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Ich sollte dringend mal meine Fähigkeit Nein zu Leuten zu sagen, die dem Grundschulalter entwachsen waren trainieren. Denn leider schien sich diese Fähigkeit nur in Bezug zu meinem Job ausgeprägt zu haben und hatte mich in die jetzige Lage gebracht. Zugegeben, ich hätte wohl stutzig werden müssen, als meine beste Freundin gesagt hatte, dass es total viel Spaß machen würde und ich gar nicht bemerken würde, dass wir arbeiteten. Unsere Vorstellungen von Spaß gingen oftmals soweit auseinander, dass ich mich manchmal wunderte, wie wir befreundet sein konnten. Gerade in diesem Moment könnte ich auf meiner Couch vor dem Kamin sitzen, eine warme Schokolade trinken und ein Buch lesen. Also meine perfekte Vorstellung davon, wie ich einen Samstagabend im Winter verbringen konnte. Stattdessen stand ich jetzt schon seit mit vor Kälte beinahe tauben Fingern - trotz meiner Handschuhe - in einer kleinen Weihnachtsmarktbude und betrieb Small Talk mit fremden Menschen. Zwar stand ein kleiner Heizstrahler in der Bude, aber der richtete ungefähr so viel aus wie eine Taschenlampe, in einem ganzen Viertel in dem der Strom ausgefallen war - nämlich gar nichts. Außerdem war hier drin nicht genug Platz um Stühle aufzustellen, weshalb meine Beine vom vielen Stehen wehtaten.

Seufzend verlagerte ich mein Gewicht von einem Bein aufs andere. Olive hatte Glück, dass sie meine beste Freundin war. Nur sie schaffte es mich zu sowas zu überreden. Gerade führte ich die alleinige Aufsicht über ihren Stand, da sie uns von einer anderen Bude eine Tasse Glühwein für sich und eine Tasse Kakao für mich besorgte. Ich mochte keinen Glühwein oder irgendwas, das mit weihnachtlichen Gewürzmischungen versetzt war. War schon immer so gewesen und hatte sich auch nie verändert. Während meine Freundin also kurz verschwunden war, musste ich hoffen, dass ich genug über die Dinge die sie verkaufte wusste, um die Fragen von Interessierten zu beantworten. Meine beste Freundin war Tischlerin und besaß einen kleinen Laden. Da sie hier auf dem Weihnachtsmarkt natürlich nicht so große Dinge verkaufen konnte, hatte sie sich für ihren Stand am Weihnachtsmarkt das Schnitzen von Holzspielzeug und Haushaltsgegenstände wie Kochlöffel oder Schneidebrettchen verlegt. Bisher hatte ich noch Glück gehabt und war kaum einem bekannten Gesicht begegnet. Aber auf dem Weihnachtsmarkt konnte es immer nur eine Frage der Zeit sein, bis das passierte.

Als also plötzlich ein fröhliches "Miss Roberts!" von rechts erklang und mein Blick kurz darauf an einem kleinen grünäugigen Jungen hängenblieb, der auf meinen Stand zugeflitzt kam, war ich nicht so überrascht. "Jamie", sagte ich erfreut und lächelte ihn an." Na, drehst du eine Runde über den Weihnachtsmarkt?". Er strahlte und seine Wangen waren vor Kälte gerötet. "Ja, Dad hat mir versprochen heute mit mir hierherzukommen". In dem Moment fiel mein Blick auf Jamies Dad, der mit einem nachsichtigen Lächeln auf den Lippen in unsere Richtung kam. Er sah entspannter aus, als bei unserer Begegnung vor zwei Tagen und der relaxte Ausdruck stand ihm verdammt gut. Auch ihm warf ich ein Lächeln zu, dass er mit einem noch breiteren Lächeln erwiderte. Ein seltsames Kribbeln huschte durch meine Magengrube, das ich aber ganz schnell wieder verdrängte.

Stattdessen konzentrierte ich mich wieder auf Jamie, der mich immer noch anstrahlte. "Ich bin schon dreimal auf dem Karussell gefahren und hab Kinderpunsch getrunken und gebrannte Mandeln gegessen". Ich konnte nichts gegen das Lächeln tun, das sich ganz automatisch auf meinen Lippen ausbreitete. "Das klingt, als hättest du einen wirklich schönen Tag hier auf dem Weihnachtsmarkt", bekannte ich.

Mittlerweile hatte uns Mr. Miller auch erreicht und sein Sohn drehte sich zu ihm herum und zupfte aufgeregt an seinem Ärmel. "Dad! Da ist Miss Roberts, meine Lehrerin!". "Ich weiß, Jamie. Ich habe sie ja vor zwei Tagen kennengelernt, als ich dich abgeholt habe", erklärte er seinem Sohn geduldig und lächelte dabei so hinreißend, dass mein Herz schmolz. Ich hatte eine Schwäche für Männer, die mit Kindern umgehen konnten. Das war wohl ein Berufsrisiko, das man einging. "Haben sie die Sachen gefertigt?", wandte er sich nun an mich und ich befahl mir verdammt nochmal runterzukommen. Er war immerhin der Vater von einem der Kinder aus meiner Klasse und damit tabu. Und er konnte immer noch eine Freundin haben. "Nein, ich bin handwerklich eher unbegabt. Der Stand gehört einer Freundin. Ich helfe ihr nur aus. Aber falls Sie Fragen haben sollten, kann ich Ihnen auch weiterhelfen". Ich beugte mich vor und griff nach einer der Broschüren, die vorne auslagen und drückte sie ihm in die Hand. "Hier. Meine Freundin ist eigentlich Tischlerin, aber für den Weihnachtsmarkt fertigt sie jedes Jahr Holzspielzeug und nützliche Haushaltsgegenstände an", führte ich aus. Interessiert schlug er die Broschüre auf und blätterte darin herum.

The Chaos I fell forWo Geschichten leben. Entdecke jetzt