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Hätte man mich vor dem Date mit Nick nach meinem absoluten Traumdate gefragt, hätte ich wahrscheinlich nur gelacht und für mich gedacht, dass die besten Dates sowieso nur in meiner Vorstellung stattfanden, während ich ein gutes Buch in der Hand hielt. Aber Nick war anscheinend direkt aus einem Buch entsprungen, anders konnte ich es mir nicht erklären. Schon, als er diese Schlüssel zur Bücherei aus seiner Tasche gezogen hatte, hätte mir klar sein müssen, dass dieser Tag für immer in meiner Erinnerung leben würde.

Alleine das Gefühl nachts alleine in einer riesigen Bücherei zu sein – umgeben von Büchern soweit das Auge reicht, war unbeschreiblich. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind an Weihnachten – nur noch besser. Büchereien hatten immer diesen Effekt auf mich, dass ich mich niemals nicht wohlfühlen konnte, während ich mich in ihnen befand. Der Geruch von Papier und Büchern hing in der Luft, wie ein Versprechen, von tausend Geschichten, die erzählt werden wollten. Ich würde niemals verstehen, wie sich Menschen dem Bann der Bücher entziehen konnten. Wie konnte man sich nicht in fantastischen Welten verlieren wollen? Wie konnte man sich nicht in Charaktere verlieben, erschaffen aus Worten und Tinte auf Papier?

Ich hatte gar nicht bemerkt, wie sehr ich strahlte, bevor Nick sagte: "Wenn ich gewusst hätte, dass ich mit Büchern ein solches Lächeln auf dein Gesicht zaubern kann, hätte ich dir schon eins zum ersten Treffen mitgebracht". Ich errötete und wandte verlegen den Blick ab, doch er hielt mein Gesicht fest und lächelte mich an. "Nicht. Ich mag dein Lächeln". Das war natürlich nicht gerade hilfreich, um meine Röte verschwinden zu lassen, also räusperte ich mich und fragte schnell: "Und was hast du jetzt vor? Ich glaube kaum, dass du mir meinen größten Kindheitswunsch erfüllt hast, um mir dabei zuzusehen, wie ich ein Buch nach dem anderen durchsuchte?". Er wiegte den Kopf hin und her, als würde er darüber nachdenkend.
"Verlockendes Angebot, angesichts des Lächelns, das ein Buch anscheinend in dir hervorruft, aber du hast Recht. Einen Moment bitte". Er kramte in seiner Jackentasche und zog schließlich einen etwas verknitterten Zettel hervor, den er mir in die Hand drückte.
"Hier. Wir machen jetzt nämlich eine Schnitzeljagd!", verkündete er. "Eine Schnitzeljagd?", wiederholte ich fragend.

Denn das hatte ich nun wirklich nicht erwartet. Gut, andererseits hatte ich bisher gar nichts von dem kommen sehen, was Nick getan hatte. "Genau. Öffne den Zettel", forderte er mich erwartungsvoll auf und nachdem ich meine Überraschung überwunden hatte, faltete ich den Zettel auf. "Essen und Trinken Bio 4.1". Verwirrt runzelte ich meine Stirn. Was sollte das denn bedeuten? Nick schien mir meine Verwirrung anzusehen, denn er fragte grinsend: "Brauchst du Hilfe?". Ja! Aber das würde ich ganz sicher nicht zugeben! Ich hatte eine unglaublich kompetitive Ader und konnte einer Herausforderung ganz sicher nicht widerstehen. Okay, das erste war ganz klar die Kategorie, in der sich ein bestimmtes Buch befand, also war es sinnvoll, erstmal die Sektion zu finden.

Suchend sah ich mich in der Bücherei um, bis mein Blick an einem weißen Schild über ein paar Regalreihen hängenblieb auf dem Essen und Trinken stand. Ein siegessicheres Grinsen breitete sich auf meinen Lippen aus. "Nope", antwortete ich Nick also möglichst selbstbewusst und steuerte auf die Regale zu. "Ich habe alles im Griff". Okay, weiter im Text. Die Nummer war wahrscheinlich Teil der Sortierung, aber für was stand die Abkürzung Bio? Essen aus biologischem Anbau? Suchend ließ ich meinen Blick über die Buchrücken schweifen, in der Hoffnung sie würden mir einen Hinweis geben, als mein Blick am Namen eines Autors hängenblieb. Erkenntnis breitete sich in mir aus, als mein Blick auf die Abkürzung und die Nummer fiel. Natürlich, die Bücher waren nach Autoren sortiert. Innerhalb kürzester Zeit hatte ich das Kochbuch mit der entsprechenden Nummerierung gefunden. "Die Rezepte meines Lebens" von Alfred Biolek. Ich zog es heraus und hielt es Nick mit einem triumphierenden Lächeln entgegen.

"Gut gemacht", sagte er und ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen angesichts meiner unverhohlenen Freude. Etwas ratlos sah ich das Buch nun an. Und was jetzt?
"Es würde vielleicht helfen das Buch zu öffnen", sagte Nick neckend. Ich zog eine betont gleichgültige Miene. "Das hatte ich gerade vor Mr. Impatient", behauptete ich und schlug das Buch auf, was mir ein leises Lachen einbrachte. Ein weiterer Zettel flatterte mir entgegen und ich pflückte ihn schnell aus der Luft, bevor er zu Boden flattern konnte und faltete ich auf. "Was ist dein Lieblingsessen? Fantasy Dip 2.3". Meine Augenbrauen schossen in die Höhe. Ich hatte nur mit einem weiteren Hinweis gerechnet, nicht auch noch damit. Als ich nichts sagte, fragte Nick: "Und? Was ist nun dein Lieblingsessen? Oder warte, lass mich raten!". Er kniff die Augen zusammen und tat, als würde er mich durchleuchten. "Lasagne", sagte er dann absolut überzeugt und ich sah ihn überrascht an.
"Woher weißt du das?", fragte ich. Langsam war ich wirklich der Überzeugung, dass er in der Lage war Gedanken zu lesen. "Intuition", erwiderte er grinsend und zwinkerte mir zu. Sein Zwinkern sollte definitiv nicht so sexy aussehen. Das war nur fiktionalen Charakteren vorbehalten – im wahren Leben, sah es doch normalerweise echt dämlich aus. Doch dieses ungeschriebene Gesetz schien für Nick Miller nicht zu gelten – was richtig unfair war. Wie sollte eine Frau ihr Herz bloß davon abhalten sich in einen Typen zu verlieben, wenn er nicht nur mit Green Flags um sich schmiss, sondern dazu noch so verdammt anziehend war? "Und was ist dein Lieblingsessen?". Eine taktische Frage, die ich stellte um davon abzulenken, dass ich sein Zwinkern wirklich verdammt sexy fand. "Wraps", sagte er ohne lange zu überlegen. "Echt? Dann würdest du dich gut mit meiner besten Freundin verstehen. Sie könnte ständig Wraps essen", bemerkte ich. Das war noch eine Untertreibung. Olive war verrückt nach Wraps. Es war mein Ass im Ärmel, wann immer ich sie bestechen musste.

Es war nicht übertrieben, wenn ich sagte, dass ich mich auf diesem Date das Erste mal seit Ewigkeiten wieder vollkommen glücklich fühlte. Mit seiner Schnitzeljagd, führte mich Nick einmal quer durch alle Genres, die die Bücherei zu bieten hatte und sorgte dafür, dass wir so die unterschiedlichsten Dinge übereinander erfuhren. Bei einem Buch über die menschliche Anatomie zum Beispiel, wollte er wissen, was meine schlimmste Verletzung gewesen war – Loch im Kopf, weil ich mit dem Kopf gegen eine Mauer gefallen war, als ich ungefähr sechs war. In einem Fantasybuch flatterte mir die Frage entgegen, welche Superkraft ich für absolut unterschätzt hielt – mit Tieren sprechen. Und bei den Klassikern war die Frage, von welchem Autor oder welcher Autorin – keine Ahnung warum ich es so anziehend fand, dass er bewusst genderte – ich jedes Buch blind kaufen würde – zu viele, um jemanden spezifischen zu nennen. Im Austausch beantwortete Nick die Fragen natürlich auch und mit jedem Buch, das ich fand, versammelten sich mehr Schmetterlinge in meinem Bauch.

Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit dabei draufging, denn mein Zeitgefühl war irgendwo zwischen dem ersten Buch und einer Diskussion darüber, ob es auch Buchverfilmungen gab, die besser als das Buch waren – gab es nicht – verloren gegangen. Mir kam es vor, als wären nur Minuten vergangen, aber mein grummelnder Magen sagte etwas anderes. Aber natürlich war Nicholas Miller noch nicht fertig damit, meine Erwartungen die ganze Zeit zu toppen.

Unsere Schnitzeljagd endete nämlich in einer kleinen Leseecke, die auch für öffentliche Anlässe gedacht war. Sitzsäcke waren vor einer Leinwand platziert, die an der Wand hing. Eine Reihe von Snacks war vor den Sitzsäcken ausgebreitet und ein Stapel mit Disneyfilmen lag neben den Sitzsäcken bereit. Sprachlos ließ ich das Bild auf mich wirken. Ein kleiner Klumpen an Emotionen, formte sich in meiner Brust. Noch nie hatte sich jemand so viel Mühe für mich gegeben. Logan hatte mich zwar immer in schicke Restaurants ausgeführt, aber nur um dann zu kritisieren, dass ich eine Salat- und eine Steakgabel nicht auseinanderhalten konnte, weil ich als Kind nicht gerade im Wohlstand aufgewachsen war. Aber Nick hatte das alles für mich organisiert und das obwohl er nicht viel Zeit hatte. Die Vorstellung, dass er sich extra für mich diese Zeit genommen hatte... Als er auch noch ein paar Lichterketten anmachte, war es um mich geschehen. Eine Träne entwischte mir aus dem Augenwinkel. Hastig wischte ich sie weg, aber Nick hatte sie schon gesehen.

"Hey, alles gut? Habe ich was falsch gemacht?". Hastig schüttelte ich den Kopf.
"Nein, ganz im Gegenteil. Das hier ist wahrscheinlich das schönste Date, das ich jemals hatte und ich kann damit gerade nicht umgehen", gab ich ehrlich zu und seine Miene wurde weich. "Darf ich das als ein Zeichen deuten, dass du Ja sagen würdest, zu einem weiteren Date?". Ein wässriges Lachen blubberte in mir hoch.
"Nur wenn du mir versprichst mich nicht wieder zum weinen zu bringen", erwiderte ich. Seine Miene wurde ernst. "Dich zum Weinen zu bringen, ist wirklich das Letzte, was ich will", sagte er und etwas an der Art, wie er das sagte, brachte die Emotionen in mir zum Übersprudeln. Spannung baute sich zwischen uns auf, während sich der Abstand zwischen uns verringerte. Hitze lag in seinem Blick, als er mich jetzt ansah du mein Atme blieb mir auf halbem Weg in meinem Hals stecken. "Ich würde dich jetzt wirklich gerne küssen, Gillian". Seine Stimme klang belegt und rau. Ein Kribbeln durchfuhr mich bei dem Gedanken, wie sich seine Lippen auf meinen anfühlen würden. "Dann tu es doch", antwortete ich atemlos, als hätte ich gerade einen anstrengenden Lauf hinter mir. Mehr brauchte es nicht, damit Nick mich an sich zog und seine Lippen auf meine legte.

The Chaos I fell forWo Geschichten leben. Entdecke jetzt