5. Kapitel

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Kazu

Es war von vorneherein abzusehen, dass in dieser jungen Frau Wut stecken würde. Verzweiflung. Angst. Und Blockaden.

„Okay, vielleicht sollten wir eine kleine Pause einlegen, denken Sie nicht auch? Etwas trinken, kurz durchlüften, um wieder einen klaren Kopf bekommen."

Bockig presste sie die Lippen aufeinander und würdigte mich keines Blickes. Stumm zuckte sie mit den Schultern.

Während ich das Fenster öffnete, konnte ich hören, wie sie in ihrer Tasche kramte und aus einer Flasche trank.

„Haben Sie die Sachen dabei, um die ich Sie gebeten habe?"

„Das habe ich Ihnen doch bereits heute Morgen gesagt.", erinnerte sie mich schnippisch.

Ich kam nicht umher, mich zurück an meinen Tisch zu setzen, meine oberste Schublade zu öffnen und der Frau einen Müsliriegel anzubieten. „Essen Sie.", bat ich und reichte ihr den Riegel.

Perplex sah sie mich an. Nahm jedoch den Riegel und aß ihn nach kurzer Überlegung. Die obere Hälfte war mit Schokolade überzogen und im Inneren waren karamellisierte Erdnüsse. Die reinste Kalorienbombe.

„Danke...", nuschelte Layla mit vollem Mund. Ihre Gesichtszüge wurden gleich weicher und glätteten sich.

Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

„Was ist so witzig?" Selbst ihre Stimme klang friedvoller. Nicht komplett besänftigt, aber definitiv entspannter als vorher.

„Sie sind also ein kleiner Zuckerjunkie, was?", stellte ich amüsiert fest.

„Wie meinen Sie das?"

„Sie werden grantig, wenn Sie unterzuckert sind.", erklärte ich und mein Grinsen wurde breiter.

Layla dagegen zog einen Schmollmund und runzelte die Stirn. „Machen Sie sich über meinen Zuckerkonsum lustig, Professor?"

Abwehrend hob ich die Hände. „Ich würde es niemals wagen mich über die Zuckerbedürfnisse einer Frau lustig zu machen." Als kleines Friedensangebot holte ich einen zweiten Riegel aus der Schublade und biss selbst hinein. „Ich werde nur selbst gerne hangry, wenn ich nicht genug esse."

Ein winziges Lächeln zeigte sich auf ihren vollen Lippen wieder. Endlich etwas, mit dem ich eine Verbindung aufbauen konnte.

„Also, welches Buch haben Sie mir mitgebracht?" Gespannt beobachtete ich Layla, wie sie erneut in ihrer Tasche kramte und ein altes Buch auf meinen Tisch legte. Ich drehte das Cover in meine Richtung und mein Herz machte einen kleinen Sprung bei dem Titel. „Alice im Wunderland.", las ich gerührt vor. „Das ist eine sehr schöne Wahl, Layla. Was hat Sie dazu gebracht, dieses Buch auszusuchen?"

„Ich..." Verlegen strich sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Wollte sie etwa flirten? „Mein Dad hat mir früher immer dieses Buch vorgelesen. Bevor Samira starb, war es unser gemeinsames Ritual abends zu viert im Bett zu liegen. Dad hatte für jeden Charakter eine eigene Stimme kreiert und so den einzelnen Figuren Leben eingehaucht. Ich liebe diese Geschichte."

Ihr Blick wurde glasig und ich konnte erkennen, dass ihre Atmung flacher ging. Erregung, aber nicht auf sexueller Basis. Sie liebte dieses Buch wirklich.

Ehe ich ihr eine Antwort geben konnte, beugte sie sich erneut zu ihrer Tasche runter und holte ein zweites kleineres Buch hervor. „Das wäre meine Alternative gewesen. Ich dachte, ich bringe es auch mit. Falls Sie mit dem ersten unzufrieden sein sollten."

Vorsichtig nahm ich das zweite Buch in die Hand und fuhr mit der Fingerspitze über den imprägnierten Titel mit den dicken Buchstaben. Rotkäppchen.

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