Kapitel 3

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Ich ging an einer weiteren dunklen Gasse vorbei und verzog bei dem Geruch, der mir entgegenwehte, das Gesicht. Der Gestank war überwältigend, er hatte sich über das Dorf gelegt, war tief in seinen inneren Kern eingedrungen und hatte ihn verdorben. Er erzählte von altem Schmerz und Hass, von eisiger Kälte und Dunkelheit, in ihm schwang der Nachhall von panischen Schreien, aussetzendem Herzschlag und auf den Boden spritzendem Blut. Der Gestank von Angst und Tod war allgegenwärtig. Ich merkte, dass ich die Luft angehalten hatte, und atmete bewusst aus. Die meiste Zeit mochte ich die typischen Wolfsblut-Eigenschaften. Jetzt gerade allerdings wünschte ich mir nicht den Geruchssinn eines Wolfes zu haben oder die Wolfsblut Fähigkeit Emotionen zu spüren. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Da war etwas, dass sich nur schwer greifen ließ. Eine Mischung aus Empfindungen, sie waren nicht menschlich, soviel war sicher. Ein Tier? Nein! Oder... doch? Stirnrunzelnd schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf die mich umgebene Kraft, lies sie durch mich durchströmen und meine Wahrnehmung schärfen, bis ich sogar die Gefühle der Regenwürmer unter mir wahr nahm. Und da war es, dieses etwas.

Ich blendete alles andere aus und fokussierte meinen gedanklichen Blick auf diese Präsenz. Ich spürte Hass, Zorn, Mordlust und Aggression vermischt mit purem Wahnsinn. Aber eindeutig Menschlich. Der Rest allerdings... er lag fernab jeglicher Vernunft, von Menschlichkeit ganz zu schweigen. Etwas, dass Mensch und Tier zu gleichen Zeit war? Verdammte Scheiße! Ich riss die Augen auf und fluchte derb. Es war ein Wolfsblut, auch wenn das schwer zu glauben wahr. Dieser Wolf... Ich schüttelte den Kopf. Er hatte nichts mehr von der Kraft, der Anmut oder dem Stolz, der so typisch für uns wahr. Ich hatte so etwas noch nie gespürt. Diese auf ein Minimum reduzierte Menschlichkeit, diese Mordlust, dieser Wahnsinn... All das kannte ich aus den Erzählungen jener, die eine solche Begegnung überlebt hatten. Die Begegnung mit einem Bloodmoon. Dieser hier hatte sich seit seiner letzten Zwangsverwandlung bei Blutmond wahrscheinlich, einfach nicht mehr zurückverwandelt.

Das geschah öfter, da Bloodmoon bei ihrer Verwandlung ihre menschlichen Gedanken und Intelligenz aufgaben, standen sie unter strengster Beobachtung und mussten bei einer Mondfinsternis, müssen sich alle Bloodmoon in speziell für sie angefertigte Zellen begeben. Die Zellen waren so konzipiert, dass man einen kompletten Magie abschnitt, erreichen konnte, der den Bloodmoon Zwang sich wieder zurückzuverwandeln. Das Problem war nur, dass die meisten Bloodmoon dies nicht taten. Nicht jede Mondfinsternis führte automatisch zu einem Blutmond, der stark genug war, um eine Verwandlung auszulösen. Daher ignorieren viele Bloodmoon den Aufruf des Rates und blieben zu Hause. War der Blutmond dann stark genug für eine Verwandlung, mussten die Bloodmoon eingefangen und in eine Zelle gebracht werden, und genau da fing das Problem an. Bloodmoon waren selten, ihre sterbensrate sehr hoch und der Bau der Zellen teuer. Auf der gesamten Welt gab es insgesamt vielleicht 20. Und die waren nicht hier mitten in der Walachei, wo es Kilometer weit nichts gab, oder zumindest nichts geben sollte.

Verrens existiert offiziell nicht und die Bezeichnung "Dorf" traf auf den Haufen winziger Holzhütten, aus vermodertem Holz auch nicht zu.
Der größte menschliche Abschaum versammelte sich in Verrens. Man musste schon sehr verzweifelt sein, um dieses Loch überhaupt zu finden. Oder Kontakt zu einem gesetzlosen Nekromanten haben, der eine nennenswerte Summe für eine Information, zu einem Ort genommen hatte, der auf keiner Karte auftauchte. Und noch mehr für einen plötzlichen Gedächtnisverlust, der alles über diesen Ort und jeden, der je danach gefragt hatte, anging.

