Kapitel 3 - ... und Zorn

141 15 12
                                    

Flammen die vor Zorn entfacht, erste Funken grosser Macht.
Vergessen im Ertrunk'nen Wald, das Portal, ein schmaler Spalt.
Die Liebe auf den ersten Blick, das Schicksal dreht dir einen Strick.
Der Spinne Worte sind Gesetz. Auch die Raben geh'n ins Netz.


~Sabrina~
16. Juli 2019 – Wolfsbach, Deutschland, Modo

Es war etwas über zwei Wochen her, seit die Geschwister wieder in ihr Feriendomizil bei Onkel Samson eingezogen waren. Dies war eigentlich der Zeitraum, wenn Mile sich im Anwesen zu langweilen begann. Für ihn war das Spannende, was es hier zu machen gab, unterdessen meist abgehakt. Zu Hause in Berlin lebten seine Freunde, es war nur ein Katzensprung zum Skaterpark und ansonsten boten Kinos, Bibliotheken und Sportanlagen weit mehr Unterhaltungsangebote als das Anwesen. Und Wolfsbach, das nahegelegenste Kaff, war nun einmal ein Kaff.

Sabrina machte das alles nichts aus. Sie hatte keine Freunde. Und überhaupt, sie mochte es sowieso lieber, allein und für sich zu sein... Ausser wenn sie Zeit mit Mile verbrachte.

Zu ihrem Glück liess Miles Langeweile dieses Jahr auf sich warten. Tatsächlich war er voller Tatendrang. Gestern war es ihm sogar endlich gelungen, Aradia Tallo davon zu überzeugen, sie im alten Kram ihrer Eltern auf dem Dachboden herumstöbern zu lassen. Besagte Hinterlassenschaften standen nämlich im Südflügel des Anwesens – dem Teil, den die Hausherrin schon seit ihrem ersten Besuch als privat und für die Beltrans Tabu erklärt hatte. Deshalb hatte sie sie sogar bis zur Treppe zum Dachboden eskortiert und sie während ihres Suchens nicht aus den Augen gelassen.

Es war komisch gewesen, in den Sachen ihrer Eltern zu wühlen. Vieles hatte Sabrina seit des Todestags von Eira und Ignatzius Beltran nicht mehr gesehen. Einerseits war es schön, all diese Dinge wieder vor sich zu haben, die alten Möbel, das bequeme Ledersofa, die vielen Spiegel, die ihre Eltern gesammelt hatten... Andererseits stimmte es Sabrina auch traurig. Mile hatte es vor allem aufdrehen lassen. Wie in einem Flipperautomaten war ihr hyperaktiver Bruder über den Dachboden gejagt, hatte regelrechte Staubwolken aufgewirbelt und jede Schublade und Kiste durchwühlt, die er fand.

Sabrina hatte dabei einige Erinnerungsstücke ihrer Sammlung hinzufügen können. Das Schachspiel ihres Vaters, ein Kissen ihrer Mutter, das noch immer nach ihrem Parfüm roch, und ein altes Fotoalbum. Etwas, was ihnen Aufschluss über die seltsamen Geschenke ihrer Eltern geben könnte, hatten sie jedoch nicht gefunden. Aber irgendwie wollte Sabrina sich nicht damit abfinden. Da musste mehr dahinter stecken! Herrjeh oder sie war mal wieder ganz und gar im Bann ihrer Paranoiden Schizophrenie...

Was auch immer sie diese Ferien so unruhig machte und ihr beinahe jede Nacht den Schlaf raubte, Mile hatte wohl andere Gründe, warum er sich nach diesen zwei Wochen nicht schon zurück nach Berlin sehnte. Er hatte Sabrina von seinem Plan erzählt: Da er vor über einem Monat 18 geworden war, wollte er endlich Tanja auf ein Date einladen. Vielleicht in eine Bar oder ein Restaurant, er war sich wohl noch nicht sicher.

Zwar wünschte Sabrina ihrem Bruder alle Liebe auf der Welt, jedoch gab sie ihm auch den Rat, mit einem Korb zu rechnen. Einerseits wäre er somit weniger enttäuscht, andererseits war Tanja nun einmal fünf Jahre älter als Mile und würde wohl kaum grosses Interesse an einem frischgebackenen 18-Jährigen haben. Das hatte Mile seine Erwartungen kaum runterschrauben lassen. Sein Plan stand wohl fest.

Doch auch noch etwas anderes hatte Mile in den letzten Tagen beschäftigt: Er versuchte zu lernen, sein neues Horn zu blasen. Leider mit kläglich wenig Erfolg. Stunden war er schon im Garten gestanden, der Kopf so rot wie sein Haar, die Wangen wie ein Kugelfisch aufgeblasen. Doch alles, was er dem Instrument entlockte, waren lächerlich tiefe Furzgeräusche.

Twos - Ein Märchen von Sommer und Winter  - Neue Fassung (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt