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"Was hast du hier zu suchen? Na los, verschwinde!" Ertönt Jakes Stimme, als ich bei der Unterkunft der Sullys ankomme. Auch Neytiri blickt mir wütend entgegen und stimmt somit ihrem Gatten zu.

Um nicht direkt in Tränen auszubrechen, nehme ich einen tiefen Atemzug und halte dem Blick des Toruk Makto stand. Schwäche darf und werde ich jetzt nicht zeigen. Meine Mutter ist heute in meinen Armen verstorben und ich hatte keine Zeit - keine Möglichkeit, mich von ihr zu verabschieden.

Ich hatte keine Zeit und keine Mittel, ihr zu helfen. Und das frisst mich innerlich auf - aber ich werde jetzt tapfer hier stehen und die erschütternde Nachricht überliefern.

Mir war wichtig, dass ich den Sullys mitteile, was passiert ist, um somit zu zeigen, dass ich mich nicht einschüchtern lasse und meiner Mutter eine letzte, maßgebende Ehre erweisen will. Nur schwer schaffte ich es, meinen  Vater davon zu überzeugen - aber jetzt befinde ich mich hier.

"Mle?" Gibt Lo'ak erstaunt von sich, als er zu seinen Eltern stößt. Mein Anblick muss peinlich und beschämend sein, so wie ich hier im Regen stehe und dem Drang widerstehe, in seine Arme zu rennen. Aber es gibt wichtigeres wie mich. Wichtigeres wie der Augenblick und das Aufeinandertreffen zweier verfeindeter Parteien - der Tod.

"Toruk Makto, Tsahik, ich könnte mich nicht weniger um die Umstände unserer Beziehung scheren. Meine Mutter ist heute in meinen Armen verstorben und ich erbitte das Recht, ihr eine letzte Ehre zu erweisen." Sage ich kühl und trete einen Schritt zurück, als Neytiri entschuldigend die Arme öffnet und mich zu sich ziehen will.

Zu sagen haben sie zuerst nichts, sie betrachten mich nur mitleidig. Auch ich bleibe still, selbst als ich erkenne, wie die anderen Familienmitglieder sich uns anketten und mich befremdet anstarren.

Auch seinen Blick spüre ich auf mir, doch es könnte mich nicht weniger interessieren. Im Gegenteil - ich belasse meine Augen auf seinen Eltern, welche langsam wieder zu Sinnen kommen.

"Aber natürlich. Mle, das tut uns sehr leid." Antwortet Jake schliesslich und versucht dabei, so zu tun, als hätte er mich nicht von der Familie abgestoßen. Als hätte er mich nicht vor einigen Minuten zum Gehen aufgefordert.
"Was ist passiert?" Fragt Neteyam und kommt ebenfalls einige Schritte auf mich zu.

Kaltblütig lenke ich meinen Blick von seinem Vater zu ihm und umgehe es, eine Antwort aus meinem Munde zu lassen.

Wortlos schüttele ich leicht meinen Kopf und versuche, die Tränen zum anhalten aufzufordern. Zu meiner Ungunst, lasse ich ermüdet meine Schultern und Tränen fallen.

Neteyam zögert keine Sekunde und zieht mich in seine Arme, weshalb ich, ohne die Konsequenzen zu überdenken, meine Augen schliesse und die Umarmung kraftlos erwidere.

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Beerdigungen unseres Volkes empfand ich stets als schön und beruhigend. Sie ließen einem im Glauben, die verstorbene Person würde nur in die Ferien gehen - eine Pause machen.

Dieses Mal, ist alles anders. Ich weiss, dass Ma' nicht nur eine Pause macht. Sie braucht keine Auszeit - sie hat es sich bei Eywa gemütlich gemacht.

Die Trauer liess mich meinen Stolz vergessen, denn ich stand hier - im traditionellen Gewand - neben meinem Vater und Neteyam. Letzterer hatte nicht viel gesagt, seit ihm bewusst wurde, was passiert war.

Stattdessen tröstete er mich - als würde dies den Schmerz wegnehmen oder auch nur ausblenden.

Seine Eltern führten die Abschiedsprozedur durch und baten mir und meinem Vater an, ein letztes Mal auf Ma' zu treffen. Dad entschloss sich dazu, anzunehmen, während ich da stand und in die Ferne blickte.

Die Erinnerungen an meine Mutter könnte ich wann anders aufrufen. Später, irgendwann - dann wenn ich realisiere, dass sie nicht mehr unter uns weilt.

Das ganze Dorf hatte sich uns angeschlossen und erwies meiner Mutter eine letzte Ehre. Dies brachte mich beinahe zum explodieren vor Wut - denn niemand dieser Leute sorgte sich wirklich um sie. Niemand, ausser mir und Dad, kannte sie wirklich.

Und trotzdessen, stehen alle hier und weinen, als wäre dies ihre Mutter, Tochter, Schwester oder Gattin gewesen.

Sie fühlen Trauer und verbreiten somit in mir Schuld und Scham. Denn ich fühle nichts. Mein Herz, mein Kopf. Alles fühlt sich leer an. Ich denke nicht, ich spüre nicht.

Selbst die Tatsache, dass ich wochenlang nur an den Jungen neben mir denken konnte, spielt jetzt keine Rolle.

Das ganze geht mir hier zu lang. Man könnte sagen, dass ich im Moment an einem moralischen Defizit leide. Schließlich würde jede andere Tochter, weinend um sich schlagen oder wenigstens ihren erschütterten Vater festhalten.

Doch ich stehe hier; ohne jegliche Emotion.

"Mle, liebes. Komm' her." Ertönt die Stimme meines Vaters, weshalb ich meinen Blick auf ihn lenke und schwach meinen Kopf schüttele. Ich kann meiner Mutter nicht entgegentreten.

Nicht wenn ich weiss, dass sie wegen mir gestorben ist.

Ich hätte es aufhalten können. Ich hätte sie wiederbeleben können. Ich hätte sie retten können. "Bist du dir sicher?" Fragt mich Neteyam flüsternd, was meine Entscheidung nicht ändert, sondern sogar bekräftigt.

Nur weil er es für richtig hält, werde ich mich nicht gegen meine eigene Meinung stellen. Ich muss einfach stark bleiben, bis diese Prozedur zu Ende ist.

Erleichtert atme ich aus, als die Dorfbewohner langsam verschwinden, bis nur noch ich, mein Vater und die Sullys da stehen.

Neteyam ist mir nicht von der Seite gewichen und Lo'ak hatte sich ebenfalls neben mich gestellt. Kiri warf mir regelmäßig besorgte Blicke zu, welche ich nur teilweise mitbekam, da mein Fokus auf meinem Vater lag.

Dieser sass nämlich auf dem Boden und griff dabei ins Gras, während er zu Eywa betete. Nach dem letzten Zusammentreffen seinerseits und Ma', hatte er lächelnd in die Runde geschaut. Was mich beinahe meine Entscheidung überdenken liess.

Letzten Endes, hielt ich meiner Meinung stand und vergass beinahe, die Konflikte, welche zwischen mir und Toruk Makto sowie dessen Gattin standen, da mich die Beiden in den Arm nahmen.

Auch Lo'ak umarmte mich fest und murmelte mir Entschuldigungen ins Ohr. Tuk schien die ganze Situation nur halbwegs mitbekommen zu haben, was ich als passend empfand.

Sie war noch zu jung, um mit solchen Ereignissen überfordert zu werden.

Kiri hingegen, weinte pausenlos und drückte sich an mich, als wäre sie diejenige gewesen, dessen Mutter auf dem Sterbebett lag.

Spider stand nur daneben und starrte zu Boden, was ich verstehen konnte. Er kannte meine Mutter nicht wirklich, er kannte mich nicht wirklich - was bedeutet, dass seine Reaktion ganz angemessen und respektvoll ist.

Nach langem Trauern, begab ich mich - ohne Verabschiedung - nach Hause und legte mich in meine Oase, in Hoffnung ein Auge zumachen zu können, ohne meine sterbende Mutter zu erblicken.

AVATAR - What is this weird feeling? (Neteyam×oc)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt