Kapitel 5

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So schnell wie der Herbst mitsamt seiner bunten Blätter und dem kühlen Wind gekommen war, hatte er sich auch schon in klirrende Kälte und wattebauschgroße Schneeflocken verwandelt. Es war mitten im Dezember. Auf dem Schlossgelände tobten die Schneestürme, die Tag für Tag eine weiße Landschaft zauberten. Das Quidditchtraining wurde immer öfter abgesagt und die Schüler verließen das Schloss nur noch für Kräuterkunde oder für den Unterricht Pflege Magischer Geschöpfe bei Hagrid. Lieber saßen sie vor den warmen Kaminen in ihren Gemeinschaftsräumen oder in der Bibliothek. Doch selbst wenn das Wetter nicht so kalt und nass wäre, hätten Harry, Ron und Hermine nicht viel davon. Zu sehr waren sie mit Hausaufgaben und Lernen beschäftigt. Mittlerweile mussten sie den Ungesagten Zauber auch noch für Zauberkunst üben, was bei Ron beinahe zu einem Nervenzusammenbruch geführt hatte.

So lernten sie nicht nur neue Zauber und diese anzuwenden, sondern auch diese unausgesprochen auszuführen. Für die meisten Schüler des sechsten Jahrgangs kostete dies beinahe die gesamte Energie eines Tages, den sie damit verbrachten in den Unterricht zu gehen, um danach weiter zu lernen. Selbst Hermine hatte so viel um die Ohren, dass sie Ron und Harry nicht mehr anklagte, wenn sie mal eine Verschnaufpause vom Lernen einlegten und eine Runde Zauberschach spielten, statt sämtliche Bücher zu wälzen. Zu Harrys Glück war er durch Hilfe der gekritzelten Anweisungen in seinem zerfledderten Zaubertrankbuch, die er stets befolgte, mittlerweile Klassenbester in Slughorns Unterricht und musste sich kaum bemühen, dort eine gute Note zu erzielen. Was allerdings nicht hieß, dass er weniger tun musste als Ron und Hermine. Als Kapitän der Gryffindormannschaft musst er sich stets um neue Trainingstermine kümmern, sein Team zusammentrommeln und sie dazu motivieren bei dem Sauwetter rauszugehen und zu spielen. Außerdem hing er in Astronomie hinterher und in Kräuterkunde hatte er Schwierigkeiten seine Kreischbeißerpflanze richtig zu ernähren. In jeder Unterrichtstunde biss und kratzte sie ihn mindestens ein Dutzend Mal. Auch Rons Hände und Arme sahen nicht besser aus, während Hermines Pflanze ihr zufrieden die Hand leckte und sich an sie schmiegte.

Neben dem Büffeln in der Bibliothek, dem Zaubern im Gemeinschaftsraum und der kalten, nassen Trainingsstunden ließen Harry aber auch die Gedanken an Malfoy keine Ruhe. Seit der nächtlichen Unterhaltung hatten sie kein Wort mehr gewechselt. Harry hatte sich an den schweigsamen Slytherin gewöhnt, zumindest erwartete er keine Beleidigungen mehr, was ihm ganz Recht kam. Malfoy ignorierte Harry und Harry ignorierte Malfoy. Doch irgendwie war er enttäuscht, dass Dumbledore in diesem Moment hatte auftauchen müssen. Es hatte ihn überrascht, als Malfoy vom ersten Schuljahr gesprochen hatte und er hatte das Gefühl, dass er noch mehr hatte sagen wollen. Was wäre also gewesen, wenn Dumbledore ihn nicht unterbrochen hätte? Er würde es wohl nie erfahren. Harry und Malfoy taten so, als sei ihr Zusammentreffen nie geschehen, als hätten sie nie ein Wort verloren und Harry hatte es auch Ron und Hermine nicht erzählt.

Wenn er in der Bibliothek war um zu lernen – was ziemlich häufig der Fall war -, sah er oft Malfoy in der selben Ecke am selben Tisch sitzen, wo er immer über Bücher brütete. Doch niemals setzte er sich dazu. Stattdessen suchte er sich rasch einen freien Tisch, gesellte sich zu anderen Schülern dazu oder verließ sofort wieder die Bibliothek. Denn jedes Mal, sobald Harry den Blondschopf auch nur aus der Ferne erspähte, bekam er ungewöhnliches Gefühl im Bauch, als würden tausend Minimuffs sich gegenseitig herumschubsen. Es war nicht angenehm, manchmal fühlte es sich so an, als hätte Harry etwas Falsches gegessen und sein Magen würde es ihm melden. So ging Harry Malfoy physisch zwar aus dem Weg, hing aber gedanklich jeden Tag beinahe rund um die Uhr an dem Gedanken an den Slytherin. Mittlerweile hatte ihn die Todesser-Theorie wieder eingeholt und er versuchte verschärft zu überlegen, ob er irgendetwas übersehen hatte. Etwas wie einen Beweis, dass er Recht hatte.

„Ich kann nicht glauben, dass wir jetzt auch noch in Kräuterkunde so ein Tagebuch führen müssen. Ich dachte, wenn ich Wahrsagen abwähle, werde ich nie wieder so etwas machen müssen", maulte Ron, als sie eines späten nachmittags zu dritt in der Bibliothek saßen.

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