ganz nah - so weit weg von hier

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„Oh man! Wo ist mein scheiß Haargummi hin?" rief ich durch meine Wohnung. Manchmal hasste ich mich selbst dafür, so unordentlich zu sein. Besonders aber in diesem Moment, ich müsste in 15 Minuten bei der Arbeit sein und bräuchte mindestens 10 davon schon für den Weg.

Ich griff nach meinem Handy und wählte die Nummer meiner Besten Freundin. „Na du!", kam es fröhlich aus dem Lautsprecher, „Ich komme sowas von zur spät zur Arbeit.", sagte ich schlecht gelaunt. „Chill mal Mia, ich tische unserer Chefin einfach irgendeine Ausrede auf und sage, dass du gleich nachkommst." „Hoffentlich wird sie nicht allzu sauer auf mich sein. Danke, du bist ein Engel Klara!", antwortete ich ihr schon deutlich besser gelaunt.

Nachdem wir aufgelegt hatten, sah ich mich nochmal verzweifelt in meinem Badezimmer um, nur um meinen Kater in der Tür sitzend zu sehen - mit meinem Haargummi zwischen seinen Zähnen. „Nur wegen dir habe ich gerade so einen Stress, Paulchen!", fauchte ich ihn genervt an. Ich schnappte ihn mir und entzog ihm schnell das Haargummi, band mir die Haare zu einem Zopf und hechtete die Treppe runter zu meinem Auto.

Während ich stärker auf's Gas trat, als erlaubt, dröhnte aus den Lautsprechern Till's tiefe Stimme. „Zwischen deinen langen Beinen such' den Schnee vom letzten Jahr, doch es ist kein Schnee mehr da!" ich musste automatisch grinsen. Seine Stimme und die Riffs der Band hatten es mir schon seit Jahren angetan. Besonders sein zwischendurch rollendes „r" gefiel mir. Die Musik beruhigte mich. Sie erfüllte mich.

Als ich auf dem Parkplatz des hübschen Cafés parkte, sagte mir ein kurzer Blick auf's Handy gerade mal 08.07 Uhr. „Die paar Minuten kann mir wohl keiner übel nehmen.", dachte ich mir. Ich öffnete den Kofferraum meines Autos und griff nach meiner Handtasche, welche ich dort zum Glück schon gestern Abend hingelegt hatte.

Während die Ladentür mit einem leisen pling hinter mir zufiel, kam auch schon Klara auf mich zugelaufen. „Du hast Glück Mia!", rief sie mir entgegen. Aufgrund meines fragenden Gesichts fügte sie schnell, „Sarah kommt heute erst ab 12 Uhr! Sie hat einen kleinen Zettel auf den Tresen gelegt.", hinzu. Klara fuchtelte mit besagtem Zettel vor meiner Nase herum. Ich nahm ihn ihr ab, „Hey Mädels, komme heute erst ab 12 Uhr, habe vorher einen Termin. Lasst mir ja mein Café stehen! -Sarah" stand auf diesem. Ein grinsen machte sich auf meinem Gesicht breit, „Jaaa! Wir haben ein paar Stunden ohne die Hexe!", rief ich erfreut.

Auch wenn Sarah erst Mitte 30 war, konnte sie manchmal ein ganz schönes Biest sein. Sie ließ überhaupt nicht mit sich reden und war generell einfach nur unfair uns gegenüber. Jegliches Trinkgeld kassierte sie ein, da wir ihr immer Bescheid sagen mussten, wenn ein Tisch zahlen möchte. Außerdem ließ sie uns schwere Kisten oder sonstige Sachen aus dem Keller des Cafés nach oben schleppen, weshalb Klara und mir nach der Arbeit immer der Rücken schmerzte. Wir haben allerdings die Erfahrung gemacht, dass Beste Freunde eher selten die gleiche Stelle bekamen, weshalb wir trotz alldem froh waren hier zu arbeiten. Nur die Chefin könnte gerne getauscht werden, aber naja, wobei läuft denn schon alles perfekt?

„Komm, wir gehen erstmal hinter den Tresen, bevor gleich Kundschaft kommt.", sagte Klara, während sie mich am Ärmel hinter sich her zog. Ich schnappte mir meine Schürze und band sie mir um die Hüfte. Als ich anfing die Regale im Lagerraum hinter dem Tresen aufzufüllen, nahm ich nur beiläufig ein weiteres pling der Cafétür wahr. Ich hörte eine männliche Stimme und anschließend Klaras, wie sie ihm beschrieb auf welchen Platz er sich setzen könne. „Vielen Dank.", antwortete der Mann freundlich.

„Ich hab den Kunden an Tisch 4 gesetzt, Mia.", sagte sie zu mir während sie etwas aus einem Regal neben mir fischte. „Alles klar.", antwortete ich lächelnd. „Gehst du sofort Bestellung aufnehmen oder soll ich?", fragte Klara mich nun. Ein, „Ich geh schon, mach du den nächsten.", und ein Kopfnicken in Richtung Tresen meinerseits. Klara drehte sich um und erkannte so ebenfalls den nächsten Kunden, ein junges Mädchen, am Tresen stehen. Sie nickte mir, um ihr Verständnis deutlich zu machen, nochmal kurz zu und ging dann wieder aus dem Lagerraum.

