Kapitel O2 - Skylar

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Kapitel O2 - Skylar


»Heute ist ein Tag zum Vergessen.« Damien lässt sich auf seinen Drehstuhl fallen und atmet tief durch. Er legt den Kopf in den Nacken und reibt sich mit den Händen übers Gesicht.

»Was ist los?«, frage ich und mustere ihn unsicher.

»Michael ist heute ziemlich neben der Spur. Heute Vormittag wollten wir die Zahlen des letzten Quartals durchgehen. Er wurde laut und hat mich hochkant aus dem Büro geworfen.« Er schüttelt den Kopf und wirft die Akten, die bis eben noch auf seinem Schreibtisch lagen, neben sich auf den Rollcontainer. »Du weißt wie er ist, wenn er angespannt ist.«

Ich nicke verständnisvoll. Ja, das weiß ich. Michael Hill ist der netteste Chef den man sich vorstellen kann. Er ist verständnisvoll, großzügig und doch fordernd. Aber wenn er gestresst ist oder sich unter Druck gesetzt fühlt, kann er auch anders. Dann verbarrikadiert man sich am besten hinter dem eigenen Schreibtisch und hofft, dass der nächste Tag besser wird. »Liegt vielleicht an dem Besuch, den er heute bekommt.«

»Da gehe ich jede Wette ein.« Damien steht auf und dreht den Kopf im Nacken, was ein ungesundes Knacken zur Folge hat. Ich hasse diese Angewohnheit von ihm. »Ich hole mir jetzt erstmal einen Kaffee. Bist du dabei?«

Ich schüttle den Kopf. »Christian möchte von mir eine Zusammenstellung der Personalkasten des letzten halben Jahres. Die Zahlen müssen bis heute Mittag auf seinem Schreibtisch liegen.«

»So fleißig. Na gut, dann bis später.« Damian verlässt das Büro. Ich stecke mir meine Kopfhörer wieder in die Ohren und mache mich an die Arbeit.

Christian Thompson ist das genaue Gegenteil von Michael. Beide führen das Unternehmen schon einige Jahre. Aber während jeder gut mit Michael klarkommt, streiten sich meine Kollegen darum, wer dem berüchtigtem Christian als nächstes gegenübertritt. Er ist forsch, streng und ich bin mir sicher, dass ich noch nicht einmal habe Lächeln sehen. Ich würde nicht sagen, dass er griesgrämig ist, aber... Wobei. Doch, so kann man es sagen. Auf der anderen Seite hat Christian die Firma gegründet. Als es gut lief, ist Michael eingestiegen. Im Grunde genommen hat Christians Art ihn dorthin gebracht, wo er jetzt ist. Und wenn man erfolgreich sein möchte, kann man es nicht jedem recht machen. Man eckt an, macht sich Feinde und muss selbstbewusst genug sein, auf die Meinungen anderer nichts zu geben. Eine Erfahrung, die ich selbst auch schon erleben durfte.

Meine Gedanken werden unterbrochen, als mein Handy neben mir vibriert.

Grace: Rot.

Ein Stichwort, das mich aufstöhnen lässt. Eigentlich habe ich heute Abend vorgehabt, mich einfach nur mit einer Lasagne aufs Sofa zu hauen und mit die halbe Nacht meine Lieblingsserie um die Ohren zu schlagen. Vielleicht ein Glas Wein dazu. Oder ein Bier, je nachdem was unser Kühlschrank zu bieten hat. Daraus wird wohl nichts.

Ich: Geht klar, ich werde da sein.

Grace antwortet mit einem Daumen nach oben.

Noch eine Schicht im Fat Angel. Aber ich kann Sam nicht hängenlassen. Nicht schon wieder. Und wenn ich ehrlich zu mir bin, kann ich das extra Trinkgeld momentan sehr gut gebrauchen.

Grace und ich wohnen zusammen in einer kleinen Wohnung hier in Boston. Die Mieten sind nicht günstig, aber zu zweit ist es ganz gut zu meistern. Wenn Grace nicht gerade ihren Job verloren hätte. Sie ist knapp bei Kasse, zahlt die Einkäufe, ich die Miete. Das hat bisher ganz gut funktioniert. Aber nachdem unsere Waschmaschine und auch der Geschirrspüler zeitgleich den Geist aufgegeben haben, musste ich an mein Erspartes ran. Davon ist jetzt leider nicht mehr viel übrig. Und Freitags ist das Fat Angel ganz gut besucht. Bedeutet für mich: ich trage mein schwarzes Shirt, das einen guten Ausschnitt hat und meine Brüste gut betont. Die hellblaue Skinny Jeans und schon wird wieder etwas Geld in die Trinkgeldkassen gespült.

Nachdem ich zwei Stunden weiter arbeite und endlich alles zusammengestellt habe, klemme ich mir meinen Ordner unter den Arm, lasse meinen Bildschirm in den Sperrmodus schalten – Christian besteht darauf, damit niemand unbefugtes Zugriff hat – und mache mich auf den Weg zu ihm nach oben. Vorher habe ich noch seinen Terminkalender gecheckt, damit ich nicht irgendwo reinplatze. Auch eine Erfahrung, die ich nicht nochmal machen möchte. Die Standpauke danach hat mich geprägt.

