Zahlen (Be kind 1)

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Bulimie. Essstörung. Magersucht.

von idrinkteadarling528 .

Zahlen
Heute ist wieder einer dieser Tage. Einer dieser Tage, an denen mir übel wird wenn ich das Geräusch von klappernden Gabeln und schmatzenden Mündern höre. Einer dieser Tage, an denen ich auf meinen Teller starre und mir nicht vorstellen kann, dass das was dort liegt gleich in meinem Körper sein wird. In Gedanken rechne ich schon die Kalorien zusammen, überlege, wie viel Sport ich machen muss um sie wieder loszuwerden.

Meine zitternden Hände greifen nach der Gabel, und das kühle Metall fühlt sich fast schon beruhigend an. Unauffällig werfe ich einen Blick zu meinen Eltern herüber. Ob sie es merken würden, wenn ich nach dem Essen schnell aufs Klo gehe? Ich glaube, sie ahnen nichts davon. „Das ist alles nur in meinem Kopf!", rede ich mir ein, aber mein knurrender Magen belehrt mich eines besseren. Langsam nehme ich eine Gabel voll Essen in meinen Mund. Ich möchte es am liebsten wieder ausspucken. Es fühlt sich an, als würde es dort nicht hineingehören, der Gedanke daran ekelt mich an. Vorsichtig schlucke ich. Aber das, was ich dort vor mir auf dem Teller sehe, ist keine Nahrung. Der Tisch verschwimmt in lauter Zahlen.

Ich sehe sie später immer noch, im Bad. Ich sehe herunter auf das kleine, kalte Brett auf dem ich stehe. Die Zahlen dort steigen ins Unermessliche, und ich meine sie flüstern zu hören: „Du bist schuld. Nun wirst du nie so wie die anderen sein!" Langsam drehe ich mich zum Klo um und öffne den Mund. Vielleicht würden die Zahlen ja wieder leiser werden, wenn das Essen fort war. Ich starre auf die abgekauten Nägel meiner blassen Finger, bevor ich sie bis zum Ansatz in meiner Kehle verschwinden lasse. Es fühlt sich befreiend an, den Fremdkörper in mir loszuwerden. Ich werde durchhalten, ich werde endlich hübsch sein! Und niemand wird davon erfahren. Niemand wird mitbekommen, was hinter der verschlossenen Badezimmertüre geschieht. Es ist widerlich, aber ich stehe es durch. Ich möchte dünn sein, so dünn wie alle anderen. Mein Magen knurrt wieder. Ich habe Bauchschmerzen.

Irgendwann mitten in der Nacht wache ich schweißgebadet auf, mir ist schlecht und das pochende Hungergefühl in meinem Bauch lässt mich alles andere vergessen. Und so schleiche ich mich in die Küche, durchsuche die Schränke nach irgendetwas essbarem, und stopfe alles in mich hinein was ich finden kann.
Aber kaum ist mein Magen leise, werden die Zahlen in meinem Kopf wieder laut, und ich spüre wieder den bittersüßen Geschmack auf meiner Zunge. Wie jede Nacht kann ich die Zahlen auch dieses Mal nicht ignorieren. Wie jede Nacht schleiche ich mich wieder ins Bett, voller Schuldgefühle und mit rauher, schmerzender Kehle.

Bulimie, Magersucht, Binge-Eating und weitere Essstörungen sind ernstzunehmende psychische Erkrankungen. Bitte denkt daran wenn ihr mit Betroffenen davon in Kontakt kommen solltet. Seid bitte auch besonders sensibel in eurer Wortwahl und eurem Verhalten, wenn ihr mit Menschen sprecht die unter einer Essstörung leiden. Das Thema kann für einige sehr belastend sein.
Macht Betroffenen in eurem Umfeld klar, dass sie eure vollste Unterstützung haben, ohne sie zu Hilfsangeboten oder Therapie zu drängen.

Wenn ihr selbst davon betroffen seid, möchte ich euch ermutigen, euch Hilfe zu holen. Ein Anfang dafür kann dieser Link sein:

https://essstoerungen-onlineberatung.de/angebote-fuer-betroffene/

Vielen Dank fürs lesen, teilt gerne eure Gedanken dazu in den Kommentaren.

Eure Krümel <3

splitter meiner selbstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt