Der Montag kam ihr lang und düster vor, es war schwer, ihre Gedanken auf den Unterricht zu lenken. Laura war auch keine Hilfe, den ganzen Tag über ging es um ihr Wochenende und wer was gesagt hatte. Ihr Bruder hatte vor ihren Eltern dichtgehalten, wofür ihr jetzt eine Woche Aufräumen blühte. Es war sicher besser, ihr nichts von ihren Familienproblemen zu erzählen. Jennifer hatte sehr schnell begriffen, dass Laura gar keine Möglichkeit hatte, sie in dieser Angelegenheit zu verstehen. Ihre Familie war auch nicht perfekt, aber nahe dran. Selbst nach vielen Jahren Beziehung gingen ihre Eltern regelmäßig auf Dates und schienen auch sehr glücklich miteinander.
„Hey!" Matt setzte sich ganz selbstverständlich zu ihnen und packte sein Essen aus. Die Aula war vollgepackt, da es draußen regnete und ein starker Wind ging. „Danke noch mal fürs Aufräumen am Sonntag! Ich musste fast gar nichts mehr machen." „War schnell erledigt, außerdem sollte ich mich bedanken. Es war echt lustig." „Hast du etwa daran gezweifelt?", fragte er schmunzelnd. Laura hielt in ihrer Bewegung inne, die Weintraube fand ihren Weg wieder in die Verpackung statt in ihren Mund. „Wann hast du aufgeräumt?" „Am Morgen, bevor ich nach Hause bin." Als sie es aussprach, bereute sie es auch schon, warum hörte sich das nur so falsch an. Lauras Augenbrauenschnellten bei der Aussage hoch, sie war schlecht darin ihre Gefühle zu verstecken. „Du hast bei ihm geschlafen?", fragte sie mit gesenkter Stimme. „Im Gästezimmer." Fügte Matt schnell hinzu. "Wir sollten uns übrigens noch ein letztes Mal zusammensetzten und alles für die Präsentation durchgehen. Bei dem eigentlichen Vortrag kann ich dir nicht helfen, aber das Video sollte zumindest so gut wie möglich werden." Der Großteil ihres Essens verschwand wieder in ihrer Tasche und sah auf die Uhr. „Ich weiß gar nicht, was ich ohne deine Hilfe machen würde, die anderen Fächer sind gerade so anstrengen!" Laura, der zu Abwechslung für eine Weile die Worte gefehlt hatten, beteiligte sich wieder am Gespräch. „Meine Noten leiden auch, warum ist Mathematik auf einmal so schwer? Ich hab das Gefühl, sie wollen uns stressen." „Oder euch auf die Prüfungen vorbereiten. Was glaubt ihr denn, wie wir die sonst schaffen? Es ist auch für die Lehrer nicht gut, wenn die Hälfte der Klasse nicht besteht." „Hör auf so verständnisvoll zu sein und lass uns jammern. Manchmal könnte man denken, du bist ein alter Mann!", erwiderte Laura leicht schnippisch.
Daheim ging es dann mit dem Projekt weiter, die Karteikarten und das Protokoll waren nicht schwer vorzubereiten, aber es nahm viel Zeit in Anspruch. Als es draußen dunkel wurde, legte sie alles zur Seite und machte sich eine Suppe warm, die noch übrig war. Ihre Mutter kam zur Tür hinein, als sie gerade aufgegessen hatte. „Gut, dass du hier bist, wir müssen reden." Sie legte ihre Tasche und die Schlüssel am Küchentisch ab, setzte sich auf den Hocker, der neben ihrem stand. „Es wird dir nicht gefallen, aber bitte hör mir erst zu!" Jennifers Hände fingen zum Schwitzen an und sie hatte das Gefühl, dass sich der Raum drehte. Diese Worte waren sehr vertraut und nie kam dabei etwas Gutes raus. „Gut." „Den letzten Monat hab ich mich wieder mit Mike getroffen." Ihr Mund öffnete sich und schloss sich wieder, als ihre Mutter die Hand hob, um sie davon abzuhalten, etwas zu sagen. Wütend presste Jennifer ihre Lippen aufeinander und wartete ab. „Mir ist klar, was du jetzt denkst und ich kann es gut verstehen. Aber du kennst nicht die ganze Geschichte. Er ist seit einiger Zeit in Therapie und versucht wirklich ein besserer Mensch zu werden. Ich hab es erst vor dir geheim gehalten, damit, wenn er lügt oder sich nicht geändert hat, ich es gleich wieder beenden kann, ohne dass du verletzt wirst. Aber er hat mich überzeugt." Es herrschte eine unangenehme Stille zwischen ihnen. Jennifer wollte nicht glauben, was ihre Mutter da von sich gab, es kam ihr vor wie einer ihrer Träume, in denen er zurückkam und alles so war wie früher. Nervös spielte ihre Mutter mit einer Serviette, die am Tisch lag. „Wir haben alle Fehler gemacht, aber Mike und ich lieben uns und wollen noch nicht aufgeben." Ihre Mutter vermied jeden Blickkontakt. „Ich dachte, wir könnten eine Familientherapie machen. Was sagst du?" Jennifers Bauch verkrampfte sich, sie stand auf, um ihren Teller wegzuräumen. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, sie wollte jetzt nicht streiten. „Ich muss nachdenken! Lass uns morgen reden."
Diesmal würde ihre Mutter mit Sicherheit nicht nach ihr sehen. Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag, ihr Stiefvater war vielleicht kein guter Mensch, aber ihre Mutter hatte sie dieser Situation ausgesetzt. Die ganze Zeit über hatte sie immer nur ihm die Schuld gegeben und ihre Mutter in die Opferrolle gedrängt. Doch die Schuld lag an beiden, gerade eben hatte sie gesagt „Wir alle haben Fehler gemacht." Wir alle? Jennifer war ein Kind gewesen, was war ihr Fehler? Ihre Mutter suchte immer Fehler bei den anderen doch sie selbst war unantastbar. Ihre Füße zeichneten wahllos Spuren auf dem Teppichboden, während sie in Gedanken versunken auf ihrem Bett saß. Doch dann fiel ihr ein, was Matt gesagt hatte, über Hobbys. Ihre Malsachen waren irgendwo verloren gegangen, aber ein Stift und ein Zettel reichten für den Anfang. Nach ein paar missglückten Versuchen endete sie weinend im Bett. Was half es schon, das Problem zu ignorieren, vielleicht musste sie eine Nacht darüber schlafen, das war doch ein beliebter Ratschlag, also musste irgendwas daran sein. Der Schlaf wollte aber nicht kommen, also drehte sie sich von einer auf die andere Seite, hörte ihre Mutter telefonieren und starrte in die Luft. Verzweifelt suchte sie nach einer Einschlafhilfe auf ihrem Handy.
„Noch wach?", eine Nachricht von Matt schien auf, sie hatte zwar den Grünen Punkt bei ihm gesehen, aber wäre nicht auf die Idee gekommen, ihn anzuschreiben. Ihr Beziehungsstatus war ihr nicht ganz klar, waren sie nur Projektpartner oder vielleicht Freunde? Hatte er sie nur auf die Party eingeladen, um nett zu sein? „War ein verrückter Tag! Kann nicht schlafen." „Was ist passiert?" Es war schwer, das alles in eine kurze Nachricht zu verfassen, außerdem war ihr die ganze Sache peinlich. „Meine Mutter spinnt total, ka!" „Etwas mehr Infos?" Wollte er das wirklich? „Na gut, wie du willst! Sie ist wieder mit meinem Stiefvater zusammen, hat es mir aber bis heute verschwiegen. Vor über einem Jahr hat sie sich getrennt und wir sind umgezogen, damit er uns in Ruhe lässt. Jetzt will sie, dass wir wieder eine glückliche Familie spielen!" Es dauerte eine Weile, bis er antwortete, wahrscheinlich versuchte er da irgendwie wieder herauszukommen. „Was hast du dazu gesagt?" „Eigentlich nichts, ich hab gesagt, dass ich nachdenken muss." „Wann hast du morgen aus?" „Um eins ....warum?" „Wenn du eine Stunde in der Aula wartest, können wir reden!" Das war nicht, womit sie gerechnet hatte, aber vielleicht war es ganz gut, mit jemanden zu reden, jemanden, der ebenfalls nicht aus eine Bilderbuch-Familie kam. „Gut, ich warte dort!" „Versuch zu schlafen, kein Handy mehr! Gute Nacht." „Danke, gute Nacht!"
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ꕤ Vergissmeinnicht ꕤ
Teen FictionJennifer möchte ihre Vergangenheit hinter sich lassen, wird aber immer wieder von ihr eingeholt. Auf unerwartete Weise bringt ein Schulprojekt sie wieder auf den richtigen Weg und macht ihr bewusst was sie wirklich braucht, um endlich glücklich zu w...