Im Aufzug drücke ich den Knopf für die 53. Etage. Dort oben sitzen Michael, Christian und James. James ist Scheidungsanwalt und ziemlich erfolgreiche. Deshalb durfte er im letzten Monat ein Büro im obersten Stockwerk beziehen. »Hey James«, grüße ich ihn, als ich aus dem Aufzug steige und an seinem Büro halte. »Viel zu tun?« Über seinem Schreibtisch sind unzählige Papiere verteilt. Seine Brille hängt etwas schief auf seinem Nasenrücken und die Krawatte hängt gelockert um seinen Hals. Ein Anblick, den man nur selten zu Gesicht bekommt.

»Diese Frau macht mich fertig. Im eigenen Leben nichts geschafft und nun alles fordern, was der arme Kerl zu bieten hat. Ich bekomme die Krise.« Er schnauft schwer und sieht dann zu mir hoch. Missmutig betrachtet er den Ordner unter meinem Arm. »Wenn du das da bei Michael vorbeibringen möchtest, rate ich dir davon ab. Mit ihm ist heute nicht gut Kirschen essen.«

»Nein, ist für Christian. Ist er da?«

»Müsste in seinem Büro sein.« Plötzlich richtet James seinen Blick hinter mich. »Jetzt geht's los.«

Ich drehe mich um und sehe genau in das Büro von Michael gegenüber. Das Gebäude hat überall verglaste Fensterscheiben, sodass man in jedes Büro freie Sicht hat. Mit Flächenvorhängen wird hin und wieder etwas Privatsphäre geboten, wenn Mandanten einen Termin bei einem der Anwälte haben. Ansonsten sind sie immer offen.

In Michaels Büro geht es hoch her. Michael hat sich vor seinen Schreibtisch gestellt und zeigt gerade mit erhobenen Zeigefinger auf einen großgewachsenen Kerl, der mit verschränkten Armen vor ihm steht. Ist das ein Holzfällerhemd? Michael gestikuliert wild, er wird lauter. Von hier draußen hört man nur den tiefen Bass seiner Stimme. Die Worte kann man nicht verstehen. »Wer ist das?«, frage ich laut. Ein Mandant wird es nicht sein, so wie Michael sich verhält. Auch wenn er nicht davor zurückschreckt einigen Klienten offen und ehrlich die Meinung zu sagen, wenn eine Situation aussichtslos ist, macht er es immer auf eine professionelle und ruhige Art und Weise. Im Moment ist er garnicht ruhig. Und nicht professionell.

»Sein Sohn«, antwortet James auf meine Frage. Er rollt mit seinem Stuhl etwas zur Seite, damit er bessere Sicht hat. »Das geht schon zwanzig Minuten so. Jeden Moment explodiert die Bombe.«

»Sein Sohn?« Am Rande habe ich mitbekommen, dass er hier erscheinen soll. Habe aber nicht viel darum gegeben. Michaels zweiter Sohn Jordan ist auch ab und an hier.

»Richtig. Ein komischer Kerl. Wer läuft in einem Büro mit so einem Hemd herum?«

Plötzlich macht der Kerl einen riesigen Schritt auf Michael zu. Dicht an dich stehen sie da. Michael wird plötzlich aschfahl im Gesicht und öffnet den Mund, als wolle er etwas sagen, bringt aber keinen Ton heraus. Dann dreht der Typ im Holzfällerhemd sich um, schnappt sich eine Umhängetasche die zu seinen Füßen liegt und marschiert aus dem Büro. »Bis dann, James«, brummt er über die Schulter, als er an uns vorbeiläuft. Mich beachtet er dabei nicht. Ich ihn aber sehr wohl.

Er ist groß, mindestens über einen Meter fünfundachtzig. Ich kann tatsächlich Holz an ihm riechen, als er an mir vorbei hastet. Und noch etwas anderes, etwas frischeres. Gras? Und seine Schultern sind breit fällt mir auf, als er vor dem Aufzug steht und ungeduldig mehrmals den Knopf drückt. Sehr breit. Aber nicht so, wie man es von trainierten Männern kennt. Irgendwie scheinen seine Schultern und seine Arme klarer. Definierter. Zumindest kann man es durch das rot braune Hemd erahnen. Seine braunen Haare im Nacken sind etwas kraus, so als wäre er schon einige Zeit nicht mehr beim Friseur gewesen. Er schaut zur Seite und ich erkenne eine gerade Nase, tiefe Augen und eine markante Kieferpartie. Ich warte, dass er sich komplett zu mir dreht, damit ich sein ganzes Gesicht mustern kann. Aber ich werde enttäuscht, als die Aufzugtüren sich mit einem Pling öffnen und er darin verschwindet. Ich möchte mich schon abwenden, als er sich schließlich doch umdreht. Er schultert seine Taschen und schaut dann geradewegs in mein Gesicht. Und wow... er ist umwerfend.

Sein Haar hängt ihm wirr in der Stirn, seine Kieferpartie wird noch markanter als er die Zähen fest zusammenbeißt und einen tiefen Atemzug macht. Ich erkenne ein Blitzen in seinen Augen. Und dann fällt bei mir plötzlich der Groschen.

Scheiße. 

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