Kapitel 17 - Die Schlacht um Aramesia

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Vor der Schlacht singet das Lied, das beschreibt den ersten Krieg.
Und nun rächt sich, dass berauscht, der Lichterlord der Musik lauscht.
Knochen sind das Fundament, Aramesia lichterloh brennt.
Ratko und Nalin segnen den Tag, als die Stadt in Asche lag.


~Mile~
12. Moja 80'024 IV~ Mondtal, Jeshin, Twos

Eine Melodie wogte in der Nacht über dem Onwasee. Lockend, schmeichelnd, fast schon schmachtend. Das Instrument, dem sie entsprang, war eine Flöte. Weich und warm war ihr Klang – vermutlich eine aus Holz, doch darauf geschworen hätten die Krieger in den Reben nicht. Von Magie verstärkt füllte das Lied das ganze Tal, um jeden zu unterwerfen, der ihm lauschte.

Muhme Trude hatte das verfluchte Instrument hoch oben im Kuppelturm eines enigmanischen Tempels geortet. Dies war das höchste aller Bauwerke Aramesias; der sogenannte Aramsdom.

Die Rebellen kannten die Melodie, denn es war ein altes Lied und eine der Soldatinnen des Trupps begann, den Text mitzusingen: »Die Mächtigen der Spinne drohten
das Feld bedeckt von all den Toten
dies ist das Lied vom ersten Krieg
dies ist das Lied vom ersten Krieg«

Mile kniete im kühlen Gras. Die Blätter einer der Reben streiften seine Schultern. Kayat hing schwer an seiner Hüfte. Entschlossen legte er die schwitzigen Hände um sein Donnerhorn. - Er hatte es als Glücksbringer mitgenommen. Denn im Angesicht dieser Schlacht war selbst Mile ein wenig Abergläubig geworden.

Aramesia hatte den einladenden Beinamen ›Stadt der Toten‹. - Bevor der Mond Onwa hier eingeschlagen war, hatte die Landschaft aus Wiesen wie auf den Ebenen von Hebrorie bestanden. Jedenfalls bis sie zum Schlachtfeld des ersten Krieges geworden waren, als die Chaosgötter sich gegen die Spinne aufgelehnt hatten. Deshalb lag hier angeblich auch das Grabmal eines Urherrschers, der bei der Verteidigung des Schicksalsnetz' umgekommen war. - Aber das war laut Red nur eine Legende. Tatsächlich war Aramesia so etwas wie der Friedhof für alle Buntbluter Arkans. Einst waren hier die Toten hergebracht worden. In riesigen Katakomben reihten sich ihre Knochen an den Wänden. Doch seit der Usurpation der Antagonisten wurden sie nur noch zur Lagerung des jeshinischen Weins genutzt.

»Erst der Fünfte, dann der Vierte
die es zu sehr nach Macht gierte
jener Tage schlimmste Klage
dies ist das Lied vom ersten Krieg«

Der Name der Sängerin war Opalia Kallkratt, eine Zwergin aus dem Grauen Berg. Was Mile für einen dummen Witz König Orions gehalten hatte, wurde nun von dem dichten, schwarzen Vollbart der Zwergin belegt. Ja, den weiblichen Exemplaren dieses Volkes sprossen tatsächlich Stoppeln, wenn sie ihre Stollen verliessen. Doch Opalia Kallkratt trug ihr Haar am Kinn mit Stolz und hatte sich den Bart sichtlich gepflegte zu einem aufwändigen Zopf geflochten.

Opalia war nur eine von vierzehn, die zu Miles Trupp zählten, der neben sieben weiteren Einheiten für die Einnahme der acht Schleusen Aramesias vorgesehen war. Darunter auch Red, Oskar, Floyd und– leider – Gretel und Rosanna. Die Barbaren-Kombination seiner Albträume.

Zu Miles viel grösserem Unbehagen waren jedoch auch seine Vampirbekanntschaften von der Partynacht in Turdidey ihnen zugeteilt. Fjore vid Haved und Frederick de Monto leckten sich im Angesicht der Schlacht die Eckzähne. Und auch Ann-Susann Bonnair blickte mit glasigen Augen Richtung Stadt. - Sie hatte die Verwandlung also überlebt. Mile wusste nicht recht, ob ihm wohl dabei war, von einem frischen Vampir-Medix verarztet zu werden, doch er versuchte sich vor Red nicht anmerken zu lassen, dass er die Vampire überhaupt erkannte.

»Wacht der Herrscher aller Macht
erweckt von Feuer, gekühlt von Eis
was Magie zu trotzen weiss
dies ist das Lied vom ersten Krieg«

Gerade hatten die beiden Garraelis sich ihr neustes Spiel ausgedacht: Sie zupften die erntereifen Früchte von den Rispen und steckten sie sich in den Mund, um Opalia Kallkratt mit den Kernen zu bespucken.

Twos - Ein Märchen von Sommer und Winter  - Neue Fassung (3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt