1. Kapitel

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Layla

Zwei Wochen später

An diesem Montag hatte ich das erste Mal das Gefühl nicht gleich mein Frühstück auskotzen zu müssen, als mein Vater die offene Küche betrat. Ich saß an der Kücheninsel und hatte mir eine Schüssel mit Cornflakes gemacht. Mein Seelenfutter seit Tag X und im Grunde das Einzige, das ich essen konnte. Meine Mutter schien es in den Wahnsinn zu treiben und ich hatte seitdem fast fünf Kilo verloren, aber sie versuchte weiter Verständnis zu zeigen und kaufte mir all meine Lieblingscerealien, wenn ich danach verlangte.

Paps dagegen hatte mich seit der Vergewaltigung in Watte gepackt. Schlimmer hätte es mich nicht treffen können. Während er selbst versuchte Abstand zu mir zu halten, ließ er nicht mal mehr zu, dass mich Rafael oder die Zwillinge besuchen durften. Selbst mein Studium durfte ich solange auf Eis legen, wie ich es für nötig hielt.

Ich hasste es. Alles daran.

Ich hasste mich für meine Schwäche.

Ich hasste meine Eltern für ihre Fürsorge.

Ich hasste die Jungs, weil sie mich für gebrochen hielten.

Ich hasste meinen Vergewaltiger, weil er mir das angetan hatte.

Ich hasste mich noch mehr, weil ich all dies zuließ.

Ein lautes Klirren dröhnte durch das Haus, als ich meine volle Schüssel auf den Küchenboden donnerte und sie in tausend Teile zersprang. Überall klebten kleine bunte Kringel und Milch tropfte auf den Boden.

Fuck!", brüllte ich aus tiefster Seele und ging Haare raufend in die Hocke.

Meine Ma kam sofort angerannt, wollte wissen, was los war und ob es mir gut ginge.

„Nein, mir geht es nicht gut!", fauchte ich stocksauer. Ich brodelte regelrecht vor Wut. „Ich hab die ganze Scheiße so dermaßen satt!"

Ohne einen Gedanken an die Sauerei auf dem Boden zu verlieren, stampfte ich nach oben, ging duschen, zog mir frische Sachen an, packte meine Sachen und machte mich auf den Weg zum Campus.

Immer noch wütend trampelte ich regelrecht über den Kiesweg zur Bibliothek, um mir einen ruhigen Platz zum Lesen zu suchen. Ich musste dringend meinen Kopf frei bekommen, wenn ich nicht Amok laufen oder mir selbst etwas antun wollte. Und das sofort.

In der Bibliothek war es ruhig. Für meinen Geschmack zu ruhig, weil es in mir zu sehr am Brodeln war. Ich konnte das Blut in meinen Ohren rauschen hören und an meinem Hals pochte mein Puls so intensiv, dass mir schwindelig wurde. Ich brauchte ein Ventil und wusste nicht, was ich tun sollte. Sport war nicht mein Ding und Alkohol würde ich so schnell nicht mehr anfassen.

Mit meinem letzten Funken Verstand versuchte ich leise zwischen den Bücherregalen einen stillen Platz zu suchen. Eine Ecke, in der sonst niemand war und ich mich in eine andere Welt lesen konnte. Wo ich endlich dieser Realität entkommen konnte.

Ich hatte mich gerade mit einem Buch über Kriminalpsychologie auf den Boden gesetzt und die erste Seite aufgeschlagen, als eine ältere Dame um die Ecke hervorlugte und mich durch ihre dicken Brillengläser ansah.

„Es tut mir unsagbar leid, junge Frau, aber ich muss gleich schließen."

„Was?", platzte es perplex aus mir heraus. Irritiert sah ich auf meine Uhr. „Wir haben keine zehn Uhr am Morgen."

„Ich weiß.", sagte sie und wirkte ehrlich betroffen. „Ich habe bereits mit dem Dekan gesprochen. Meine Tochter ist letzte Nacht Mutter geworden und hatte einen schweren Eingriff hinter sich, weil der Kleine in Schieflage war. Und außer mir ist niemand berechtigt, diese Bücher zu überwachen."

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