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„Gehen wir nach unten und stellen die Snacks auf den Tisch und was ich noch so finden kann. Da ist noch eine Menge Wodka von der letzten Party, aber ich werd' ihn etwas ‚verdünnen'!" Matt streckte sich im Sessel, bis seine Knochen knacksten. Jennifer sammelte gerade die Zettel und Bilder zusammen, die am Boden verstreut lagen. „Was meinst du mit verdünnen?" Ihre Bewegung stockte, wollte er etwas Illegales reinschütten? „Ich geb Wasser in den Wodka, ich hab keine Lust darauf, dass hier wer zu viel trinkt, aber wenn man was sagt, ist man sofort der Spaßverderber." Erleichtert stand sie auf. „Ah, das ist echt 'ne gute Idee! Du solltest übrigens bezahlt werden für das hier. Ich wusste, dass es nicht leicht wird, aber das es so viel Arbeit macht, hätte ich auch nicht gedacht. Alleine die Fotos zu bearbeiten hat ewig gedauert." „Ist das nicht immer so? Sobald man sich in was richtig reinhängt, wird es irgendwie immer mehr Arbeit." Er deutete auf die Zettel an der Wand. „Verrate es niemandem, aber das ist mein Projekt. Ein Buch, an dem ich jetzt schon eine Weile arbeite und umso mehr ich mache, umso mehr wird es." 

Jennifer sah sich die Wand genauer an und verstand jetzt, was zuvor keinen Sinn ergeben hatte. Die Notizen zeigten die Beziehungen zueinander und wohl auch wichtige Ereignisse mit Datum und irgendwelchen Symbolen, die ihr nichts sagten. „Interessant, du hängst dich da wirklich rein. Ich glaube nicht, dass ich so lange an etwas arbeiten könnte." „Ich hab etwas gebraucht, bei dem ich die Welt um mich herum vergessen kann. Wenn ich schreibe, dann gibt es nur die Figuren und ihre Geschichte. Es ist auch viel von mir in der Geschichte und dem Charakter, aber trotzdem existiere ich nicht in meiner Story." „Ich finde das bewundernswert, ich mache irgendwie nie was. Also, ich habe gar kein Hobby." Matt drehte sich schwungvoll mit dem Sessel zu ihr. „Was machst du, wenn du mit Schulsachen fertig bist?" „Hmmmm, ich schau' ein Kdrama oder hör Musik." Matt sah auf die Tastatur und versank kurz in seinen Gedanken. „Wenn du das alles wegnimmst, die elektronischen Geräte, was würdest du dann machen?" „Hmmm... weiß nicht, ich denke, ich würde Zeichnen." „Wann hast du dich das letzte Mal hingesetzt und gezeichnet." Jennifer neigte den Kopf auf die Seite, versuchte sich daran zu erinnern. „Ich glaube, das war, bevor wir umgezogen sind, als mein Stiefvater noch bei uns gewohnt hat." Ihre Blicke trafen sich, es fiel ihr schwer, ihm nicht ständig in die Augen zu sehen. Das Grau seiner Augen waren von einem schwarzen Kreis umgeben und sie wusste nicht, ob es Neid oder Bewunderung war, das sie empfand. „Das ist dein Hobby und auch die Antwort, warum du es nicht mehr tust." Ihr entfuhr ein tiefer Seufzer, der sich in ein nervöses Lachen verwandelte. „Sorry, jetzt rede ich schon wie mein Therapeut. Lass uns heruntergehen." Matt öffnete ihr die Tür und deutete ihr durchzugehen. „Da arbeiten wir dann an unserer Laune, indem ich dir meinen Freund Wodka vorstelle, bevor ich ihn manipuliere." 

Schon eine Weile bevor die Party startete, hatten sie eine Menge Spaß, sie hatte nicht gedacht, sich so gut mit Matt zu verstehen und schon gar nicht damit gerechnet, dass er ein richtiger Kindskopf sein konnte. Diese Seite an ihm machte es einfacher und vertrieb ihre Nervosität. Auch sein Umgang mit dem Alkohol hinterließ einen guten Eindruck bei ihr, nach einem Getränk wechselten sie zu Cola und er erzähle ihr, dass er es nicht ausstehen konnte, wenn jemand betrunken war. Matts Freunde waren nett und sie fühlte sich zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen. Matt ließ sie aber auch nie lange alleine, vielleicht war es nur Einbildung, aber auf sie wirkte es so, als ob sein Blick immer wieder auf ihr ruhte. Vorgestellt hatte Matt sie auch als Freundin, nicht als Schulkollegin. Irgendwann stand plötzlich Lucas neben ihr, der sie wohl etwas beschwipst in den Arm nahm. „Was machst du hier, wo ist Laura?", fragte er viel zu laut. Vor ihr tat sich ein Minenfeld auf und egal für welche Richtung sie sich entschied, es konnte ihr alles um die Ohren fliegen. „Matt hilft mir bei meinem Projekt und hat mich eingeladen." Lucas nahm ihren Oberarm und zog sie von der Gruppe weg, in der sie gerade standen. „Und Laura ist....wo?" Er sah sie fragend an. „Laura ist...ähm." „Na toll, du bist ihre Ausrede! Du hast keine Ahnung, wo sie ist!" Lucas nahm sein Handy aus der Hosentasche und tippte darauf herum. „Schon gut, nicht deine Schuld!" Ein Kribbeln im Nacken ließ sie zur Seite blicken, Matt beobachtete die Situation. Lucas bemerkte es kurz nach ihr und flüsterte ihr zu. „Hör zu, ich mag Matt, aber es wird ne Menge schlechtes Zeug über ihn verbreitet und er selbst erzählt nicht viel von sich. Sei vorsichtig, ja?" „Klar, tut mir leid wegen Laura. Ich dachte eigentlich, sie ist mit dir bei der Geburtstagsparty." Alles in ihr wollte Matt verteidigen, doch wusste sie kaum etwas über ihn. „Hey" eine Hand legte sich sanft auf ihren Rücken. „Alles ok?" Matts Hand blieb auf ihr, während er mit Lucas redete. „Ich dachte du und Laura kommt nicht wegen der Geburtstagsparty?" Jennifer wollte etwas sagen, aber Lucas war schneller. „Das Geburtstagskind liegt mit gebrochenen Bein im Krankenhaus, also wollte ich kurz vorbeischauen und dabei auch gleich meine Schwester abholen, die mir gesagt hat, dass sie mit Jen hier herkommt." „Ich muss kurz aufs..." Sie sah Matt verlegen an. „Geh oben ins Bad, wo du vorhin schon warst, das ist jetzt sicher sauberer als das unten. Aber versteck dich nicht da oben." 

Jennifer nickte und ging nach oben, wo sie an Geschwindigkeit zulegte und Laura anrief. „Weis, er es?" Laura atmete laut. „Ja, zu spät." „Oh, Mist. Dann brauch' ich auch nicht mehr zu rennen. Ich bin gleich da." „Wo warst du den?" „Ich hab was getrunken mit einer altern Freundin, die ich am Weg getroffen hab. Wir wollten nur einen Drink in der Bar nehmen. Ich dachte, ich schaff' es rechtzeitig zu euch, bevor Lucas da ist. Ich hab dir geschrieben, dass die Party ausfällt, aber du hast nicht geantwortet. Aber dann ....ich erzähl' dir das noch ok! Ich ruf' ihn jetzt an. Bis gleich." Die ganze Geschichte ergab nicht wirklich einen Sinn, es war ziemlich selten, dass Laura sich mit derart vielen Worten erklärte. Jennifer machte sich wieder auf den Weg, sie hatte keine Lust darauf, sich einzumischen, die Bruder-Schwester Beziehung war ihr ohnehin ein Rätsel. Ihre Gedanken wanderten zurück zu Matt und seine Probleme. Er konnte die meisten Gerüchte wahrscheinlich mit ein paar Erklärungen aufklären, doch sein Schweigen schien die Leute noch anzustacheln. Vor der Glastür blieb sie stehen, war es das, was sie vermutete oder spann sie sich auch nur eine Geschichte zusammen? Selbst wenn es die Wahrheit war, konnte man niemanden einfach auf so etwas ansprechen. Ihr Handy, das sie noch in der Hand hielt, vibrierte und sie lass die Nachricht. „Komm heute spät, du weißt, wo das Geld ist, bestell dir was." Ihre Mutter war kaum noch zu Hause! „Stehst du gut da?" Erschrocken fuhr ihr Kopf hoch. „Gott, willst du mich zu Tode erschrecken. Ich hab nur eine Nachricht gelesen, meine Mama hat mir gerade geschrieben, dass sie erst spät kommt." Matt war auf den Treppen stehen geblieben und beobachtete sie. Jennifer war wütend darüber, wie ihre Mutter sie einfach abfertigte und wahrscheinlich auch anlog. Vermutlich waren ihre Pläne woanders zu schlafen. „Du bist also nicht hier rauf gerannt, um Laura zu warnen?" „Ohne meinen Anwalt kann ich keine weiteren Fragen beantworten!" „Wenigstens kannst du länger bleiben, wenn deine Mum nicht daheim ist. Ohne dich ist es nicht so lustig da unten, ich wollte dich gerade holen." Seine Worte schienen aufrichtig und er lachte nicht dabei, mochte er sie wirklich? „Na los!" Er streckte ihr die Hand entgegen und ohne nachzudenken, legte sie ihre hinein, ließ sich von ihm nach unten bringen. Es war viel zu lange her, dass sie so viel Spaß hatte. 

Laura tauchte zwar auf, wurde aber von Lucas nach einer etwas lauteren Diskussion nach Hause gebracht. Die Party war ein voller Erfolg, es schien, dass jeder Spaß hatte, auch als die Gruppe immer kleiner wurde. Als sie zum ersten Mal an dem Abend auf die Uhr sah, verflog ihre gute Laune schnell. „Mist, es ist schon so spät! Jetzt fährt die U-Bahn nicht mehr." Auf ihre Aussage sahen auch die übrigen Partygäste auf die Uhr. „Ich bin mit dem Fahrrad hier!", sagte Matts Freund. „Oh, wir haben Geld für ein Taxi, das wir jetzt rufen sollten. Sollen wir ein zweites rufen?" Es waren zwei Schwestern, mit denen sie sich gut verstand. Eine von ihnen hatte ihr zuvor die Karten gelegt, ihr glauben daran war gleich null, aber es war trotzdem unterhaltsam gewesen. Die Sonne, der Herrscher und der Tod waren ihre Karten gewesen. Es hatte alles irgendwie Sinn ergeben bis auf die Letzte aber das war wohl auch der Trick dabei. „Danke, aber so viel Geld hab ich nicht!" „Du kannst mit meinem Fahrrad fahren!", erwiderte Matt. „Nein, das nehm ich zurück, du hast was getrunken und es ist stockdunkel draußen. Wir haben ein Gästezimmer hier unten, du kannst hier schlafen und dann mit der ersten U-Bahn fahren. Deine Mum merkt das sicher nicht ." Jennifer überlegte kurz, entschied dann, dass es wohl die beste Lösung sei. „Wirklich?" „Klar! Aber weck mich nicht auf, wenn du gehst, ich hab vor, lange zu schlafen."

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