2. Kapitel

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Kazu

Da saß sie und offenbarte mir ihr grausames Geheimnis. Ohne eine Miene zu verziehen. Und doch konnte ich erkennen, wie sehr sie zitterte und wie angespannt ihr restlicher Körper war. Sie knetete ihre Finger bis die Knöchel knackten und nach dem ersten vollständigen gesprochenen Satz kaute sie ängstlich an ihrer Unterlippe, bis ich Blut erkennen konnte.

Ohne darüber nachzudenken, beugte ich mich auf meinem Platz vor, legte meine Hand auf ihre und sah sie eindringlich an. „Bitte hören Sie auf, sich selbst zu verletzen.", hauchte ich sanft und deutete auf ihre blutende Lippe, als sie mich fragend ansah.

Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie bemerkte, dass ich weiter meine Hand auf ihrer liegen hatte. Wie ungewöhnlich warm sie waren. Normalerweise, wenn jemand Angst oder Panik empfand, floss das Blut aus den Händen in die Beine, um für die Flucht bereit zu sein. Aber diese junge Frau schien nicht an Flucht zu denken. Versuchte sie gegen ihre tiefsten Instinkte anzukämpfen?

Mit großen grünen Augen sah sie mich an. Traute sich kein weiteres Wort zu sagen. Hielt regelrecht den Atem an.

Ich erlöste sie von ihrem Leid und lehnte mich zurück in meinen Sitz. „Ich werde Sie nicht dem Dekan melden."

„Danke." Ihre Stimme war kaum ein Bruchteil dessen, was sie bis zu ihrem Geständnis gewesen war.

„Allerdings habe ich eine Bedingung."

Ihre Augen wurden immer größer. Was hatte ihr dieser Vergewaltiger nur angetan, dass sie solche Angst hatte? Oder lag es ausschließlich daran, weil ich ein Mann war?

„Keine Sorge. Es handelt sich um eine ganz einfache Sache." Aus meiner obersten Schublade holte ich ein kleines Kästchen hervor und nahm eine meiner Visitenkarten, um sie dem Mädchen zu reichen. Als wäre sie zerbrechlich nahm sie sie entgegen und überflog meine Daten. „Ich möchte, dass Sie sich am Ende jeden Tages nach Ihren Lesungen bei mir melden."

„Und wozu?" Endlich schaffte sie es wieder mich mit diesen leuchtend grünen Augen anzusehen. Wie eine neugierige Katze musterte sie mich. Es standen so viele offene Fragen in ihrem Blick.

„Sie machen nicht den Eindruck, als würden Sie nach diesem Erlebnis professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Deshalb werde ich mich anbieten."

„Als was?", gab sie zurück und wirkte fast ein wenig bockig. „Wenn Sie Therapeut sagen, gehe ich sofort wieder nach Hause."

„Sehen Sie es nicht als Therapie, sondern als..." Ich überlegte kurz und mir kam ein seltsamer Gedanke. „Sehen Sie es als eine Art Nachholen der verpassten Lesungen."

„Dann wollen Sie mir Nachhilfe geben?"

„Ich möchte Ihnen helfen. Ob als Professor, Therapeut oder Freund. Ich bin nicht umsonst erste Ansprechstelle für die Studenten, wenn sie Probleme haben."

Layla kniff die Augen zusammen und sah mich prüfend an. „Sie lehren nicht nur Literatur, oder?"

„Psychologie mit dem Schwerpunkt auf der Analyse von Körpersprache."

„Sie sind wie Dr Lightman aus dieser Krimiserie damals.", stellte sie für sich fest und ich konnte förmlich sehen, wie sie lockerer wurde.

Obwohl sie kein Interesse an Therapie zu haben schien, weckte mein Schwerpunkt ihre Neugierde. Damit würde ich arbeiten können.

„Ich hätte einen Kompromiss, den ich eingehen würde."

Ich stützte mich mit den Ellbogen auf dem Tisch ab und ließ mein Kinn auf den zusammengefalteten Händen ruhen. „Ich höre."

„Ich komme einmal am Tag hierher, um mit Ihnen zu reden. Worüber auch immer. Und dafür lehren Sie mich die Kunst Menschen zu lesen."

Interessant.

„Darf ich fragen, woher diese Neugierde kommt?"

Ihre Mimik verhärtete sich, als sie aufstand, ihr Smartphone hervor holte und ein Foto von meiner Karte machte. Anschließend legte sie die Visitenkarte auf meinen Tisch, schnappte sich einen meiner vielen Füller und kritzelte ihre Nummer auf die Rückseite. „Ich schicke Ihnen zu Hause meinen Stundenplan zu, damit Sie wissen, wann ich Zeit habe und dann können Sie mir sagen, wann ich vorbei kommen soll."

Mit festen Schritten ging sie zur Tür und hielt den Knauf bereits in der Hand als sie sich ein letztes Mal zu mir umdrehte. Ihre Augen funkelten wie kleine Smaragde. „Und um Ihre Frage zu beantworten: Ich will, dass mir sowas nie wieder passiert. Und das kann ich nur verhindern, indem ich die Absichten der Menschen lesen kann."

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