Mit weichen Knien schleppe ich mich zu der Taxi-Beifahrertür, die bereits offensteht, und steige ein. Leif sieht genauso aus wie gestern, dieselbe Cordhose, dasselbe verwaschene Polohemd, derselbe freundlich-unbeteiligte Gesichtsausdruck.
„Hallo Miriam", begrüßt er mich.
„Hallo Leif." Ich beäuge ihn misstrauisch. Er ist doch bestimmt nicht gerade begeistert, weil ich ihn heute Morgen versetzt habe, oder?
Er macht allerdings keinerlei Anstalten, mir Vorwürfe zu machen. „Schnall dich bitte an", sagt er stattdessen.
Ich nicke stumm. Gestern musste ich das nicht. Ob das seine Art ist, mir zu verdeutlichen, dass er einen zweiten Fluchtversuch verhindern wird?
Als ich Leifs Aufforderung Folge leiste, drängt sich der Gedanke an Kyle in meinen Kopf. Ob er schon auf mich wartet? Aber ich traue mich nicht zu fragen, ob wir hierbleiben können.
„Wohin fahren wir?", bringe ich stattdessen heraus.
„Dorthin, wohin du musst, Miri."
Natürlich. Immerhin das hat sich nicht geändert. Das schlechte Gewissen Kyle gegenüber nagt an mir, aber Leif hat heute etwas an sich, das mir auch ohne eine entsprechende Nachfrage klar macht, dass er heute keine Widerrede akzeptieren wird.
„Bist du wütend auf mich?", frage ich, als wir einige Zeit durch die Straßen gefahren sind, die vor meinen Augen auf seltsame Art und Weise ineinander verschwimmen und mich die Orientierung verlieren lassen.
„Nein", erwidert Leif.
Ich schweige, aber anders als bei Menschen und den meisten Poltergeistern führt das nicht dazu, dass er weiterredet.
„Wirklich nicht?", will ich dann wissen.
„Nein", wiederholt er, seufzt dann aber. „Du hast getan, was du tun musstest, Miriam. Und dich dazu zu bringen, ist meine Aufgabe."
Ermutigt durch seine etwas längere, wenn auch nicht unbedingt aufschlussreiche Antwort schaffe ich es, noch eine Frage hinterherzuschieben: „Wieso heißt es dann, dass du Poltergeister verschwinden lässt?" Wo ist Theresa?
Ich habe den Blick auf die Straße gerichtet, aber in dem Moment, als ich die Frage beende, glaube ich, eine plötzliche Bewegung zu meiner Linken wahrzunehmen. Etwas scheint aufzublitzen und Leifs Züge zu verzerren, aber als mein Kopf zu ihm herum fährt, sieht er genau so liebenswert unauffällig aus wie immer, und ich komme zu dem Schluss, dass ich mich geirrt habe.
„Das wirst du selbst herausfinden müssen", beantwortet Leif meine Frage, gerade, als er abbremst und das Taxi zum Stehen kommt. „Hier kannst du anfangen."
Ich mustere ihn noch kurz, um sicherzustellen, dass er sich wirklich nicht verändert hat, dann schaue ich nach draußen. Wir stehen vor einem mir unbekannten Haus. Als ich es betrachte, setzt sich das Bild meines heutigen Opfers vor meinem inneren Auge zusammen. Die schwarzen Locken und das sorgfältig geschminkte Gesicht habe ich in meinem Geisterdasein schon einmal gesehen, auch wenn ich keinen Namen dazu habe. Es ist die Freundin von Sina, die, die mit ihr bei dem Medium war.
„Geh", sagt Leif und ich leiste seiner Aufforderung Folge.
Heute bleibt das Taxi stehen, während ich mich wie auf Schienen auf das Haus zu bewege. Ich spüre Leifs Blick in meinem Rücken und mir ist absolut nicht wohl bei der Sache. Es ist, als müsste ich mich einer Prüfung stellen. Was passiert, wenn ich durchfalle?
Einen Augenblick später trete ich durch die Hauswand und stehe überraschenderweise direkt in einem Jugendschlafzimmer, wo ich die Küche erwartet hätte. Wie soll man da als respektabler Poltergeist noch Häusergrundrisse für sich verwenden? Die Wände des Zimmers sind mit Postern von Ballerinas bedeckt, auf einem Kalender an der Wand sind mehrere Daten rot markiert.
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In Memoriam
ÜbernatürlichesMiriam ist tot. Eigentlich hat sie sich mit diesem Schicksal abgefunden, denn als Poltergeist ist sie zweifellos talentiert. Wäre da nicht die Legende von einem Taxi, das einen nicht dorthin bringt, wohin man möchte, sondern dahin, wohin man muss...