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Die letzten Tage vor Weihnachten, verschwammen in einem Strudel aus heftigen Emotionen. Zuerst Mal hatte ich es tatsächlich gewagt, Logan anzuzeigen. Wegen dem Einbruch und wegen allem anderen, das vorher passiert war. Was dabei definitiv geholfen hatte, war dass ich in klaren Momenten während unserer Beziehung Fotos von diversen Verletzungen gemacht hatte, die meine Aussage untermauerten. Logan hatte natürlich versucht alles abzustreiten und mithilfe seiner Kontakte etwas auszurichten, aber die Fotos und die Aussage von Olive hatten letztendlich den Ausschlag gegeben und mein Gehirn konnte nicht realisieren, dass ich endlich keine Angst mehr vor Logan haben musste. Nick hatte sein Wort gehalten und irgendwie dafür gesorgt, dass Logan seine Drohungen nicht wahrmachen konnte.

Das Gespräch mit Olive und meiner Mutter, war sehr viel schwieriger gewesen. Nachdem ich bei der Polizei meine Aussage gemacht hatte, war ich direkt zu meiner besten Freundin gefahren und hatte ihr die Wahrheit zu meiner Beziehung mit Logan erzählt. Sie hatte geheult und dann hatten wir gemeinsam geheult, während ich ihr die Vorwürfe ausreden musste, die sich machte, weil sie mich nicht mehr dazu gedrängt hatte, ihr die Wahrheit über meine vielen Verletzungen zu erzählen. Dann hatte sie angefangen Logan zu verfluchen und ich hatte sie nur mit Mühe davon abhalten können, selbst etwas zu tun, für das sie im Gefängnis landen könnte.

Weil ich dann schon dabei war, war ich zu meiner Mom gefahren, die zum Glück nicht weit weg wohnte und hatte ihr ebenfalls die Wahrheit erzählt. Das Gespräch mit meiner Mutter hatte mir das Herz gebrochen. Zu sehen, wie sie realisierte, was mir passiert war und dann die Parallelen zu ihren eigenen Erfahrungen mit meinem Vater zog, war wahrscheinlich eines der schlimmsten Dinge, die ich jemals gesehen hatte. Sie hatte mich eine Ewigkeit umarmt und nicht mehr losgelassen und auch ihr hatte ich die Vorwürfe, die sie sich machte, vom Gesicht ablesen können. Deshalb hatte ich sie auch erst wieder alleine gelassen, nachdem sie mir versprochen hatte, selbst noch einmal einen Termin mit ihrer alten Therapeutin auszumachen. Denn ich wusste, dass ich es nicht schaffen würde, ihr ihre Schuldgefühle zu nehmen, indem ich ihr sagte, dass sie keine haben brauchte. So funktionierte das einfach nicht. Der Weg zur Selbstakzeptanz und Vergebung war hart und benötigte viel Arbeit und Unterstützung. Doch ich wusste, dass er es wert war, dass man ihn ging. Denn jeder Mensch hatte es verdient, sich selbst zu lieben.

Ich selbst hatte auch wieder Kontakt zu meiner alten Therapeutin aufgenommen. Im Moment waren leider keine Therapieplätze frei, aber ich hatte ein tolles Umfeld, dass mich unterstützen würde. Und mit Nick hatte ich jetzt auch eine Person, die mich liebte und so akzeptierte wie ich war. Jamie hatte es überraschend gut aufgenommen, dass seine Lehrerin jetzt mit seinem Vater zusammen war. Das war wohl das Gute daran, dass ich Grundschüler unterrichtete: Sie teilten die Menschen noch nicht in Schubladen ein. Um genau zu sein, hatte er sich sogar gefreut und gesagt, dass er froh war, dass sein Vater jetzt so oft lächelte. Mein Herz war geschmolzen. Auch mein Kollegium hatte überwiegend positiv darauf reagiert, dass ich eine Beziehung mit einem Elternteil von einem meiner Schüler eingegangen war. Natürlich hatte ich auch Gegenwind von einigen Leuten bekommen, aber der Großteil meiner Ängste war unbegründet geblieben, weshalb ich im Moment irgendwo auf Wolke 7 schwebte.

Nick hatte mich zum Weihnachtsessen eingeladen, wo ich auch seine Eltern kennenlernen würde, was mich unglaublich nervös werden ließ. Mit meiner Familie würde ich am ersten Weihnachtstag feiern und ihnen da Nick und auch Jamie vorstellen. Manche würden es wohl übereilt finden, wenn man bedachte, dass wir noch nicht wirklich lange dateten und erst vor wenigen Tagen ein offizielles Paar geworden waren. Aber Nick hatte das Schlimmste von mir gesehen und mir trotzdem danach gesagt, dass er mich liebte. Es gab nicht viele Sachen in meinem Leben, derer ich mir sicher war, aber die Sache mit Nick und mir fühlte sich verdammt nochmal nach einem Für immer an. Also war es mir ziemlich egal, was andere vielleicht über uns denken könnten. Nichts an dem, was wir schon gemeinsam erlebt hatten, konnte man als konventionell betrachten, also würde ich gar nicht erst versuchen unsere Beziehung in einen Rahmen zu stecken, in den sie nicht passte.

Um Punkt 18: 00 Uhr stand ich vor Nicks Tür und balancierte eine Schüssel mit Mousse au Chocolate auf meinem einem Arm, während ich mit der freien Hand betätigte. Normalerweise machte ich an Weihnachten immer Tiramisu, was eines meiner absoluten Lieblingsdesserts war, aber ich wollte etwas machen, was Jamie auch essen konnte, deshalb hatte ich dieses Jahr umdisponiert. Eine fremde Frau öffnete mir die Tür, die auf den zweiten Blick jedoch sehr bekannte Augen offenbarte. "Hallo, du musst Gillian sein. Ich habe schon so viel von dir gehört. Ich freue mich so dich kennenzulernen", sagte sie und nahm mir das Mousse au Chocolate aus der Hand und stellte es beiseite um mich in die Arme schließen zu können.
"Ich bin übrigens Emely", fügte sie hinzu, als sie mich aus der Umarmung entließ und lächelte mich an, wobei sich kleine Krähenfüße an ihren Augen bildeten, was sie mir sofort sympathisch machte. Sie schien viel zu lächeln.
"Komm mit, die anderen sind im Wohnzimmer", sagte sie und winkte mich hinter sich her. Schnell zog ich mir Schuhe und Jacke aus, bevor ich ihr folgte.

Auf dem Weg zum Wohnzimmer kamen wir durch die Küche, wo Nick am Herd stand, eine Küchenschürze umgebunden auf der stand: Ich kann nicht nur Nudeln, was mich zum Schmunzeln brachte. Er drehte sich zu mir um und lächelte mich an. Er zog mich an meinem Handgelenk zu sich und küsste mich. Ich schloss die Augen und lächelte. "Hallo Darling", sagte er leise, als wir uns voneinander lösten. Schön, dass du da bist. Das Kribbeln in meinem Magen kehrte zurück, als er mich Darling nannte. Das würde ich wahrscheinlich niemals verlieren, egal wie oft ich es ihn sagen hörte.
"Hallo", erwiderte ich ebenfalls leise. "Na, bereit für ein Weihnachtsessen im chaotischen Millershaushalt?", fragte er mit einem schelmischen Grinsen und drückte mir einen kleinen Kuss auf die Nase. Ich warf ihm einen Blick zu, der besagte Komm-schon-ich-arbeite-als-Grundschullehrerin und antwortete: "Aber sowas von!". Allerdings fühlte ich mich nur halb so confident, wie ich mich gab. Denn es war schon eine große Sache für mich, die Eltern meines Freundes kennenzulernen. Er lachte und sagte: "Geh schon mal vor ins Wohnzimmer". Ich muss mich noch eben um den Braten und die Knödel kümmern. Ich warf einen Blick zum Ofen, von dem ein verführerischer Duft nach außen drang und stibitzte dann eine Möhre, von einem Rohkostteller, der bereitstand, bevor ich aus der Küche ins Wohnzimmer verschwand.

Dieses Weihnachten wurde so schön, wie ich es lange nicht mehr erlebt hatte. Denn Nick hatte recht gehabt – die Millers waren eine chaotische Familie. Aber das machte es gerade so schön. Wir sangen gemeinsam Weihnachtslieder und machten dabei die Bescherung. Ich bekam sogar etwas von Jamie – er hatte einen kleinen Engel gebastelt, den ich mir sofort wenn ich zuhause war auf die Fensterbank stellen würde. Von Nick bekam ich seinen Lieblingsklassiker Sturmhöhe von Emily Brontee geschenkt, den ich tatsächlich noch nie gelesen hatte, was Nick als eine literarische Sünde bezeichnete. Und so ging es weiter. Tatsächlich hatte ich sogar von Nicks Eltern eine Kleinigkeit geschenkt bekommen und das obwohl sie mich gerade erst kennengelernt hatten. Nach der Bescherung gab es Essen und ich merkte, dass Nicks Schürze nicht gelogen hatte: Er konnte wirklich nicht nur Nudeln. Kurzum, es war ein rundum perfektes Weihnachten mit all seinen kleinen Unperfektheiten.

Als sich der Abend dem Ende neigte und Jamie schon langsam die Augen nicht mehr offen halten konnte, beugte sich Nick zu mir rüber und fragte: "Und hab ich dir zu viel versprochen wegen dem chaotischen Haushalt der Millers?". Ich lachte und drückte ihm einen kleinen Kuss auf den Mund, bevor ich zu einer Erwiderung ansetzte: "Nein, du hattest Recht. Aber das ist das Chaos, in das ich mich verliebt habe".

The Chaos I fell forWo Geschichten leben. Entdecke jetzt