Die zwei Tage, die sie noch in Berlin verbrachten, verliefen ruhig. Weder hatte Steve die mutmaßlichen Verfolger noch einmal gesehen, noch hatten sich Yukis Kollegen einen weiteren Scherz mit ihr erlaubt. Vielleicht, weil sie jetzt eigentlich immer in Steves Begleitung auftauchte. Ihr war es ganz recht, unabhängig davon, ob das der tatsächliche Grund dafür war. Leider hatte sie selbst auch noch nicht die Gelegenheit gehabt, es Mike Hermann, Axel Hennings und Timo Berger heimzuzahlen. Sie war sich sicher, dass die drei sie bei Steves Abholung am Flughafen so hatten auflaufen lassen. Ihr Teamleiter Ulf war harter Hund und knochentrocken, der hätte sich nie für so einen Kinderkram hergegeben, und Alexandra Junginger, ihres Zeichens Operator und gleichzeitig Teamassistentin, war Feministin durch und durch. Sie war so froh über eine weitere Frau im Team, dass sie sich lieber einen Finger abgehackt hätte, als einer Geschlechtsgenossin so in den Rücken zu fallen. Beide hatten am Abend noch eine kurze Kneipentour gemacht und auf mehr Frauenpower in einer noch männerbeherrschten Domäne getrunken.
Als Steve sich das erste Mal allen im Büro vorgestellt hatte und Ulf eine recht lange (und öde) Rede zur Begrüßung gehalten hatte, hatte sie ihren Racheplan nicht verwirklicht. Im Beisein des Chefs war das nicht besonders klug. Sie kannte ihn ja noch nicht lang genug, um zu wissen, ob er zu der Sorte Vorgesetzter gehörte, die Spaß verstanden. Zumal er ja von dem ersten Streich auch nichts gewusst hatte.
Steve hatte sich jedenfalls bei seinem ersten Zusammentreffen mit den Angehörigen der deutschen S.H.I.E.L.D.-Dependance sehr wohl gefühlt. Das hatte sie nicht nur selbst bemerkt: Er hatte ihr am folgenden Abend auch persönlich gesagt, wie bereichernd er seine Europa-Reise schon jetzt fand. Auch für Ulf Hauser fand er lobende Worte, den er für einen kompetenten und integren Mann hielt. Nur was die „jungen Leute" anging – genauso hatte er es ausgedrückt – war er sich nicht sicher, ob sie der Verantwortung ihrer Aufgabe gewachsen waren. Er hatte Worte wie „unbedarft" und „töricht" verwendet und staunte über den lockeren Umgang all der „jungen Leute" mit ihrem Vorgesetzten. Dabei hatte er auch Yuki vorwurfsvoll angesehen. Sie grinste bei dem Gedanken an das Gespräch. Mit jedem seiner Worte bewarb sich dieser Mann für den Titel „Großvater des Jahres".
„Weißt du, das ist heute einfach anders. Blinder Gehorsam ist nicht mehr zeitgemäß – schließlich sind wir keine Soldaten. Ich bin zwar noch nicht lange dabei, aber wenn's drauf ankommt, dann weiß jeder, was er zu tun hat. Ulf wählt sich seine Leute schon genau aus, und ihn hältst du ja wohl kaum für einen Dummkopf", hatte sie erwidert. Er hatte widerstrebend genickt und versprochen, allen erst einmal eine Chance zu geben, sich zu bewähren.
Das konnte noch anstrengend werden mit Steve, denn es gab bestimmt noch vieles, das ganz anders lief als vor fast einem dreiviertel Jahrhundert. Wer von ihnen beiden mehr Geduld aufbringen musste, würde sich zeigen. Langeweile, wie sie zu Anfang befürchtet hatte, würde jedenfalls nicht so schnell aufkommen.
Yuki stellte ihre Kaffeetasse unter den Auslauf des Vollautomaten in Steves Suite und ließ sich ein zweites Heißgetränk ein. An diesem letzten Tag in der Landeshauptstadt war nun auch die letzte Gelegenheit gekommen, den Kollegen einen Streich zu spielen, bevor Steve und sie aufbrechen würden. Erst zu einer kleinen Flusskreuzfahrt entlang des Neckars und des Rheins und dann quer durch Europa. Sie wollte nur in der WG noch ein paar Sachen packen, sich verabschieden und im Büro vorbeischauen, ehe sie und Steve den Flieger nach Stuttgart nahmen, wo sie einschiffen würden. Alexandra hatte ihr schon früh am Morgen gesimst, dass Smartphone, Laptop und Tablet für Steve bereit lagen. Er war so begeistert von den Möglichkeiten der modernen Kommunikation und Informationstechnologie gewesen, dass Yuki entsprechende Ausrüstung für ihn geordert hatte. Das Telefon für ihn war schon von Direktor Fury höchstpersönlich angefordert worden. Alexandra erstarrte noch immer in Ehrfurcht, weil er sie persönlich darum gebeten hatte.
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Suche Held, biete Phönix
FanfictionWie kommt jemand zurecht, der nach siebzig Jahren Kälteschlaf in eine völlig neue, ja fremdartige Umgebung geworfen wird? Wie verarbeitet er den Verlust aller, die ihm einmal etwas bedeutet haben? Ganz besonders der einen Person, der er seine Liebe...