Verwirrung?!

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„Ran. Nicht. Du bist verletzt!", gab ich laut von mir und fluchte innerlich. Warum? Wieso hatte ich ihm alles gesagt? Warum ausgerechnet jetzt, wo er sich doch in einer Lage befand, in der er sich nicht aufregen sollte? Er stand auf, wollte an mir vorbei, doch ich blieb standhaft.

„Lass mich. Ich werde ihm schon Manieren beibringen!", knurrte Randy wütend.

„Nein. Du bleibst sitzen!" 

„Emy, es reicht! Der Typ geht mir auf die Nerven und das nicht erst seit heute. Er hat ein gewaltiges Problem. Ich weiß nicht was, aber ich werde es aus seinem Gesicht heraus polieren." Es dauerte wirklich sehr lange, um ihn zu überreden, dass er hierbleiben und die Sache erst in die Hand nehmen sollte, wenn er wieder zu 100% fit sein würde. Ich atmete erleichtert auf, als ich es wirklich schaffte und er sich zur Ruhe legte.

Ich selbst war mittlerweile sehr müde geworden und  blickte auf den Wecker. 3 Uhr morgens. Ich war überrascht über die Uhrzeit. Ich hatte wirklich lange gebraucht, um ihn zu beruhigen. Ich beschloss, zurück in mein Zimmer zu gehen, das zum Glück auf derselben Etage lag.

Draußen stürmte es fürchterlich. Beinahe im Laufschritt hetzte ich den Hotelflur entlang. Ich hätte in meiner Jugend nicht so viele Horrorfilme schauen sollen, spielten sich in meinen Gedanken doch die wildesten Szenen ab. Von imaginären Axtmördern verfolgt, lief ich den Flur entlang, der kein Ende zu nehmen schien. Ich mit meinen jungen 21 Jahren, hatte schon einiges gesehen, doch ich war nicht scharf darauf, es live zu erleben.

Wenige Meter, ehe ich mein Ziel endlich erreicht hatte, entdeckte ich neben meiner Zimmertür jemanden, der in seiner Jackentasche nach seinem Schlüssel zu suchen schien. Seth. Wie er dort stand. Er sah erschöpft aus. Ich war eigentlich auch zu müde, um mich jetzt noch mit ihm anzulegen, aber ich, Emily Orton, konnte es natürlich nicht lassen. Ich war einfach zu wütend auf ihn. Er hatte meinen Bruder verletzt, nur weil er ein Problem mit mir hatte.

„Du!", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und ging auf ihn zu. Mein Herz schlug immer schneller, je näher ich ihm kam, doch ich ignorierte es. Er sah mich an und ließ seinen Schlüssel achtlos im Türschloss stecken.

„Oh, wie toll, die nächste Orton." Die Ironie in Seths Stimme war nicht zu überhören. Mit voller Wucht landete meine Hand in seinem Gesicht. Ich hatte ihm die dritte Ohrfeige verpasst. Neben dem Rauschen des Sturmes, der um das hohe Gebäude fegte, war nur das laute Klatschen meiner Handfläche in seinem Gesicht, auf dem Hotelflur zu hören. Irritiert sah Seth mich an und hielt sich die linke Wange. Doch diesmal würde es mir nicht leidtun, was ich getan hatte.

„Was fällt dir ein, Randy zu verprügeln? Noch dazu mit deinen dämlichen Freunden?", schrie ich regelrecht und verschränkte meine Arme vor der Brust. „Ich hatte es dir schon einmal gesagt, dass du, wenn du ein Problem mit mir hast, dich auch mit mir anlegen sollst und nicht mit meinem Bruder oder sonst wem." Seth sagte nichts. Er stand nur da und hielt sich seine Wange. 

Ich packte ihn an seinem  schwarzen T-Shirt und zwang ihn mich anzusehen. Sein Blick war fragend. Irgendwie traurig. Ich räusperte mich und musste mich zusammenreißen, mich von seinen schokoladenbraunen Augen nicht erweichen zu lassen.

„Ich will, dass du Randy in Ruhe lässt." Ich krallte mich fester in sein T-Shirt. „Ich will, dass du dich von ihm und von mir fern hältst", zischte ich und schubste ihn zur Seite. „Ich will, dass du nie wieder in meine Nähe kommst."Ich wollte gehen. Einfach nur in mein Bett. Oder meine Hand kühlen, da der Schlag doch etwas heftig war.

Doch Seth hielt mich an der Hand fest, drehte mich um und presste seinen Mund auf meinen. Wie gelähmt stand ich da und ließ es zu. Ich wusste nicht, warum ich es zuließ, doch jeder Widerstand wäre zwecklos gewesen, so fest wie er meine Hand festhielt und seinen anderen Arm um meine Taille geschlungen hatte. 

„Seth", hauchte ich, während ich nun doch halbherzig versuchte, mich von ihm zu befreien. Doch es half nichts. Seth presste mich nur noch fester an sich und drängte mich mit seinem Körper an die Wand. Wieder spürte ich dieses komische Kribbeln in der Magengegend und wusste einfach nicht, was ich tun sollte. Ich konnte einfach nicht klar denken. Er begann meinen Hals zu liebkosen. Ein leises Stöhnen konnte ich nicht unterdrücken. Verdammt, Emy! Was ist los mit dir? Mach dich los und renn weg! rief meine innere Stimme. Doch ich konnte nicht. Seth hielt kurz inne, schaute mich an, und wieder konnte ich nur seinen Namen im Flüsterton aussprechen. Er schloss die Augen, streichelte mir sanft über die Wange und küsste mich wieder. Diesmal war sein Kuss weniger drängend, sondern liebevoller und leidenschaftlicher als zuvor. Nach einer gefühlten Ewigkeit löste er sich von meinen Lippen und blickte mich mit einem zufriedenen Lächeln an.

„Ich kann dich nicht in Ruhe lassen, Emy. Ich weiß nicht warum, aber ich kann es einfach nicht", flüsterte er mir ins Ohr, ließ von mir ab und ging in sein Zimmer. 

Ich stand noch einen Moment, geschockt von dem Kuss und seinen Worten, vor der Tür, ehe ich endlich in mein Zimmer ging. 

Ich holte mir eine Cola aus der Minibar und setzte mich aufs Bett. Gedankenverloren drehte ich die Flasche zwischen meinen Händen. Wieso küsste er mich? Warum ausgerechnet mich? Was wollte er nur von mir? Ich berührte mit den Fingerspitzen meine Lippen. Es war als könnte ich Seths weiche Lippen und das Kribbeln seines Bartes noch auf ihnen spüren. 

Mir stieg die Hitze in die Wangen. Ich ließ mich in die Kissen fallen, presste das Kopfkissen auf mein Gesicht und schrie aus Leibeskräften.

„Ich hasse ihn", jammerte ich. Ich konnte einfach nicht vergessen, wie er mich geküsst hatte. Vor allem war dies mein erster Kuss, da ich davor nie Gelegenheiten dazu bekommen hatte. 

Mein Bruder hatte mich schon immer zu sehr beschützt. Er hatte jeden verprügelt, der mich damals auch nur schief angesehen hatte. Danach folgte das Studium für Geschichte, das ich abgeschlossen hatte. Nie hatte ich wirklich Zeit gehabt, um auszugehen und Männer kennenzulernen. Rund um die Uhr hatte ich für die Uni gelernt. Außerdem hatte ich einen Job angenommen, damit meine Eltern nicht für alles alleine aufkommen mussten. Wir hatten uns die Studiengebühren geteilt und dafür war ich arbeiten gegangen. Und was sollte das eigentlich heißen, dass Seth mich nicht in Ruhe lassen könnte? Und dass er selbst nicht wusste, warum? Typisch Männer. Ohne nachzudenken taten sie Dinge, ohne sich darüber bewusst zu sein, dass sie uns Frauen damit verletzen könnten. Für einen kurzen Moment kamen mir erneut Zweifel, ob es richtig gewesen war, dass ich Randy alles von Seth erzählt hatte. Doch dann schüttelte ich meinen Kopf. Nein, Seth hatte es nicht anders verdient. Oder lag ich da wieder falsch? Ich atmete tief durch und beschloss, endlich schlafen zu gehen. Ich wollte nicht länger darüber nachdenken, doch das war leichter gesagt als getan. Zu viele Fragen gingen mir einfach durch den Kopf und ich konnte nicht einschlafen.

Da aller Zwang nicht half, stand ich schließlich wieder auf, um mir einen Apfeltee zu kochen. Meine Lieblingssorte. 

Sie sollte es doch schaffen, meine Nerven ein wenig zu beruhigen. Es war mittlerweile fast 5 Uhr. Ich legte mich ins Bett und schaltete den Fernseher ein. Ablenkung. Ich brauchte Ablenkung. Doch welches TV Programm sollte mich davon abhalten, an meinen ersten Kuss zu denken? Diese Sendung musste erst noch erfunden werden. Immer wieder sah ich Seths wunderschöne, schokobraune Augen vor mir. Immer wieder konnte ich seine weichen Lippen auf meinen spüren. Und dann dieses Kribbeln im Bauch... Ich war so verwirrt, wegen dieser Gefühle, die er in mir auslöste.

Warum musste auch ausgerechnet er es sein, der mir meinen ersten Kuss gab? Ich stellte meinen leeren Teebecher auf den Nachttisch und kuschelte mich in die Bettdecke. Vor meinem inneren Auge spielte sich immer wieder dieser Kuss ab. Und mit dem Gefühl, von Seth gehalten und geküsst zu werden und mit dem Gebrabbel des TVs im Hintergrund, schlief ich schließlich ein

Liebe auf den zweiten Blick!♥Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt