Er war angetan von der jungen Frau, die ihm als Begleitung und Übersetzerin beigestellt worden war, auch wenn er den Anflug dieses Gefühls am liebsten gleich im Keim erstickt hätte. Für Steve war es, als wäre es gerade erst gestern gewesen, dass er seine erste Liebe und womöglich die Liebe seines Lebens verloren hatte. Obwohl er noch nicht bereit war, ganz loszulassen, und eigentlich auch nicht loslassen wollte, konnte er nicht verhindern, dass Yuki Leclerc ihn beeindruckte. Sie war so anders als alle anderen Vertreterinnen ihres Geschlechts, die er in seiner Zeit gekannt hatte, ja sogar anders als Peggy, die schon für damalige Verhältnisse der Inbegriff einer modernen und emanzipierten Frau war. Sein deutscher S.H.I.E.L.D-Kontakt – Erscheinungsbild und Name ließen auf eine japanische Herkunft schließen – war selbstbewusst, wie Peggy, doch darüber hinaus war Auftreten nicht nur selbstsicher, sondern geradezu keck.
Und sie konnte fluchen, wie er es nur von Hafenarbeitern kannte. Sogar mit bestenfalls rudimentären Deutschkenntnissen wusste er, dass sie genau das getan hatte, als sie ihre Kollegen über dieses winzige Kommunikationsgerät angeschrien hatte. Davon wäre er abgeschreckt worden, wenn sie sich ihm gegenüber nicht auch freundlich und zuvorkommend gezeigt hätte. Bei dem Gedanken an den Rollstuhl, den sie fürsorglicherweise mitgebracht hatte, konnte er ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Er war sich sicher, dass er es in den nächsten Wochen gut mit ihr aushalten konnte - so lange er sie, Gott möge es verhüten, nicht gegen sich aufbrachte. Eine solche Schimpftirade wie am Nachmittag wollte er auf keinen Fall auf sich ziehen. Im Großen und Ganzen hätte er es nämlich schlimmer treffen können, zum Beispiel mit einer deutschen Variante von Nicholas Fury, die ebenso bestimmend und geheimniskrämerisch war wie das Original.
Als sie ihm zeigte, dass er nur die Hände unter den Wasserhahn halten musste, um den Sensor zu aktivieren, dass das Wasser lief, war er insgeheim dankbar dafür, dass sie ihn für sein Erstaunen nicht ausgelacht hatte. So wie es Menschen seines Umfelds von früher oft getan hatten. Auch das hielt er ihr zugute.
Nachdem Ms. Leclerc wieder in ihr Zimmer zurückgekehrt war, beschloss er, sich eine ausgiebige Dusche zu gönnen. Und wieder staunte er, dass das Wasser nicht aus einem Duschkopf kam, der sowieso nicht vorhanden war, sondern dampfend aus mehreren Düsen seitlich in der Duschkabine strömte. Er schloss die Augen, genoss die heißen Wasserstrahlen und begann, dem Heute, welches sein Übermorgen war, etwas Positives abzugewinnen.
Zur verabredeten Zeit war er fertig und wartete rasiert und in einen Smoking gekleidet darauf, dass seine Übersetzerin ihn zu dem offiziellen Abendessen begleitete. Sie ist pünktlich, stellte er in Gedanken fest, als er ihr Klopfen hörte. Das war seinem Vater immer sehr wichtig gewesen und so war es auch ihm in Fleisch und Blut übergegangen, diesen Wesenszug an anderen Menschen als vorteilhaft anzusehen. Als er die Tür öffnete, blieben ihm zuerst die Worte weg. Yuki Leclerc war schon am früher am Tag im Businesslook mit elegantem Hosenanzug eine angenehme Erscheinung gewesen. Mit der Auswahl des klassischen Kleinen Schwarzen am heutigen Abend spielte sie in einer Liga, die eindeutig zu hoch war für den Steve Rogers, der er vor Dr. Erskines Experiment gewesen war. Heute war das anders, doch heute war er nicht auf der Suche nach einer Tanzpartnerin und potenziellen Partnerin. Dennoch konnte er Bewunderung zollen, wo er sie für angemessen hielt. Es würde bestimmt ein schöner und unterhaltsamer Spätsommerabend werden.
„Guten Abend. Sie sehen bezaubernd aus, Ma'am", brachte er heraus, bevor das Schweigen sich zu einer Peinlichkeit auswachsen konnte.
„Oh, Danke. Sie aber auch... ich meine nicht bezaubernd, sondern... ähm, Sie wissen schon... äh gut eben. Ach, verflixt."
Da kann jemand aber gar nicht gut mit Komplimenten umgehen, dachte Steve sich. Und als sie ihm bedeutete, ihr zu folgen, und sich umdrehte, ließ er sich wieder einen kurzen Moment ablenken. Sein Blick blieb auf ihren schwarzen Haaren haften, die sie seitlich nach hinten geflochten und dann offen trug, sodass sie wie Rabenschwingen über ihren bloßen Rücken gebreitet waren. Viel tiefer durfte der Ausschnitt des Kleides dort nicht mehr sein. Steve runzelte missbilligend die Stirn und hoffte, sie würde später am Abend die Stola tragen, die sie jetzt noch über den Arm gelegt hatte. Er war eindeutig zu altmodisch für das Jahr 2011. Doch anstatt etwas zu sagen, schloss er nur schweigend zu ihr auf, denn schließlich ging es ihn überhaupt nichts an, wie sie sich kleidete.
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Suche Held, biete Phönix
FanfictionWie kommt jemand zurecht, der nach siebzig Jahren Kälteschlaf in eine völlig neue, ja fremdartige Umgebung geworfen wird? Wie verarbeitet er den Verlust aller, die ihm einmal etwas bedeutet haben? Ganz besonders der einen Person, der er seine Liebe...