Als ich 8 Jahre alt war und mich in einen der Volksjungen verguckt hatte, fragte ich meine Mutter folgende Frage.
Was ist Liebe?
Kurz zögerte sie, aber erklärte mir schliesslich, dass Liebe nicht physisch ist und sich daher nicht durch Worte übersetzen lässt. Man müsse es selber erleben, eigene Erfahrungen machen.
Da ich auf eine andere, verständlichere Antwort gehofft hatte, ignorierte ich sie den restlichen Tag und dachte über ihre Aussage nach.
Es machte keinen Sinn für mich, denn Liebe wirkte so märchenhaft und toll - daher brauchte ich eine Bestätigung, ob ich und Rui - der Nachbarsjunge - füreinander bestimmt waren.
Ironischerweise vergass ich ihn nach einigen Tagen und lenkte meinen Fokus auf die Blumen, welche vor unserer Eingangstreppe wuchsen.
Doch heute kam mir dieser Vorfall wieder in den Sinn, als mein Vater uns einen Fisch zubereitete und erwähnte, daß Mahl mit Liebe gekocht zu haben.
"Dad?""Ja, Liebling?" Entgegnet er schmatzend und blickt dabei nicht von seinem Essen hinauf. Unsicher spüle ich den Fisch mit ein wenig Wasser die Kehle hinunter und ergreife das Wort.
"Was ist Liebe?"
Meine Frage lässt ihn in der Bewegung Inne halten und kurz seufzen, was mich Reue verspüren und den Kopf einziehen lässt. Peinlich.
"Nun, Liebe ist überall. Mein Vater- dein Großvater sagte immer, Liebe würde die Zeit stoppen und die Ewigkeit zum Beginn erwecken. Damit meint er, dass Liebe dem Kreislauf des Lebens entspricht und kein Beginn und kein Ende findet. Beispielsweise liebten ich und deine Mutter uns und erlangten durch die Fortpflanzung die Ewigkeit unserer Liebe."
"Aber Liebe ist doch viel mehr, wie nur Geschlechtsverkehr und Fortpflanzung, oder nicht?" Entfährt es mir, mitgerissen von den Worten meines Vaters. Hastig lächelt er und erhebt seine Arme entschuldigend.
"Natürlich nicht. Tochter, du verstehst nicht, was ich damit sagen will. Ich und deine Mutter, sowie jede Generation vor uns, basierten auf der Liebe. Man fand einander und lernte die Schwächen und Stärken des Anderen kennen. Man erwies sich einen weiteren Meilstein der Liebe, indem man über Nachfahren diskutierte und das eine zum anderen kommen liess." Gibt er ruhig von sich und beisst anschließend wieder in sein Mahl hinein, was mich die Schultern fallen lässt.
"Oh." Entgegne ich flüsternd und blicke zu Boden. Nachfahren? Um Gottes Willen.
"Willst du mir etwas beichten, Mle?" Erwidert er und neigt seinen Kopf leicht nach unten, um mir entgegenblicken zu können.
Zögernd verneine ich und erhebe mich, nachdem ich ankündige, etwas erledigen zu müssen.
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Ich bin während dem Wege zu den Sullys auf die brilliante Idee gekommen, einen Text einzustudieren. Schliesslich muss ich auf angemessene Wortwahl achten und mein Vokabular so richtig ausspielen.
Da ich allerdings das Kurzzeitgedächtnis eines demenziell Erkrankten 99-Jährigen Herren besitze, stellte sich mein Gedanke als ungebräuchlich raus.
Jetzt stehe ich hier vor deren Unterkunft und muss das Bedürfnis verdrängen, wieder umzukehren und mir einen Stein ins Auge zu drücken.
Rasch klopfe ich, nach - nebenbei bemerkt - drei Anläufen, welche gescheitert waren, aufgrund meiner vielen Ängste. Kurz, überlege ich tatsächlich wieder umzudrehen.
Bevor ich dies aber tun kann, ertönt die
Stimme Tuks, welche erfreut meine Namen aufruft. Um diese nicht zu enttäuschen, entgegne ich mit gleichmäßiger Aufregung die Begrüßung und verfluche innerlich die Spermien meines Vaters, welche meine Existens wahrmachten."Ist dein Bruder da?" Frage ich lieb und sehe, wie sie den Kopf schüttelt und mich ohne Bewilligung in die Unterkunft zieht. Empört blicke ich das kleine Mädchen an und blinzele verwirrt.
Sie weiss doch garnicht, welchen Bruder ich meine?
"Sie kommen gleich, bringen nur das Mittagessen. Hast du schon gegessen?" Sagt Tuk und sieht mich hoffnungsvoll an, was mich Schwindeln und den Kopf schütteln lässt. Erfreut lächelt sie mich an und deutet mir an, mir die Haare flechten zu wollen, was ich bejahe.
Jetzt habe ich wirklich geschissen.
Ich wollte nur mit ihm Reden.
Vielleicht will ich auch ein wenig mehr. Aber das tut nicht zur Sache, schliesslich ist mein Plan gescheitert.Tuk bearbeitet meine Haare ziemlich forsch, was mich ängstlich macht. Was wenn Neteyam ihr alles erzählt hatte? Obwohl, wieso zum Teufel sollte er ihr davon erzählt haben?
Oh, Eywa. Wieso bin ich bloss hergekommen? Ich meine, ich weiss doch nicht mal, was ich sagen will.
Ich hab keinen blassen Schimmer, was er von mir hören will. Vielleicht will er mich ja gar nicht sehen.
"Tada!" Ruft Tuk fröhlich aus und klopft mir dabei auf die Schultern. Zögernd drehe ich mich zu ihr um und versuche somit einen Blick auf meine Haarpracht zu erhaschen. Ohne Erfolg lächele ich ihr halbherzig zu und lenke meinen Blick wieder nach Vorne.
Stockend entdecke ich die Beiden Brüder vor mir, welche tief in die Unterhaltung versunken, meine Statur keines Wegs bemerken und in die Unterkunft treten.
Erst als Tuk ihre Stimme erhebt, blicken sie in unsere Richtung. Während Lo'ak grinsend zu mir sieht und seine Finger zur Begrüssung an die Schläfe legt, scheint sein Bruder weniger erfreut zu sein. Dieser wendet seinen Blick nämlich ruckartig von mir ab und verschränkt die Arme genervt.
"Isst du heute mit uns?" Kommt es glücklich von Lo'ak während er kurz zu seinem Bruder sieht, um anschliessend fragend die Augenbrauen zu verziehen.
"Ich denke schon." Entgegne ich kurzbündig und sehe wieder zu Neteyam, in Hoffnung seinen Blick auffangen zu können.Leider lenkt er seine Aufmerksamkeit auf die Früchte, welcher er bereits zum Mahl bereitet. Ich will mit ihm Reden, aber ich traue mich nicht. Und natürlich ist mir durchaus bewusst, dass meine Augen jedem seiner Bewegungen folgen - aber aufhalten kann ich mich nicht.
Auch wenn seine Geschwister und - jetzt auch anwesenden - Eltern, mich kritisch beäugen, kann ich meinen Blick einfach nicht von ihm nehmen.
Was urkomisch ist, da er gerademal Früchte schält und das nicht unbedingt zu den besonders exotischen Tätigkeiten des Lebens gehört.
Aber die Art und Weise, wie sich seine Hände bewegen und sich seine Muskeln anspannen, sobald er den Dolch in das Obst rammt - verbrennt die restlichen, noch gebrauchbaren Hirnzellen meines Schädels.
Sogar soweit, dass ich nicht bemerke, wie Toruk Makto mit seiner Hand vor meinem Gesicht wedelt. "Mle, iss." Zischt Jake mir streng zu, was ich nur halbwegs mitbekomme.
"Was?" Erwidere ich verwirrt und sehe, wie alle Augenpaare auf mich gerichtet sind, was meine Wangen zum erröten bringt. Okay, vielleicht haben sie garnicht gesehen, wie du den Thronfolger angeschmachtet hast.
Als ich aber den amüsierten Blick Kiris auffange, weiten sich meine Augen sichtlich, weshalb sie auflacht und mir ein Zwinkern schenkt.
Oh, sie haben es sowas von gesehen.