Die Reinigung

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So wurde es wieder ruhig im Wald und das Mädchen war glücklich, die Vögel wieder zwitschern zu hören. Auch die Wölfe beruhigten sich langsam wieder.

Nach einigen Wochen ritt Darius auf seinem Pferd in den Wald zurück und rief nach Aralaya. Diesmal war er alleine und ohne seine Rüstung gekommen. Das Mädchen fiel ihm zur Begrüssung um den Hals.

Darius hatte dem König erzählt, dass sein Heer die Wolfshexe mit einem Pfeil getroffen habe

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Darius hatte dem König erzählt, dass sein Heer die Wolfshexe mit einem Pfeil getroffen habe. Da sei ihr böser Zauber prompt weggefallen, und die dunklen Wolken über dem Wald seien der Sonne gewichen. Sogleich hätten sich die Wölfe auf die Hexe gestürzt und sie zerfetzt, wohl froh, nicht mehr unter ihrem Bann zu stehen. Der König hatte die Geldsäcke gierig in seine Schatzkammer bringen lassen und war's zufrieden.

„Und ich habe noch mehr gute Nachrichten», meinte Darius gut gelaunt. «Ich habe eine Familie gefunden, bei der Du ab nun leben kannst. Es sind gute Freunde von mir. Dort wirst Du es schön und gut haben."

„Es gibt keinen schöneren Ort als der Alte Wald", entgegnete jedoch das Mädchen.

„Aber hier hast Du kein Essen und kein Dach über dem Kopf", beharrte der Bruder.

„Ich lebe in der schönsten Höhle der Welt und im Rudel haben wir immer genug zu essen", entgegnete das Mädchen. „Zudem sind wir bei den Menschen unausweichlich vom Tyrannen unterjocht. Im Wald hingegen sind wir frei!"

Da hob Darius seine Stimme: „Aber nun bin ich Truppenführer! Nun habe ich ein Haus, und bin respektiert. Komm mit mir, und du wirst sehen, dass es nun besser ist."

Darius reichte dem Mädchen seine Hand. Doch da fragte Aralaya: „Sag mir ganz ehrlich, grosser Bruder, bist Du denn glücklich als Truppenführer?"

„Nun, ja, es ist nicht einfach", zögerte Darius.

„Und der König, ist er glücklich?", drängte Aralaya weiter.

„Ich weiss nicht", antwortete Darius, «er sieht immer so mürrisch und verärgert aus».

„Das habe ich mir gedacht", schloss das Mädchen. „Bei einer Unterdrückung leiden alle beteiligten, nicht nur die Unterdrückten."

Da schaute der kräftige junge Mann verdutzt seine kleine Schwester an und dachte eine lange Weile nach. Schliesslich sagte er traurig: „Ich habe Dich schon einmal verloren, kleine Schwester. Ich will Dich nicht noch einmal verlieren."

„Dann bleib bei mir!" rief Aralaya aufgeregt.

Sogleich machte sie sich auf, ihrem Bruder ihr Paradies zu zeigen, die alte Eiche am Lachenden Bach, die Leuchtende Lichtung, den Silbersee, den er nun auch bei Tag glänzen sah.

„Es ist wirklich wunderschön hier", bestätigte der Jüngling schliesslich. „Aber wo schläfst Du denn?"

„Das zeige ich Dir erst, wenn Du mir hochheilig versprichst, nie jemandem auch nur ein Wort davon zu erzählen, was auch immer geschieht."

Darius versprach es und sie näherten sich der Wolfshöhle.

Doch plötzlich standen die Wölfe zähnefletschend und knurrend vor ihnen. Bisher hatten sie sich nicht gezeigt, seit Darius gekommen war. Doch nun näherten sie sich bedrohlich; sogar Fidor schien jeden Moment anzugreifen. Darius griff nach einem Stock am Boden, doch Aralaya zog in weg von den Wölfen.

„Die Wölfe sind meine Freunde, bitte tue ihnen nichts zu leide."

„Sie wollten UNS etwas zu leide tun!", rief der junge Truppenführer erbost.

„Weil Du noch nach gierigen Menschen riechst, welche fiese Fallen stellen und nach Wölfen jagen", erklärte das Mädchen. „Wenn Du ihre Höhle sehen möchtest, dann kannst Du nicht der Truppenführer sein, welcher sie jagt."

Schliesslich kamen sie zum Silbersee.

„Bist Du bereit, Dein Leben in der Stadt als Truppenführer zurückzulassen und für immer einen Teil von uns zu werden?" Aralaya blickte ihrem Bruder tief in die Augen.

Darius wusste, dass Deserteure vom König mit grausamen Todesstrafen belegt wurden. Doch er erinnerte sich nun wieder, wie er sich gegen den Heeresdienst gewehrt hatte. Wie er schliesslich in einer tiefen Hoffnungslosigkeit Soldat geworden war. Das einzige Ziel, das ihm geblieben war, bestand in einem Aufstieg in der grausamen Welt des Tyrannen. Doch nun, als er seine frohgemute Schwester wieder sah, erschrak er ab der Torheit dieser Hoffnung. Was auch immer er dort tun würde, nichts wird ihm seine Fröhlichkeit so zurückgeben, wie mit seiner Schwester zu sein.

„Ja", rief er schliesslich bestimmt.

„Dann musst Du alles, was Du hast, zurücklassen. Der See wird nicht nur Deine Haut reinigen. Ich treffe Dich am anderen Seeufer", orakelte Aralaya und verschwand.

Darius zögerte einen Moment, doch dann riss er sich alle Kleider vom Leib und warf seinen Geldbeutel zu Boden. Dann betrat er nackt wie Gott ihn geschaffen hatte den See. Als das kühle Wasser seinen Körper vollständig umgab, da kamen ihm Tränen und eine tiefe Traurigkeit schüttelte ihn durch. Er liess sich gehen und sank zum Grund des Sees. Doch dann fühlte er plötzlich eine Verbindung mit dem See und dem Wald, und tiefe Dankbarkeit durchströmte ihn. Als er am anderen Ufer aus dem See stieg, war ein neuer Darius geboren.


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