2 ✧ Wiedersehen.

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1. August 1995 ━━━

Grimauldplatz 12


Das Blut in ihren Adern schien zu gefrieren. Das würde zumindest erklären, warum sie sich nicht mehr bewegen konnte. Reglos saß sie auf ihrem Stuhl und starrte auf einen Fleck auf der Wand.

»Hallo Sirius«, hörte Ember seine Stimme hinter sich. Die beiden schienen sich in die Arme zu schließen, jemand klopfte jemand anderem auf den Rücken. Ember konnte sie nicht sehen.

»Molly, es riecht schon fantastisch«, begrüßte Remus auch die rundliche Frau am anderen Tischende.

»Schön, dich zu sehen. Setz dich«, sagte sie freundlich.

»Hallo Ginny.« Seine Stimme kam immer näher. Ember wusste, dass er sie meinte. Er erkannte sie nicht. Er wusste es nicht. Er wusste nicht, dass sie da war. Genauso wenig wie sie gewusst hatte, dass er da sein würde. Wie konnte sie nicht darüber nachgedacht haben? Wie blöd war sie gewesen, nicht einen Gedanken daran zu verschwenden, dass Albus vielleicht auch Remus zu dieser Veranstaltung eingeladen hatte.

Wie in Zeitlupe drehte Ember sich zu der Stimme um. Es war die Neugierde, die sie antrieb. Die Neugierde zu erfahren, was aus ihm geworden war. Wie es ihm ergangen war.

Remus blieb schlagartig stehen. Seine Augen wurden immer größer und als ihre Blicke sich schließlich trafen, war er wie erstarrt.

Er sah fürchterlich aus.

Schlimmer, als Ember ihn je gesehen hatte. Er war noch dünner als bei ihrer ersten Begegnung, seine Haare waren viel länger und ungekämmt, sein Bart ein paar Wochen zu lange nicht rasiert. Frische Narben zierten seinen Hals und der Umhang, den er trug, war zerschlissen.

Der Kontrast zu Sirius, der mit hochgezogener Augenbraue zwischen den beiden hin und her sah, war erschreckend. Die Zeit hatte ihre Spuren bei ihnen beiden hinterlassen. Doch sie hatte die beiden Freunde dabei unterschiedlich behandelt.

»Ember«, hauchte Remus. »Ich wusste nicht...«, begann er, brach dann jedoch ab und sah zu Sirius, der die Handflächen hob, um sein Unwissen zu beteuern.

»Remus«, erwiderte Ember mit quietschender Stimme. Sie räusperte sich, schüttelte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schluckte. Ihre Hände zitterten, ähnlich wie ihre Unterlippe.

Dann brach sie ein.

Sie schaffte es keinen Wimpernschlag länger, ihn anzusehen. Stattdessen stand sie hastig auf, strich sich ihr Kleid glatt, griff nach der Handtasche, die sie auf den Boden hatte fallen lassen und verschwand mit den Worten »Badezimmer« aus der Tür, die ihr am nächsten war.

Sie wusste nicht, wo ihre Füße sie hintrugen.

Die Tür leitete sie durch den Raum mit der Wandtapete zurück in den langen Flur. Ohne nachzudenken klammerte sie sich an das schwere Holzgeländer der Treppe, die nach oben führte und rannte die knarzenden Stufen hoch, die von einem dunkelgrünen Samtteppich überzogen waren, der sich an den Rändern bereits auflöste.

Sie zerrte am Türknauf der ersten Tür, die sich jedoch nicht öffnen ließ und eilte zur nächsten Tür, hinter der sich ein Besenschrank befand.

Mit voller Wucht und einem lauten Stöhnen ließ sie die Tür wieder ins Schloss fallen. Tränen störten ihre Sicht, die mit dem nächsten Wimpernschlag aus ihren Augen kullerten und über ihre Wangen rannen.

Um nicht noch frustrierter zu werden, sah sie sich um und schlidderte, statt auf die nächste Tür zu, in eine kleine, düstere Ecke, die sie hinter der breiten Treppe ausmachte. Sie kauerte sich in den schmalen Spalt, die Beine angewinkelt, die Arme darum geschlungen. Sie ließ den Tränen freien Lauf, die über ihre Wangen flossen und letztlich auf ihr Kleid tropften.

· between pleasure and pain · ➼ remus lupin │ book 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt