocken wichen sie zurück, als sie das Mädchen sahen. Sie hatten so eine dunkle Aura gespürt, doch als sie dann sahen, dass es nur dieses Mädchen war, lachten sie. "Nur dieses Mädchen", lachte einer der Männer. Sie kam etwas näher, da merkten sie, dass sie anders war und ihnen fiel auch wieder ein, dass sie eigentlich in Ketten liegen müsste. Sie sahen "Was machst du hier? Du müsstest in einer Zelle unten im Verließ stecken."
"Da steckt jetzt jemand anderes." Der Mann zückte sein Schwert, als er das hörte und lief auf sie zu. Seine Unsicherheit war wie weggeweht. Sie hatte sich nur überlegt, wie sie aus ihrer Zelle kam, was danach kommen würde, das hatte sie nicht bedacht. Sie hätte gerne einen Zauber gegen ihn angewandt, doch hatte sie immer nur für das Gute gekämpft, nicht um einen Menschen umzubringen oder zu verletzen. Also wusste sie auch nicht, was sie in diesem Moment gegen den Mann tun sollte. Er packte sie hart am Arm, dass sie schmerzhaft aufschrie. "Du kommst jetzt mit." Er brachte sie aus dem Haus, in eine große Halle, die Halle, in der gerichtet wurde. Einer der anderen Männer lief in das Dorf und berichtete den Vorfall. Sofort kam der Richter mit ein paar anderen Leuten. Der Wachmann, der das Mädchen hatte, war derweilen dabei sie zu ihrer Anklagestelle zu bringen. Sie wurde gefesselt und auf den Boden geworfen. Der Rest traf ebenfalls ein und setzte sich an die ihrigen Plätze. "Das Hohegericht ist soweit, mit dem Verhör gegen Sunja -dem Hexenmädchen- zu beginnen." Mit seinem hölzernen Hammer schlug er auf seinen Tisch. In Sunja kam wieder die Angst zurück, ihre Verunsicherung wuchs. "Sucht sie nach Hexenmalen ab. Reist ihr die Kleider runter und seht nach." Der Richter machte ein Handzeichen, um zu bestätigen, was er verlangte. Seine Miene hätte nicht ausdrucksloser, wenn nicht sogar desinteressierter sein können, doch Sunja sah etwas in seinen Augen aufblitzen, was sie nicht mehr als irgendetwas anderes hätte anwidern können, in diesem Moment. Dieser Mann wollte sehen, was unter ihrem einst weißen, aber von der Zeit in der Zelle grau und dreckig gewordenes Kleid ruhte. Sie wurde auf viele Arten erniedrigt, aber auf diese würde sie sich nicht erniedrigen lassen. Sie würden sie eh zum Tode verurteilen. Die Männer würden sie ungekleidet sehen wollen. Sie war sich ihrer Schönheit äußerst bewusst. Und sie war sich bewusst, dass alle Männer in diesem Saal, sie vergewaltigen wollten. Aber sie war nicht mehr so schwach, wie sie glaubten. "Fasst mich an und ich verfluche euch! Ich weiß, dass ihr mich ohne hin umbringen wollt. Wozu noch so tun als ob? Ihr wollt sehen, was unter meinem Kleid ist, doch das werde ich nicht zu lassen. Ihr habt vor mich als Sünderin und Teufelsweib zu verurteilen. Aber denkt mal daran, was ihr gerade vorhabt. Ich seid die Sünder, nicht ich. Aber Gott wird schon über euch richten. Er wird euch vernichten. Er wird euch in die Hölle schicken. Da werdet ihr für eure Sünden schon büßen ihr-"
"Schweige still, du ungehobeltes Weib! Du hast genug Schändlichkeit von dir gegeben. Wir sind keine Sünder. Wir richten, was zu richten ist. Gott sagte mir meine Berufung. Und meine Berufung ist es, dich -Hexe- zu verurteilen. Du hast für deine Sünden zu sterben."
"Versucht nicht Gott zu nutzen, um eure Sünden reinzuwaschen, denn das werden sie nicht. Eure Sünde ist zu groß. Habt gefälligst Eier in der Hose und steht für Eure Vergehen selber ein, als den Herren vorzuschieben." Dem Richter schien beinahe der Kopf zu platzen, so rot war er. Eine dicke Ader pulsierte auf seiner Stirn. Eine gewisse Genugtuung verschaffte Sunja dieser Anblick schon. "Los! Entkleidet sie endlich! Soll sie ihre Scham anderweitig präsentieren und uns zeigen, dass sie auch gehorchen kann." Er stellte sich schon vor, was sie tun würde. Wie sie flehen würde. Wie sie da ohne etwas vor ihm stehen würde, so wie Gott sie geschaffen hatte. Nein, das würde er nur für sich haben wollen. Einer der Männer lief bereits grinsend auf sie zu und packte ihr Kleid. Er wollte es aufreisen. Auch er wollte sehen, was sie unter ihm befand. "Wartet! Ich habe es mir anders überlegt. Vielleicht hilft ja ein einfaches Gespräch. Bringt sie in mein Zimmer." Enttäuscht ließ der Mann wieder von ihr ab und nickte nur. Er zog sie an ihrem Arm hoch und brachte sie in das Zimmer des Mannes. Sobald der Richter in den Raum trat, befahl er Wachen vor der Tür zu postieren, danach schloss er hinter sich die Tür. Immer noch war ein Seil um ihre hinter den Rücken gelegten Arme gebunden, doch sie schaffte es unbemerkt, das Seil ein wenig zu lockern. Nun, da sie mit dem Mann alleine war, konnte sie sich irgendwie einen Weg hinaus finden. Der Mann sah sie an, voller Begierde. Sie schritt rückwärts. Was er vorhatte Sie war keine Hure, sie war keine Hexe, sie war nicht das, was er sie zu machen wollte. Sie sah sich um. Auf einem Tisch fand sie einen Kerzenständer, schnell huschte sie hinüber und streifte sich das Seil ab. Der Richter fing zu lachen an. "Glaubst du wirklich, dass du mir so schnell entkommen könntest?"
"Ja, das glaube ich. Denn ich glaube, dass ihr Männer viel zu überheblich seid. Ihr glaubt ihr wärt etwas besseres, doch das stimmt nicht. Euer Übermut macht euch blind und unsicherer. Das lässt eine Frau besser davonkommen, denn wer unsicher ist, der zeigt auch mehr Schwachstellen."
"Und ihr Frauen, ihr redet zu viel." Schnell stürzte er sich auf sie. Er wollte sie nicht länger reden hören. Er wollte sie stöhnen hören, sie sehen, wie sie war, sich in ihr spüren. Doch sie sollte recht behalten. Mit einem harten Schlag auf seinem Kopf, fiel er blutend zu Boden. Er ließ ein leises Stöhnen von sich, dann ein Krachen auf den Boden. Tot war er wohl nicht, aber eine Gehirnerschütterung würde er wohl doch von sich tragen. Als wäre er ein Stück Dreck, spuckte sie auf ihn. Ja, wie Dreck. In ihren Augen war er mehr als das. Ein lüsterner Widerling, der sich als Mann Gottes bezeichnete, seine Position aber nur für seine eigenen Gelüste ausnutzte. Wenn er tot wäre, dann wäre die Welt sicher ein besserer Ort, aber sie war nicht so wie er -wie diese Menschen- sie tötete Menschen nicht einfach so. Wenn es so wäre, dann nur weil es ein Versehen war. Sie ging an das Fenster und versuchte es, so leise wie nur möglich, zu öffnen. Ihr war klar, dass jeden Augenblick jemand die Tür aufbrechen würde. Dieser Mann hatte es verdient. Er hatte auch noch geglaubt, dass sie sich nicht hätte wehren können, weil sie ein Mädchen war. Dieser Kerl war zu überheblich. Schnell kletterte sie raus, gerade rechtzeitig. Sie hörte unruhige Stimmen von draußen und die Tür sprang auf. Sie ließ sich nach unten fallen. Gesehen wurde sie dabei zu ihrem Glück nicht. Sie duckte sich so weit unter den Rand des Fensters, dass nicht einmal der Ansatz ihres Haares zu sehen war. Dafür konnte sie aber lauschen, was die Männer sagten. "Der Obersterichter ist verletzt! Holt einen Medicus!"
"Wo ist das Mädchen?"
"Ich weiß nicht. Schlagt Alarm. Findet das Mädchen!" Sie wollte noch mehr lauschen, doch da presste sich eine Hand auf ihren Mund, die sie am losschreien hinderte. Ein Junge war neben ihr. Sein Zeigefinger hielt er vor seinen Mund und machte ein Geräusch, um ihr zu deuten, still zu sein. Leise sagte er zu ihr: "Komm mit, ich bin hier, um dir zu helfen. Mein Freund wartet auf der anderen Seite auf uns. Wir beide wollen dir helfen."
"Warum?"
"Weil wir es ungerecht finden, was mit dir gemacht wird. Wir wissen, was dein Zauber bedeutet. Wir brauchen ihn, damit uns die Schatten nicht holen, aber wenn sie dich jetzt töten, dann töten sie auch uns."
Kann ich ihm wirklich vertrauen? Hier kann ich doch niemandem trauen. Alle wollen mich töten. Aber er wirkt anders, seine Worte sind anders und er wollte mir noch nie etwas böses. Ich kenne diesen Jungen und ich kenne auch seinen Freund. Beide haben braunes Haar und braune Augen. Der eine helleres, der andere dunkleres. Aber sie sahen mir beide nie böse gesonnen aus. Aber ich habe noch so viele Fragen.
