4. Kapitel

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Abby

Ich versuche, so professionell wie möglich zu bleiben, auch wenn mich das gerade all meine Kraft kostet. Hier mit ihm in seinem Wohnzimmer zu sitzen und so zu tun, als ob nichts gewesen wäre, gehört sicherlich zu den absurdesten Momenten meines Lebens. Gott, nichts ist normal, wenn der eigene Boss einen gerade in seinem Gästebad bei der Masturbation erwischt hat. Ich frage mich wirklich, was Mr. Lancaster in diesem Moment und auch jetzt durch den Kopf geht. Turnt es Männer nicht extrem an, wenn sie eine Frau bei der Selbstbefriedigung beobachten. Ich denke schon. Eigentlich müsste ich das wissen. Doch tatsächlich hat mir das noch kein Mann explizit gesagt. Das gehört vielmehr zum allgemeinen Wissen. Jedenfalls reagieren die allermeisten Männer stark auf visuelle Reize. Hier kann ich auch aus Erfahrungen sprechen. Immerhin betreibe ich meine kleine Nebentätigkeit schon eine ganze Weile. Dabei hat es ganz harmlos mit einer Pole-Dance-Stunde begonnen, die ich zusammen mit Freundinnen besucht habe. Wir haben damals gelacht, es albern, aber auch sexy gefunden. Bei mir ist sofort der Funke übergesprungen. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich an der Stange wirklich sexy gefühlt, als hätte sich plötzlich ein Schalter in mir umgelegt. Während ich getanzt habe, habe ich eine Stärke in mir gefühlt, die mir zuvor gar nicht bewusst gewesen ist. Ich habe nach dieser Stunde einen ganzen Kurs besucht. Das Training war hart, anstrengend und mir hat jeder einzelne Muskeln im Anschluss wehgetan. Aber ich habe meinen Körper gespürt und zwar jeden Winkel. Beim Tanzen bin ich ganz bei mir, bin ich stark und wie ein anderer Mensch. Das ist schwer anderen wirklich zu erklären.

Und dann habe ich angefangen vor und für Männer zu tanzen. Ihre Blicke haben mir Flügel gegeben. Und es gab und gibt immer ganz feste Regeln. Anfassen ohne Erlaubnis gibt es bei mir nicht. Ich bin in dieser Hinsicht absolut konsequent und mittlerweile auch sehr bestimmend, sodass es kaum mehr Probleme damit gibt. Ich habe dadurch viel über mich gelernt, aber natürlich auch so manche Abgründe von Seiten der Männer mitbekommen. Wenn ich ehrlich bin, gibt mir mein Doppelleben den absoluten Kick, weil einfach niemand damit rechnet. Es ist mein heißes kleines Geheimnis gewesen. Natürlich wusste ich, dass ich jederzeit entdeckt werden könnte. Ein Wunder, dass mich nicht schon zuvor zufällig ein Bekannter beim Tanzen erwischt hat.

Und jetzt das. Ausgerechnet mein Boss musste mich erwischen und dann auch noch in dieser speziellen Situation. Schlimmer hätte es nicht kommen können.

Und nicht nur das. Jetzt frage ich mich auch noch, ob ihn das angemacht hat. Ich sollte mir definitiv nicht solche Fragen stellen. Natürlich ist mir nicht entgangen, wie er mich mit seinem Blick abgescannt hat, als ob er gar nicht anders könnte.

Es ist das erste Mal, dass ich ihn in seiner Freizeit sehe. Er wirkt anders, noch attraktiver, nahbarer.

Ich finde ihn heiß, trotz dieser unsäglichen Situation, in der ich mich befinde, geht mir ausgerechnet das durch den Kopf. Vielleicht bin ich auch nur verwirrt. Und meine Lust wurde vorhin schließlich auch nicht befriedigt. Verdammt.

Mr. Lancaster fixiert mich wieder mit seinem Blick, wie er es auch vorhin schon getan hat. Er kann das gut. Ich fühle mich gerade durch seinen Blick wie auf dem Sofa festgenagelt. Jetzt beginnt also der spaßige Teil dieser Zusammenkunft. Ich werde ihm Rede und Antwort stehen müssen.

Ich sehe, wie er sichtbar Luft holt, bevor er das Wort ergreift.

„Mir ist bewusst, dass Ihnen das unangenehm ist. Aber Sie müssen verstehen, dass Ihre Nebentätigkeit durchaus auch eine Außenwirkung haben kann, wenn Sie beispielsweise ein Geschäftskunde von uns erkennt. Was ich damit sagen möchte ist, dass ich Ihnen dringend anraten möchte, Ihre Beschäftigung in den ganz privaten Bereich zu verlagern."

In den ganz privaten Bereich! Ich versehe schon, nur dass es diesen ganz privaten Bereich in meinem Leben nicht gibt. Kein fester Freund, keine Affäre. Auch will ich nicht ganz privat agieren, denn wenn, dann will ich das nur professionell und mit festen geschäftlichen Regeln tun. Ganz privat heißt in meinem Fall, für mich alleine in meiner viel zu kleinen Wohnung zu tanzen, ohne Stange.

Ich nicke.

„Das verstehe ich natürlich", sage ich artig, während ich die gründliche Musterung von Mr. Lancaster über mich ergehen lasse.

Ich wünschte, er wäre nicht immer so verdammt gründlich mit allem. Insbesondere wünsche ich mir aber, dass er sich jetzt zufriedengibt und mich endlich gehen lässt. Ich müsste nämlich ganz dringend in mein Kissen schreien und zwar so laut es nur geht.

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