Prolog

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Der Himmel war wolkenverhangen, doch laut Wetterbericht hatte sie noch Zeit, bis es Regnen würde. Jennifer sah eine braune Katze an ihrer Seite vorbeihuschen, als sie aus dem Auto stieg, sie erinnerte sie an ihren Zwerghamster Muffin. Der Parkplatz war voller Autos und eine Gruppe trauernder Menschen stand eng beieinander vor der kleinen Kapelle. Jennifer hatte schon einige Begräbnisse hier gesehen, doch für gewöhnlich waren die Menschen ganz in Schwarz gekleidet und nicht in Rosa. Eine der Frauen weinte herzzerreißend, klammerte sich dabei an einen Mann, der selbst ein nasses Gesicht hatte. So schnell und leise wie möglich nahm sie die Blumen aus dem Kofferraum und ging mit gesenkten Kopf, an ihnen vorbei zu den Gräbern. Am Grab nahm die alten Blumen aus der Steinvase und tauschte sie aus. Auf dem Weg zum Mistkübel erhaschte sie einen Blick auf den Sarg, der gerade nach draußen gebracht wurde. Erschrocken blieb sie stehen und kämpfte jetzt selbst mit den Tränen, die sich in ihren Augen sammelten. Der Sarg war winzig weiß und mit Kinderzeichnungen übersehen. Erst jetzt fiel ihr ein Kind auf, das sich an die Hand einer älteren Frau klammerte. Es schien nicht wirklich zu verstehen, was gerade passierte und das kleine Gesicht war ganz blass. Die Großmutter beugte sich gerade zu ihm hinunter und streichelte ihn liebevoll über die Wange. Jennifer holte tief Luft und ging zum Grab zurück, als Matt sie einholte.

Außer Atem blieb er neben ihr stehen. „Ging nicht früher! Die blöde Baustelle auf der A7 und als ich den Sarg gesehen hab, ist mir gleich schlecht geworden." Kleine Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn, mit besorgtem Gesichtsausdruck musterte er seine Frau. „Wie, gehts dir damit alles gut?" Vorsichtig legte er eine Hand auf ihren runden Bauch. „Alles gut! Ich bin nur müde und brauch bitte eine Gießkanne." Matt lächelte ihr aufmunternd zu und ging dann die Gießkanne holen. Ihr Blick wanderte über den dunklen Stein des Grabes und sie wischte einige Blätter weg. "Ich vermisse euch so", flüsterte sie leise. Der Frühling hatte den Baum über dem Grab zum Blühen gebracht und der Wind verteilte die kleinen rosa Blütenblätter. Die Glocken ertönten laut und sie versuchte nicht in die Richtung des Sarges zu sehen, der gerade zu seinem Grab getragen wurde. Die Sonne kam für einen Moment hinter den Wolken hervor und schien auf die Blumen in der Erde, die sie dort frisch gepflanzt hatte. Matt brachte ihr das Wasser und sah dann auf sein Handy. Die Punkte auf ihrer Checkliste waren jetzt alle erledigt, ihre Tochter konnte sich ab morgen auf den Weg machen. 

„Status Update?" Heute musste einfach alles glatt laufen, seit Wochen versuchte sie sich nicht bei Alex zu verplappern. „Dad ist mit Laura und ihren Zwillingen schon im Garten. Soweit ich das verstanden hab, passt er auf die zwei Teufel auf, während sie alles dekoriert. Lucas und Alex sind noch wie geplant essen. Felix ist gerade aus der Schule raus, er hatte noch Nachhilfe und Lucas Eltern holen ihn ab. Wir sollten uns dann auch auf den Weg machen, ich hab das ganze Essen im Wagen." „Felix hat jetzt Nachhilfe?" „Na ja, sagen wir mal, es geht nicht um die Noten." „Oh man, er ist doch erst 12, fängt das jetzt schon an. Hoffentlich geht nichts schief bei dem Antrag, ich bin ganz nervös." Jennifer gab Matt die Gießkanne zurück. „Keine Sorge, ich hab in Wahrheit alles geplant und Lucas muss sich nur an die Zeiten halten." Wir müssen sowieso getrennt fahren, fahr schon mal los!" „Nein, ich warte beim Auto." Matt ging zurück zum Auto, um ihr etwas Freiraum zu geben. Jennifer war gerne alleine hier, doch seit dem letzten Ultraschall ließ sie Matt nicht mehr aus den Augen. Das Wissen, dass es jederzeit losgehen konnte, machte ihn noch ganz verrückt. Erst gestern musste sie dafür kämpfen, dass er sie noch mit dem Auto fahren ließ. Jedes Mal, wenn sie hier stand, hatte sie das Gefühl, dass ihr Herz erneut zerbrach. Es war ihr ein Rätsel, warum manche Menschen behaupteten, dass es einfacher würde. Es war schon einige Jahre her und doch war es nicht leichter, wenn überhaupt, vermisste sie ihre Oma noch viel mehr. Ein Schwall von Trauer erfasste sie und sie wollte gerade gehen, um nicht in Tränen auszubrechen, als sie am Rande des Grabes etwas Blaues sah. Jennifer blieb stehen, um es genauer zu untersuchen und stellte fest, dass es Vergissmeinnicht waren. Sie sah sich um, konnte aber keine Weiteren finden. Ihre Hand wanderte zu der Kette, die sie um hatte, ein Geschenk von ihrer Oma. Der Anhänger hatte ein Vergissmeinnicht in sich, sie hatte es ihr zur Hochzeit geschenkt, nachdem einige Tränen geflossen waren. Jennifer war nicht gläubig und gehörte keiner Religion an, doch fühlte es sich wie ein Zeichen an. Nie hätte sie gedacht, diese Art von Leben zu führen, sie war glücklich. Ihre Oma hatte ihr geholfen, ihren Platz im Leben zu finden, an das Gute in den Menschen zu glauben und sie würde ihrer Tochter Maria alles erzählen, sobald sie alt genug war. Jennifer würde ihre Oma niemals vergessen! 



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