Sie wurde an ihrem Handgelenk gepackt, bevor sie auch nur noch einen weiteren Gedanken fassen konnte. "Komm mit, ehe sie uns noch entdecken." Er zog sie hinter sich her und versuchte dabei immer möglichst gedeckt zu bleiben. Er zog sich seinen Umhang aus, den er bis dahin getragen hatte, und warf ihn Sunja um. "Bedecke dich damit. Bei mir wird niemand verdacht schöpfen -bei niemandem. Es glaubt keiner, dass es auch Leute gibt, die dir nichts böses wollen." Sunja wusste nicht, was sie davon halten sollte. Unauffällig kamen sie an einem Haus in einer der hinteren Ecken der Höhle an, wo sich sonst niemand hinwagte -wegen der Dunkelheit, weil es da nichts zu sehen oder holen gab und weil es als eine Art Slum angesehen wurde, ein Ort, an dem nur die Leute lebten, die ohne hin nichts hatten. Solche wie Waisenkinder. Ein Junge riss schnell die Tür auf. "Da bist du ja. Ich dachte schon, du hättest sie nicht befreien können."
"Alles ist in bester Ordnung gelaufen. Sie ist aus dem Fenster gesprungen, als ich reingehen wollte."
"Dein Glück erstaunt mich immer wieder."
"Deswegen gehe ja auch immer ich auf solche Missionen und nicht du."
"Jaja und jetzt kommt schnell rein, bevor euch noch jemand sieht." Der Junge mit dem dunkleren Haar zog Sunja in das kleine Haus. Sie gingen an eine Feuerstelle. Sunja wurde von dem Jungen losgelassen, der ihr deutete, sich mit zu ihnen ans Feuer zu setzen. Sie sagte nichts, setzte sich einfach hin und ließ sich die Geschehnisse noch einmal durch ihren Kopf gehen. "Wie geht es dir?", wollte der Junge mit den hellen Haaren wissen. "Haben sie dir etwas angetan? Bist du hungrig oder irgendwas anderes?" Sunja sah zu ihm auf. "Nein. Mit geht es gut. Danke. Aber, wer seid ihr eigentlich und warum habt ihr mir geholfen?"
"Das habe ich dir doch bereits gesagt", mischte sich der dunkelhaarige ein. "Wenn du stirbst, dann sterben wir auch. "Ja, aber die anderen sehen das nicht so. Es muss einen genaueren Grund geben, warum ihr das anders, als die anderen seht." Sie sah beide Jungen abwechselnd an. Zuerst sahen sich die Jungen an, doch dann fing der hellhaarige an zu sprechen: "Ich hatte einmal einen kleinen Bruder, er war auch wie du. Weißes Haar und leuchtend helle blaue Augen. Meine Mutter hatte seinen Anblick nicht ertragen können, weswegen sie ihn erstickte. Er war noch klein. Sehr klein. Hatte gerade mal seine großen Äuglein öffnen können. Hätte er schreien können, dann hätte er es sicher. Hätte man ihn gehört, dann wären sicher viele gekommen, um ihn zu retten, aber hätten sie gesehen, was er ist, wären alle wieder gegangen und hätten so getan, als wäre nie etwas geschehen." Sunja sah ihn schockiert an. Der Gedanke, dass eine Mutter ihr eigenes Kind umbringen könnte, verstörte sie zutiefst. "Und bei mir ist es ganz ähnlich, nur war es bei mir eine Schwester, die etwas älter war. Und sie wurde nicht von meiner Mutter, sondern von meinem Vater umgebracht." Sie konnte nicht verstehen, wie jemand so grausam zu den eigenen Kindern sein konnte. Sie verstand allgemein nicht, wie jemand so grausam sein konnte. "Wie heißt du eigentlich? Wie heißt ihr beide? Diese Frage habt ihr mir noch nicht beantwortet." Der dunkelhaarige sagte: "Mein Name ist Hannes und das da ist Jonas. Und wie heißt du? Dein Name kam in diesem Dorf nie zur Geltung. Du und deine Familie, ihr wart immer nur die Hexen, Satansweiber und was weiß ich noch alles, aber eure Namen, die wurden nie benutzt."
"Mein Name ist Sunja."
"Seltsamer Name. Noch nie gehört. Aber passt wohl zu dir, so besonders wie du." Sie wusste nicht wie sie Hannes sein Lächeln deuten sollte, aber irgendwas in ihnen blitzte auf, was ihr nicht gefiel. Jonas dagegen schien ein wirklich sanfter Junge zu sein. Sie sah von Hannes weg, sein Blick schien sie gleichzeitig zu zersetzen und zu verschlingen. In seiner Gegenwart fühlte sie sich unwohl. Warum, das konnte sie sich selber nicht richtig erklären, immerhin hatte er sie gerettet. Aber irgendwas an ihm, ließ sie erschaudern. Sie wusste, dass sie zu ihm besser Abstand waren sollte.

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