11.

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Als ich aufwachte, war ich übermüdet und alleine. Ich hatte nicht wirklich gut geschlafen in der Nacht und war ständig aus Albträumen hochgeschreckt. Der einzige Grund, dass ich überhaupt etwas Schlaf bekommen hatte, war Nick. Doch der war jetzt nicht mehr da. Stattdessen war seine Betthälfte leer. Enttäuschung machte sich in mir breit, doch ich unterdrückte sie so gut ich konnte. Was hatte ich denn erwartet? Ich griff nach meinem Handy, das auf dem Nachttisch lag, um nachzuschauen, wie viel Uhr wir hatten, doch der Bildschirm blieb schwarz. Der Akku war leer, fantastisch. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und überlegte, was ich jetzt tun sollte.

Da ertönten plötzlich Schritte auf dem Flur. Und wenig später tauchte Nick im Türrahmen auf – mit einem Tablett in der Hand. Ich hatte ein Déjà-vu. Kurz zuckten Fragen durch meinen Kopf, wie ich mich jetzt gegenüber Nick verhalten sollte, aber das wurde alles nebensächlich, als der Duft von Kaffee zu mir herüberzog. Nick lächelte mich an – eins von diesen warmen Lächeln, die in mir dieses seltsame Gefühl in der Magengrube auslösten.

"Guten Morgen", sagte er und stellte das Tablett auf dem Nachttisch ab. Das Tablett von gestern war verschwunden und Nick war auch schon angezogen, was mich irgendwie ein bisschen verlegen fühlen ließ. Ich zog die Bettdecke ein wenig höher und griff schnell nach dem Kaffee, um eine Beschäftigung zu haben. "Guten Morgen", antwortete ich und trank einen Schluck von dem Kaffee, in der Hoffnung, dass er mein Gehirn zum Laufen brachte. Neben dem Kaffee stand auch Frühstück auf dem Tablett und auch wenn der Gedanke jetzt etwas zu essen, Übelkeit in mir hervorrief, schätzte ich die Geste sehr. Dafür hatte er bestimmt eine Weile in der Küche gestanden.

Andererseits hatte er wahrscheinlich eh dafür sorgen müssen, dass Jamie etwas aß, bevor er zur Schule musste und... Ich verschluckte mich am Kaffee und stellte ihn hastig aufs Tablett zurück. Schule! "Fuck, wie viel Uhr haben wir? Ich komme viel zu spät zum Unterricht", sagte ich und schlug die Bettdecke zurück. Wie schnell konnte ich wohl sein, wenn ich die Dusche ausließ und das Zähneputzen mit dem Anziehen verband? "Kein Grund zur Sorge. Ich habe mir erlaubt, dich für heute krankzumelden. Bei dir ist gestern eingebrochen worden, du hast kaum geschlafen und bist nicht in der Verfassung heute zur Schule zu gehen", beruhigte Nick mich. "Mal abgesehen davon, dass du auch gar nicht deine Sachen für die Schule hier hast. Ich würde normalerweise nicht einfach Entscheidungen für dich treffen, aber nachdem ich diese Nacht mitbekommen habe, wie wenig du geschlafen hast und dich gestern in der Wohnung so gesehen habe, konnte ich dich heute Morgen nicht einfach wecken", fügte er dann entschuldigend hinzu. Doch ich konnte ihm das nicht vorhalten. Das Einzige, was ich deswegen fühlte, war Erleichterung. Dann fiel mir jedoch noch etwas Anderes ein.

"Und Jamie?", fragte ich. Dabei spezifizierte ich meine Frage nicht weiter, aber er schien mich trotzdem zu verstehen. "Ich habe ihm erstmal nichts davon gesagt, dass du hier bist. Ich wollte nicht mit ihm reden, ohne vorher mit dir gesprochen zu haben", offenbarte er mir und ich war erleichtert. "Er ist jetzt in der Schule. Ich habe eine Fahrgemeinschaft mit einer Freundin, mit der ich mich beim Holen und Bringen von Jamie und Lucas abwechsele, die ihn eben mitgenommen hat". Ich ließ mich wieder zurücksinken und griff erneut nach dem Kaffee. "Danke, Nick", sagte ich.

Plötzlich war da ein Kloß in meinem Hals.
"Du hast gestern und heute so viel für mich getan und ich glaube, ich habe mich noch gar nicht richtig dafür bedankt. Dass ich jetzt hier sein darf, ist echt nicht selbstverständlich". Es war lange her, dass ich jemanden getroffen hatte, der sich so vorbehaltslos um mich gekümmert hatte. Ich hatte in meinem Leben echt viel Pech gehabt und hatte früh gelernt, mich nur auf mich selbst zu verlassen. Mein Erzeuger war ein gewalttätiger Narzisst gewesen, der meine Mutter geschlagen hatte, bis sie es irgendwann geschafft hatte ihn zu verlassen. Danach hatte sie mich alleine großziehen müssen und mit drei Jobs jongliert, um uns durchzubringen und hatte deshalb nicht viel Zeit für mich gehabt. Sie war keine schlechte Mutter gewesen, im Gegenteil, sie hatte alles getan, um mir das beste Leben zu ermöglichen, dass sie mir bieten konnte. Doch als Kind hatte es sich für mich oft so angefühlt, als wäre ich für sie ein Klotz am Bein, was eine Zeit lang unser Verhältnis negativ beeinflusst hatte. Das hatte sich erst geändert, als sie meinen Stiefvater kennenlernte und irgendwann Georgia geboren wurde. Damals war ich schon zu alt, als dass Richard noch eine wirkliche Vaterfigur für mich werden konnte, aber ich hatte ihn wirklich gerne. Und Georgia war das Beste, was mir je passiert war. Trotzdem hatte ich in meinem Leben immer viel kämpfen müssen, um das zu erreichen was ich wollte und gerade die Sache mit Logan, hatte mich extrem aus der Bahn geworfen. Davor hatte ich mich eigentlich für einen unabhängige, selbstbewusste Frau gehalten, die es nicht nötig hatte, sich von einem Mann abhängig zu machen. Und erst recht nicht hatte ich geglaubt, dass ich mich von einem Mann so behandeln lassen würde, wie es mein Vater bei meiner Mutter getan hatte. Aber anscheinend gab es ein paar Baustellen, die ich damals in meiner Therapie umschifft hatte und nach der Beziehung, war mein Vertrauen in andere Menschen noch tiefer erschüttert als zuvor. Jetzt also von Nick so behandelt zu werden, als wäre ich jemand, der es wert ist um den man sich kümmert, war etwas mit dem ich nicht gut umgehen konnte.

The Chaos I fell forWo Geschichten leben. Entdecke jetzt