Am nächsten Morgen klingelte es an der Tür von Kageyama. Noch ganz schlaftrunken stieg er aus seinem Bett und wankte zur Tür. All seine Gedanken hatten ihn gestern noch sehr beschäftigt, weswegen er erst spät eingeschlafen war. Ohne zu gucken, öffnete Kageyama die Tür und bemerkte dann erst seinen Fehler. Mit einem ernsten Blick stand Yachi vor ihm und huschte in die Wohnung, bevor er die Tür zu schlagen konnte. Er schloss die Tür und drehte sich mit einem zerknirschten Blick zu ihr.
»Ich weiß, dass du Angst hast, Tobio«, sagte Yachi ernst und blickte ihn an, »aber du weißt bestimmt selbst, dass du nicht so weiterleben kannst. Du brauchst Hilfe. Ich mache mir Sorgen und ich will dich unterstützen. Ich mochte dich echt gern. Ich mag dich IMMERNOCH. Als jemand, der Shoyo auch geliebt hat, kann ich dich verstehen. Also lass mich dir helfen!«
Yachi schaute ihn auffordernd an, doch das einzige, was er sagen konnte, war: »Woher weißt du, wo ich wohne?«
Daraufhin musste Yachi grinsen und sagte nur: »Sagen wir so, ich hab Kontakt zu den Schweiden Adlers.«
Kageyama starrte Yachi an. Langsam, ganz langsam nickte er. Er wusste nicht, was er machen sollte. Yachi war in seiner Wohnung. Sie wieder raus zu bekommen, würde aufwändig werden.
Kageyama spürte, wie das Engegefühl wieder zurückkehrte und blickte sich nervös um. Was konnte er machen, um Yachi aus der Wohnung zu locken? »Tobio!« Er zuckte zusammen und wich zurück. Er wollte sich nicht damit auseinandersetzen. Er wollte nur alles vergessen. Dann fiel ihm ein, was Yachi vorhin gesagt hatte.
»Du hast gesagt, du hast ihn geliebt.« Kageyama sah Yachi fragend an.
»Ja, das habe ich gesagt.«
»Meinst du das auch so? Geliebt?«
»Ja. Ich meine es, wie ich es gesagt habe. Ich habe ihn geliebt. Du warst nicht der einzige, der auf ihn stand.« Kageyama war neugierig. Er hätte das nicht erwartet. Und vielleicht konnte er Yachi mit diesem Thema ablenken und rauswerfen.
»Aber... er ist doch schwul?«
Yachi musste lachen. »Ja? Denkst du, ich habe mir ausgesucht, mich in einen schwulen Jungen zu verlieben? Außerdem denke ich, dass er bi ist. Aber das ist egal. Ich weiß nur, Sho hing immer nur an dir. Ich hatte nie eine Chance zu dem Zeitpunkt. Versucht hab ich es trotzdem.«
Kageyama starrte sie überrascht an.
»Warum bist du so überrascht? Kenma liebte ihn doch auch. Viele mochten ihn.«
»Ich weiß nicht... ich dachte..ich hätte ihn für mich allein.«
Yachi lächelte. Sie trat einen Schritt zu ihm und streckte eine Hand zu ihm aus. Er nahm sie nicht an.
»Du hättest ihn für dich alleine gehabt, wenn es diesen Vorfall nicht gegeben hätte. Er war echt vernarrt in dich.«
Als Yachi diese Ereignisse ansprach, musste er zu Boden blicken. Er konnte sich immer noch nicht vergeben. Würde es vielleicht nie.
»Lass mich dir helfen.«
Kageyama hatte Angst. Er wusste eigentlich gar nicht, warum. Vielleicht hatte er Angst vor ihrer Reaktion. Dass sie ihn am Ende doch fallen lassen würde oder noch schlimmer ihn auslachen würde. So wie es die letzten Jahre war, war es gut. Er hatte gelebt. Eher überlebt. Existiert. Er hatte niemanden belastet. War niemandem auf die Nerven gegangen.
Und doch, vielleicht hatte Yachi recht. Die letzten zwei Jahre von ihm kann man nicht leben nennen. Er hat sich so schrecklich gefühlt. Einzig Volleyball hatte ihn halbwegs am Leben gehalten. Manchmal war er kurz davor, alles zu beenden. Er hatte sich so sehr gehasst. Aber vielleicht...
Er blickte zu Yachi auf. In ihren Augen lag Zuversicht und Sorge... und dieser Ausdruck, der dir sagt, dass diese Person vor dir alles versuchen wird für dich und dich nicht aufgeben will und dass du ihr am Herzen liegst. Vielleicht war das, was Kageyama brach. Seinen Entschluss von letzter Nacht brach. Dieser Ausdruck, der ihm Hoffnung gab, dass sein Leben, dass er doch nicht ganz ungeliebt war.
Er atmete ein und nickte. Ganz leicht. Doch Yachi sah es und lächelte. »Danke.«
Sie gingen in Kageyamas Küche. Sie war ziemlich unaufgeräumt und dreckig, doch Yachi setzte sich ohne mit der Wimper zu zucken hin und forderte Kageyama dazu auf, sich neben sie zu setzen. Dann sah sie ihn offen an.
»Shoyo hat mir nicht erzählt, was geschehen ist. Auch nicht, was ihr besprochen hattet. Er hatte eigentlich keinem so richtig etwas erzählt. Deswegen kann ich nicht urteilen, ob das, was passiert ist, vernünftig war. Darf ich erfahren, was damals war?«
Kageyama blickte in Yachis ernstes und aufrichtiges Gesicht und ihn überkam das Gefühl, dass es etwas bringen könnte. Dass er sich danach nicht so dreckig fühlen würde. Er hatte das Gefühl, dass er Yachi vertrauen konnte. Und deswegen erzählte er ihr alles.
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»Er hat mir verziehen. Um es hinter sich zu lassen.« Kageyama kam am Ende seiner Erzählungen an und musste die schmerzhafte Erinnerung zurückdrängen. Er blickte zu Yachi und hatte das Bedürfnis, sich noch weiter erklären zu müssen.
»Ich weiß, dass ich mich beschissen benommen habe und ich hasse mich dafür. Ich würde alles tun, um es rückgängig zu machen. Doch dieser Fehler wird immer in meinem Leben bleiben. Ich werde immer schuld sein. Ich kann nur hoffen, dass ich keinen anderen Menschen nochmal so verletze.«
Er hatte so Angst davor. Diesen Fehler nochmal zu machen. Deswegen hatte er sich abgeschottet. Niemanden an sich ran gelassen, weil er wusste, dass er im Inneren schlecht war. Dass er anderen Menschen nur Schaden zufügen kann.
Yachi nahm seine Hand und unterbrach damit die negativen Gedanken. Er sah sie an und sie blickte offen zurück. »Tobio, du bist kein schlechter Mensch. Absolut nicht. Dafür bestrafst du dich selbst viel zu hart für deine Taten.«
Kageyama nickte, wenn auch ohne es zu glauben. Er war schlecht. Er hatte Shoyo so verletzt. Das war unverzeihlich.
»Du musst es so sehen: Shoyo hat dir verziehen. Wirklich verziehen. Er ist dir nicht böse. Glaub das. Shoyo war tief verletzt und er wird vielleicht immer eine Narbe von diesen Ereignissen mit sich tragen, aber er hat dir verziehen.« Kageyama konnte das nicht. Wegen dieser Narben musste Shoyo ihn hassen. Immer noch.
»Erstens, weil er dich nicht hasst. Er hat dich geliebt und ein Teil wird das wahrscheinlich immer tun. Er verzeiht dir also und ist dir nicht böse.« Etwas in Kageyama war überrascht. Ja, er wusste, dass Shoyo ihn geliebt hat. Sie waren mehrere Jahre in einer Beziehung. Aber irgendwie... durch all das, was geschehen war, hatte seine Angst alles überblendet. Hatte ihm eingeflüstert, dass Shoyo ihn hasste. Abgrundtief.
»Und zweitens, weil er auch heilen wollte. Und ja, dafür musste er dich zurück lassen. Er hat auf seinem Weg sogar uns alle zurückgelassen. Er ist nach Brasilien gegangen. Alleine. Er brauchte Abstand zu dir, zu diesen Orten hier und den Menschen. Und das ist okay. Er ist gegangen UND wieder gekommen. Er hat uns nicht verlassen. Auch dich nicht. Er brauchte nur Zeit, um zu heilen. Um zu wachsen. Er hat das getan, um weiterzukommen im Leben. Weil er weiß, dass Fehler gemacht werden und man trotzdem weiterlebt. Nur du, nur du hast das irgendwann auf deinem Weg vergessen. Schau dich an! Wie lange leidest du jetzt schon? Wie lange hast du dich selbst bestraft? Shoyo hat damit abgeschlossen und ist glücklich. Nur du hältst daran fest. Als wäre dieser eine Fehler dein ganzes Leben und nur daran würden dich Menschen messen. Aber das stimmt nicht. Ganz und gar nicht.«
Kageyama wusste nicht, wie Yachi jeden einzelnen seiner Gedanken und Gefühle erraten konnte. Sie konnte nicht sehen, wie schmerzhaft korrekt sie mit jedem Wort war und was sie damit in Kageyama auslöste. Yachi nahm seine Hände und schaute ihm tief in die Augen. »Du musst loslassen.«
Verzweifelt blickte er sie an. Die Wahrheit schmerzte ihn. Es tat weh und irgendwie war es trotzdem befreiend. Er konnte es spüren. Dieses Gefühl, wenn die Last auf deinen Schultern, auf deinem Herz verschwindet. Er musste nur Yachis Worte befolgen. Loslassen. Es klang so einfach. Aber es war viel schwerer. Seine Angst hatte ihn immer noch im Griff. Doch anstatt ihr nachzugeben, wollte er kämpfen. Also öffnete er sich und machte sich verletzbar.
Er blickte Yachi an und krächzte: »Ich weiß nicht wie.« Die Tränen rannen ihm über die Wangen. Er schluchzte laut und wollte sich zurückziehen, doch Yachi ließ ihn nicht. Sie zog ihn in eine feste Umarmung. Ganz lange hielt sie ihn und wartete, bis er sich beruhigt hatte.
Dann löste sie sich langsam und wischte seine Tränen weg.
»Ich bin gerade ganz stolz auf dich.« Verwirrt blickte Kageyama sie an.
»Du hast zugegeben, dass du Hilfe brauchst. Das ist der erste Schritt.«
Und dieses Gefühl, welches Kageyama in diesem Moment empfand, war einzigartig. Sowas hatte er lange nicht gefühlt. Yachis Art, ihre Worte, sie gaben ihm Hoffnung. Sie waren so zuversichtlich und warm und zart. Sie gaben ihm Hoffnung, dass er es schaffen könnte. Loszulassen.
Hey, lang nicht gelesen ...hahaha..
Ich weiß ihr musstet lang warten und ich kann euch sagen, ihr müsst weiterhin lang warten, aber erstmal hier ein Kapitel. Ein sehr schönes, wie ich finde.
Ihr könnt mir ja liebend gerne schreiben, wie ihr es findet.
Das würde mich mega interessieren und motivieren.
Für euch als Info: Das war das letzte "Pufferkapitel". Ich habe also jetzt nichts mehr fertig geschrieben. Das heißt, es wird ein bisschen dauern mit dem nächsten Kapitel. Aber ich schreibe!
Vieles ist auch schon fast vollständig und muss nur noch überarbeitet werden, aber ihr wisst. Leben kommt manchmal dazwischen.
Freut euch einfach auf Vorfreude, hehe. Wir lesen uns ;)
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vergeben und weiterleben
FanfictionFortsetzung zu "versprochen und gebrochen" II Zwei Jahre sind vergangen seitdem Shoyo nach Brasilien gegangen war und Kageyama hinter sich gelassen hatte. Nun ist er wieder zurück in Japan und beginnt sein Abenteuer mit Kenma. Währenddessen kämpft...