Für die Anwesenheit des Bloodmoon gab es nur zwei mögliche Erklärungen: Erstens, der Bloodmoon war ganz alleine von der nächsten entfernten Stadt, die selbst für einen Wolf mehrere Tage entfernt lag, hierher gelaufen und hatte damit jede Möglichkeit an Wasser oder Nahrung zu kommen hinter sich gelassen. Oder die zweite und sehr viel wahrscheinlichere Möglichkeit: Besagter Nekromanten hätte eine Wunderheilung hinter sich. Wahrscheinlich spielte auch eine Menge Geld eine Rolle. Was auch immer der Grund war, er spielte im Augenblick keine Rolle, denn nicht der Bloodmoon war das Problem, sondern seine Schatten. Ein verwandelter Bloodmoon blieb nie unbemerkt. Reik hatte sie einmal mit Schnecken verglichen, nur, dass sie keine Spur aus Schleim hinter sich herzogen, sondern eine aus Blut und Tod. Damals waren wir 12 gewesen und hatten darüber gelacht. Jetzt, fünf Jahre später, fand ich es nicht mehr so lustig. Den der Spur aus Blut und Tod folgten immer mindestens vier voll ausgebildete Wächter.

Ich wirbelte herum und sprintete los. Sie waren noch ein ganzes Stück entfernt, zu weit, um mich zu wittern. Wenn ich Glück hatte, kam ich hier ohne Kampf raus, vorausgesetzt das sie kein Wolfblood dabei hatten, das die Umgebung auf die gleiche Art wahr nahm wie ich. In diesem Fall nun, ohne langsamer zu werden, griff ich nach meiner Schwertscheide und hängte sie an meine rechte Seite, wo das Schwert schneller zu ziehen war. Ich bremste am östlichen Rand des Dorfes, das an einer Klippe lag. Es ging mehrere Hundert Meter in die Tiefe, dort wuchsen einige Bäume, deren Kronen einige Meter von meinem Standpunkt entfernt waren. Aus meiner Manteltasche zog ich ein Paar Handschuhe heraus, sie waren nachtschwarz und ungewöhnlich schwer. Ich streifte sie, und zwei ebenfalls schwarze am Schützer über, die ich von meinem Gürtel nahm. Ich bewegte vorsichtig meine behandschuhten Finger, bog sie dann abrupt zurück und spürte, wie der verborgene Mechanismus ausgelöst wurde. Aus den Handschuhen schossen kleine schwarze Metallspitzen, die meine gesamte Handfläche und meine Finger bedeckten. Ich trat nahe an den Klippenrand und spannte mich an, in diesem Moment hallte Heulen durch die Luft. Tja, damit war, die Frage, ob sie ein Wolfsblut dabei hatten, wohl geklärt. Ich bleckte die Zähne und sprang.

Ich fiel. Weiter und weiter ging es in die Tiefe. Ich nährte mich, mit übel erregender Geschwindigkeit, den Boden, die ersten Baumkronen flogen an mir vorbei. Blindlings streckte ich die Arme aus und packte zu. Die Rinde des Baumes rutschte durch meine Finger und die Metallspitzen der Handschuhe hinterließen lange Furchen im Stamm, während aus meinem tödlichen Sturz ein mehr oder weniger kontrolliertes Rutschen wurde. Der Aufprall auf dem Boden nahm mir dennoch den Atem und schleuderte mich auf den Rücken. Keuchend lag ich da und starrte in den Himmel. Ein weiteres Heulen riss mich schließlich aus meiner Benommenheit. Mühsamer stand ich auf und erstarrte als ein Knurren ertönte. Langsam drehte ich mich um, zwei blutunterlaufene gelbe Augen starrten mich an. Das rötliche Fell war verfilzt, gelber Schaum verklebte die Schnauze und Speichel tropfte ihm aus dem halb geöffneten Maul. Der Bloodmoon knurrte erneut. Ich drehte mich auf dem Absatz um und rannte los. Ich rannte so schnell ich konnte, schneller als jeder normaler Wolf je laufen konnte. Und trotzdem war ich zu langsam. Bei dem Aufprall auf den musste ich mir etwas geprellt haben, jeder Schritt schickte rasende Schmerzen durch mein gesamtes Bein.

Ich strauchelte, taumelte und fing mich wieder. Der Bloodmoon schnappte nach meinem Bein, seine Zähne verfehlten mich nur um Millimeter. Verzweifelt beschleunigte ich und mein Verfolger fiel zurück, einen Augenblick lang wagte ich zu hoffen. Doch der Bloodmoon hatte nicht vor, seine Beute fliehen zu lassen. Er stieß ein Heulen aus, sprang und krachte in mich. Ich wurde herumgeschleudert und knallte auf den Rücken, dabei prallte mein Kopf auf den Boden. Benommen blieb ich liegen und kämpfte gegen die, sich ausbreitende Bewusstlosigkeit an. Die Bestie landete auf mir und knurrte erneut, mein Blick begann zu verschwimmen. Da hallte ein Brüllen durch die Luft, etwas Riesiges krachte in den Bloodmoon und schleuderte ihn durch die Luft. Das war das letzte, dass ich wahrnahm, bevor mich die Dunkelheit umfing und ich das Bewusstsein verlor.

Schattenwandler Das Auge des SturmsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt