Kapitel 8

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Gedankenverloren beobachtete Harry wie die Schneeflocken leise auf den Boden schwebten. Es war bereits dunkel draußen. Vielleicht war es acht Uhr, vielleicht auch elf Uhr. Schon seit Stunden hielt er sich in der Bibliothek auf, weil er Aufsätze für Professor Snape, Professor Flitwick und Professor McGonagall bis morgen fertig schreiben musste. Hermine hatte bis vor einer halben Stunde noch bei ihm gesessen, doch sie war bereits mit allem fertig und hatte ins Bett gehen wollen. Wo Ron war, wusste Harry nicht. Er sah ihn selten alleine, denn meistens schwirrte Lavender um ihn wie eine lästige Fliege. So konnten sie kaum vernünftig reden. Es fehlte Harry. Mit Hermine konnte er wirklich gut reden, doch Ron war noch mal etwas anderes. Es erinnerte ihn stark an das vierte Schuljahr.

Seufzend ließ er den Blick von den Schneeflocken sinken und schaute auf die Pergamentrollen, die vor ihm ausgebreitet lagen. Außer ihm waren noch ein paar andere ältere Schüler in der Bibliothek, doch keiner redete. Sie alle brüteten konzentriert über dicken Büchern oder kritzelten wild auf ihre Pergamente. Es waren die letzten Tage vor den Weihnachtsferien und die Lehrer verlangten zum Halbjahresabschluss doppelt so viel. Die Aufsätze für Zauberkunst und Verwandlung hatte Harry soweit fertig, doch der für Snape lächelte ihn noch auffordernd an. Dabei war es bereits schwer genug gewesen, seine Gedanken überhaupt auf die Hausaufgaben zu konzentrieren, denn eigentlich herrschte ein pures Durcheinander in Harrys Kopf.

Das Gespräch zwischen Snape und Malfoy, das er am Abend von Slughorns Weihnachtsparty heimlich belauscht hatte, echote unaufhörlich in seinen Gedanken. Harry hatte von Anfang an Recht behalten. Malfoy hatte etwas vor. Und Snape wusste davon Bescheid. Angeblich machte er sich Sorgen um den ihn. Weggetreten malte Harry Kreise auf ein leeres Pergament und starrte wieder raus in das Schneegestöber. Dass Malfoy etwas mit Katie zu tun hatte, war ihm sowieso klar gewesen. Ihm beschäftigte das, was Snape außerdem gesagt hatte.

„Crabbe und Goyle. Die werden nichts taugen, Malfoy. Die werden Ihnen keine Hilfe sein."

„Ich hab nicht nur Crabbe und Goyle."

Daraufhin war es leise gewesen. So leise, dass Harry schon gedacht hatte, dass sie fortgegangen seien. Er holte tief Luft, als er sich an Snapes Worte erinnerte.

„Ah, wie ich sehe hat Ihre Tante Ihnen Okklumentik beigebracht. Was verbergen Sie, Malfoy?"

Wieder begann Harrys Herz an zu rasen. Snape hatte versucht in Malfoys Geist zu blicken, wie er es im letzten Jahr bei Harry getan hatte. Doch im Gegensatz zu ihm schien der Slytherin ihn verschließen zu können. Was also wollte Malfoy vor Snape verbergen? Ohne es gemerkt zu haben, hielt Harry sein mit Kreisen bemaltes Pergament fest in seiner Faust. Langsam öffnete er sie. Seine Gedanken überschlugen sich.

Hatte Malfoy an Harry gedacht?

Wollte er nicht, dass Snape merkte, wie er an ihn dachte?

Meinte Malfoy ihn, als er sagte, er habe nicht nur Crabbe und Goyle?

Blödsinn, sagte Harry sich selbst, faltete verloren das zerknitterte Pergament auseinander und strich es glatt. Als würde es wieder glatt werden. Er starrte die Kreise an. Die Tinte war verwischt. Selbst wenn er mit Malfoy sprechen würde. Selbst wenn Malfoy auch an ihn dachte. Niemals in der Welt würde Draco Malfoy etwas für Harry Potter empfinden.

Harry seufzte.

Würde Harry Potter denn jemals Draco Malfoy davon erzählen, wie er empfand?

Widerwillig nahm er sich seine Feder und zog den Aufsatz für Snape unter dem Durcheinander hervor. Dann schlug er sein Exemplar Im Angesicht des Gesichtlosen auf und beugte sich über den Text über das Entgegenwirken eines ungesprochenen Zaubers.

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