Ich nahm mir einen unserer Blöcke und einen Kulli und machte mich auf den Weg zu Tisch 4. Schon von Weitem sah ich diesen großen, breit gebauten Mann dort sitzen. Auch wenn ich zunächst nur seinen Rücken sah, konnte ich mir schon vorstellen wie muskulös er sein musste. „Wieso erinnert mich nur jeder Mann mit ähnlicher Statur sofort an ihn?", machte ich mich gedanklich selbst über mich lustig. „Guten Morgen, kann ich Ihnen schon etwas bringen?", fragte ich freundlich. Der Mann sah von seiner Karte auf und schaute mich mit seinen neugierigen blaugrünen Augen an.

Ich schluckte. „Das... das ist nicht ernsthaft Till Lindemann der gerade vor mir sitzt, oder? Das bilde ich mir nur ein. Das muss ein schlechter Traum sein.", ratterte es durch meinen Kopf. Er sah mich, entzückt über meine Reaktion, lächelnd an. „Ich hätte gerne einen Kaffee.", kam es mit rauer Stimme von ihm. „Der soll bloß nicht denken, ich würde wegen ihm die Professionalität verlieren.", meldete sich das Ego in mir. „Gerne. Mit Milch oder Zucker?", fragte ich ihn zuckersüß. „Ich trinke meinen Kaffee schwarz.", so Till. Einen nicken meinerseits, „Alles klar. Darf ich Ihnen sonst noch etwas anbieten?", ich lächelte ihn an. „Was kannst du mir denn empfehlen?", fragte nun er, immer noch mit einem grinsen auf seinen Lippen. „Unsere Croissants sind sehr lecker, weicher Teig und einfach perfekt für zwischendurch. Sonst kann ich Ihnen auch unsere Brote empfehlen, sie komme sofort erst aus dem Ofen.", zählte ich ihm auf. „Mhm... ich denke ich nehme dann ein Croissant, auch wenn ich sonst nicht unbedingt auf weich stehe.", zwinkerte er mir zu. Ich spürte wie die Röte in mein Gesicht schoss. „Okay, also ein Croissant...", murmelte ich, während ich anfing seine Bestellung aufzuschreiben. Noch ein „Kommt sofort" meinerseits, als ich wieder Richtung Tresen steuerte.

Klara war gerade am kassieren eines Kunden, welcher nur etwas zum mitnehmen bestellte. Als dieser nun auf dem Weg nach Draußen war, zog ich Klara an mich und deutete mit dem Kopf unauffällig Richtung Tisch 4. „Weißt du nicht wer das ist?", flüsterte ich ihr eindringlich zu. „Nein. Wer soll das denn sein?", kam es von ihr, ebenfalls in Flüsterton, zurück. „Das ist Till! Till Lindemann!" „Moment, der Till Lindemann?", fragte Klara ungläubig. Ich nickte stark mit dem Kopf. „Und? Findest du ihn in echt auch so wahnsinnig toll wie du sonst immer von ihm schwärmst?" „Klara! Ich hab nur seine Bestellung aufgenommen, kein privates Gespräch mit ihm geführt." „Jaja, schon klar. Worauf wartest du dann? Mach seine Bestellung und schnapp ihn dir! Ich halte hier die Stellung.", sagte Klara nun selbst total aufgeregt zu mir. Ich kicherte. „Klar, ich schnapp mir mal eben so Till Lindemann." Nun lachte auch sie.

Ich stellte die Kaffeemaschine an, um Tills Kaffee zu kochen. Während sein Kaffee langsam in die Tasse lief, suchte ich ihm ein Croissant raus und legte es auf einen Teller. Nebenbei drifteten meine Gedanken immer wieder zu unserem Gespräch. War das ein kleiner flirt von ihm gewesen? Immerhin hat er mir zugezwinkert. Er, Till Lindemann! Ich konnte mein Glück immer noch kaum fassen, mein Idol hautnah, keine 10 Meter weiter an einem Tisch sitzen zu haben. Ich sah zu ihm rüber und entdeckte seine blaugrünen Augen, welche auf mir lagen. Sofort schoss mir die Röte wieder in die Wangen. Er lächelte mich nochmal an, bevor ich meine Aufmerksamkeit wieder auf seinen Kaffee richtete. Ich nahm die inzwischen vollgelaufene Tasse und stellte sie auf einen Unterteller, auf welchem bereits ein kleiner Keks platziert war. Beide Sachen stellte ich auf mein Tablet und machte mich auf den Weg zu ihm.

Till schob unsere Speisekarte an den Rand des Tisches, als ich mein Tablet auf dem Tisch abstellte. Erst stellte ich das Croissant vor ihm ab und als nächstes seinen Kaffee. „Hübsches Tattoo hast du da.", sagte er lächelnd, während er mit dem Kopf auf mein Handgelenk deutete. „Oh Gott wie peinlich.", dachte ich mir, als ich mit den Fingern über das kleine schwarze Rammstein Logo fuhr, um welches die Namen der 6 Musiker platziert war. „Dankeschön Herr Lindemann", nuschelte ich leise. „Oh bitte, sag doch Till zu mir. Wenn mein Name schon unter deiner Haut steht...", antwortete er belustigt. Mit leicht hochgezogener Augenbraue sah ich ihn an. „Setz' dich doch bitte zu mir.", sagte er nun gelassen. Ich blieb wie angewurzelt stehen, tausend Gedanken schossen mir in den Kopf. Hatte er mich das gerade ernsthaft gebeten? Mich, einer nicht mal wirklich hübschen Kellnerin? Ich hatte nichts besonderes an mir, ich war einfach total normal. Und er? Er war alles andere als einfach normal. Er war viel viel mehr als das. Mein inneres Fangirl zurückhaltend stellte ich mich schließlich der indirekten Frage seinerseits: Sollte ich? Sollte ich nicht?

Am Ende bist du ganz allein, doch wir werden bei dir sein.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt