Prolog

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„Drrriiinnnnngggg"

Ich fuhr aus meinem Halbschlaf hoch, drehte mich in meinem Bett um und grabschte mit geschlossenen Augen das Telefon vom Nachtkästchen.

„Äinschl Rous," nuschelte ich hinein.

„Wir sind im Fernsehen!", jubelte eine Stimme am anderen Ende der Leitung. „Schalt den Fernseher ein!"

„Hä?" Verwirrt setzte ich mich auf. „Wer isn da überhaupt?"

„Bist du dumm oder so? Ich bins, Duff!"

„Wieso rufst du mich mitten in der Nacht an? Ich war grad am Schlafen!", gähnte ich etwas wütend.

„Schalt einfach deinen Fernseher ein!", meinte er nur.

„Ich kann doch nicht mitten in der Nacht runter ins Wohnzimmer und den Fernseher anmachen!"

Mein bester Freund schnaubte. „Komm schon! Deine Alten kriegen sowieso nichts mit!"

„Na gut. Ruf mich unten im Wohnzimmer einfach nochmal an, okay?"

„Mach ich." Er legte auf.

Ich erhob mich widerwillig aus meinem warmen, kuscheligen Bett und ging, so leise wie möglich, die Treppe hinunter. Meine Eltern schnarchten zum Glück so laut, dass man sie wegen Lärmbelästigung anzeigen könnte, und hörten so auch nicht, wie das Telefon auf der Kommode im Wohnzimmer kurz schrillte, bevor ich abhob.

„Okay, schalt den Fernseher ein und geh auf Kanal 8", befahl Duff.

Ich nahm die Fernbedienung und zappte durchs Programm. Kanal 8 zeigte gerade eine Rentnershow.

„Du hast mich allen Ernstes aufgeweckt, damit ich mir ansehe, wie alte Leute Scotch saufen und sich über ihre Enkel aufregen?!", knurrte ich.

„Hä? Was?" Duff legte den Hörer kurz ab. „Oh verdammt! In Indiana is das wohl n anderer Sender... versuchs mal mit Kanal 64!"

Ich drückte mich hoch bis zum 64er. Was ich dort sah, ließ mich meinen Telefonhörer auf den Boden fallen lassen.

Mir glotzte Guns N' Roses entgegen, in voller Besetzung. Duff, mein bester Freund, hielt seinen Bass in der Hand und strahlte wie ein Atomkraftwerk. Slash hingen wie immer die Haare ins Gesicht, dafür die Mundwinkel umso weiter nach oben. Steven zappelte unruhig auf seinem Stuhl herum, schaukelte, drehte sich. Izzy streichelte über seine Gitarre und trug eine Sonnenbrille, ausnahmsweise aber heute ein Lächeln im Gesicht. Und zum Schluss war da noch mein Cousin, Axl, den ich nicht mehr so glücklich gesehen hatte, seit er mit mir und Izzy zum ersten Mal Weed rauchte. Das war 1976, und wenn ich daran dachte, dass ich damals erst 8 war, musste ich jedes Mal den Kopf schütteln.

Jedenfalls, der Interviewer fragte die Jungs gerade über ihr Album aus. Es hieß Apetite For Destruction, bestand aus 12 absolut geilen Songs, die einem tagelang im Gedächtnis hängen blieben...

„Axl, es geht das Gerücht um, dass Sie für die Bridge in „Rocket Queen" tatsächlich Sex mit einer Frau hatten und das Ganze in den Song gepackt haben – ist das denn wahr?", wollte der Interviewer wissen.

Im Hintergrund spielte das Riff des besagten Songs. Slash hatte es mir so oft vorgespielt, ich kannte jeden einzelnen Ton auswendig.

Mein Cousin grinste verschwörerisch. „Na klar. Die kleine Schlampe Ariana hats voll verdient!"

Steven hörte auf, sich wie ein Kind zu benehmen, stattdessen biss er die Zähne zusammen und ballte seine Hand zu einer Faust.

Axl hatte für Rocket Queen die grandiose Idee, in die Bridge das Stöhnen von einer Frau reinzubasteln. Leider war er ein Perfektionist, zumindest was diesen Scheiß anging. Zweimal hatte er sich eine Nutte bezahlt, ins Studio geholt, alles aufgenommen, aber es klang ihm einfach zu lahm. Und wie es der Zufall so wollte, hatten Steven und Ariana, seine damalige Freundin, einen schlimmen Streit, der darin endete, dass sie es mit Axl trieb, im Studio. Das Schlimmste an der ganzen Sache? Ich saß im Nebenraum. Izzy und Slash hatten mir ein paar coole neue Songs gezeigt und auch ein paar Lines mit mir gezogen. Zum Glück kam keiner von uns auf die Idee, rüber in den Aufnahmeraum zu gehen. Dieser Anblick von Ariana und Axl hätte uns alle nur völlig verstört, denke ich.

Plötzlich wurde der Bildschirm schwarz.

„Mist! Wir haben Bildausfall!" Hastig drückte ich alle Knöpfe auf der Fernbedienung, was rein gar nichts brachte. Da räusperte sich plötzlich jemand hinter mir.

Ich drehte mich um. Meine Eltern standen im Türrahmen, beide mit höchst verärgerten Gesichtsausdrücken. Außerdem stand der Sicherungskasten weit offen, also hatten sie den Strom ausgeschalten. Es nervte echt, mit 19 noch bei seinen Eltern zu wohnen – aber wo sollte ich auch Geld herbekommen? Sie verboten mir ja, arbeiten zu gehen.

„Oh fuck, Duff. Ich muss auflegen," verabschiedete ich mich schnell bei meinem besten Freund und knallte den Hörer zurück auf die Gabel.

„Angel Marilyn Rose! Was im Namen des Vaters sollte das?!", fragte meine Mutter.

„Sorry. Duff hat angerufen, Guns N' Roses war im Fernsehen und...", begann ich.

„Duff? Duff McKagan? Williams dummer, blonder Freund?", rief Dad.

„William heißt Axl. Und Duff ist nicht dumm, er ist mein bester Freund!", korrigierte ich ihn.

Er lachte hämisch. „Meine Tochter hat also einen besten Freund, mit dem sie mitten in der Nacht telefoniert, obwohl sie genau weiß, dass sie am nächsten Tag einen Auftritt mit dem Kirchenchor haben wird!"

„Ich habe fünf Minuten telefoniert!", schnaubte ich.

„Der Herr hat die Nacht zum Schlafen geschaffen, nicht zum Fernsehen und wach sein!", referierte Mom. „Ansonsten hätte er uns auch nachts das Licht der Sonne geschenkt."

Immer dieses beschissenen Religionsgedöns... ich könnte kotzen!

„Danke, Mom! Ich hab die Bibel mehr als einmal gelesen, ich weiß das!", antwortete ich.

„Sprich nicht so respektlos mit deiner Mutter! Wie lautet das vierte Gebot?", fragte mein Vater.

„Du sollst Vater und Mutter ehren," leierte ich herab.

„Dann tu das gefälligst!"

„Müdigkeit tut unserer Stimme nicht gut. Der Herr hat uns Schlaf geschenkt, um den Mund zu halten, und unsere Stimme zu schonen. Ansonsten können wir ja nicht zu ihm beten!", predigte meine Mutter.

„Okay, hört auf, verfickt! Ich geh jetzt ins Bett!" Wütend wollte ich an den beiden vorbei, doch Dad hielt mich fest.

„William..."

„A-X-L!", unterbrach ich ihn.

„William und sein Neger-Freund scheinen keinen guten Einfluss auf dich zu haben! Du benimmst dich aufmüpfig, frech und respektlos, du betest nicht, und du schwänzt den Kirchenchor! Ich werde dir nicht verbieten, dich mit ihnen zu treffen, aber ich will dich nur warnen. Das sind gottesverweigernde, satanistische Hippies, und ich rate dir, dir dieses Verhalten nicht anzueignen!", knurrte er.

„Slash ist zur Hölle nochmal kein Neger, und ja, vielleicht schwänze ich den Kirchenchor! Aber ganz ehrlich, würdest du dich freiwillig jeden Sonntag aus dem Bett wälzen und dann für zwei Stunden lateinischen Müll zum Himmel singen, den kein Mensch versteht?", fragte ich wütend.

„Es reicht! Geh auf dein Zimmer!", zischte meine Mom.

„Liebend gern!", zischte ich zurück.

Never Enough (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt