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Mein Herz schmerzte.

Ich hatte den Entschluss gefasst zu kündigen - was ich auch schon vor dem Besuch von der Nickelbrille tun wollte - doch diesmal war der Grund etwas anders. Ich musste weg.

Die Leitung der Uni saß mir gegenüber und starrte mich an. Ich war noch nicht lange hier und wollte schon wieder weg, das warf Fragen auf. Abgedroschene Ausreden, eine beschissener als die andere, halfen mir aus dieser Situation und auch wenn ich sicher war das mein Gegenüber bemerkte wie ich log, so schwieg sie doch. Doc Phil wurde hinzu gebeten und als er hörte was vor sich ging sah er mich mitleidig und enttäuscht an. "Aber... Wieso? Und wieso ausgerechnet jetzt? Das Stück wird doch in einer Woche aufgeführt und sie sind der Romeo... Wir haben extra Gas gegeben um es so schnell aufführen zu können!?" fragte er anklagend. Da ich unfähig war ihm darauf etwas zu entgegnen übernahm die Leitung für mich und schob Doc Phil's Fokus wieder auf das wesentliche, schließlich stand ich nicht alleine zur Auswahl.

So beklemmend die Situation gewesen war, allein deshalb weil ich nicht nur ihn sondern auch alle Schüler im Stich ließ, so schmerzhaft war es zu spüren, daß er nicht nur allein wegen des Stücks enttäuscht war. Er hatte von Anfang an große Stücke auf mich gehalten und mich in alles involviert. Man kann nicht sagen das wir Freunde waren - eher gute Kollegen - aber all das hier aufgeben zu müssen war gerade in Bezug auf die Umstände hart.

Es wäre anders gelaufen, hätte ich es auf freien Stücken, aus einem mir viel wichtigeren Grund getan.

"Nun denn, äh... Zumindest sollten sie sich von den Studenten verabschieden. Sie arbeiten gerade an den Kulissen und die ersten Kostümproben stehen ebenfalls an." murmelte er und trieb damit den Dolch noch tiefer in mein bereits über strapaziertes Herz.

"Nein. Ich sollte mich auf den Weg machen. Ich muss mich noch um mein Apartment kümmern." grummelte ich und nuschelte mir was zurecht weil ich nicht die Eier hatte lautstark zu meiner Meinung zu stehen. Egal wie sehr Doc Phil es versuchte, er konnte mich nicht umstimmen. Ich wusste das unter den Studenten Amy war und ich wollte auf keinen Fall, das sie das ganze mitbekam... Obwohl es unausweichlich war. Nichts war mir in dem Moment so sicher wie der unbändige Hass von ihr.

Ich verließ das Büro und das Gelände, schleppte mich erhobenen Hauptes zum Wagen und stieg ein. Erst in der Stille des Innenraums traten Tränen an die Oberfläche, die ich vehement herunter schlucken musste.

°

Tagelang hatte ich die Anrufe und Nachrichten ebenso wie das Klopfen an der Tür ignoriert. Es war mein letzter Tag hier in dieser Stadt, die Wohnung war aufgeräumt und einigermaßen wieder hergerichtet - bereit von dem nächsten bewohnt zu werden, was ich nur zu gern in die Hände eines fähigen Maklers gab. Ich selbst hätte womöglich einen Rückzieher gemacht und alle Interessenten verprellt.

Meine Tasche stand auf dem Boden und darin, tief vergraben zwischen neuen Hemden und Hosen lag das einzige, was ich mir selbst erlaubte als Erinnerung an Amy zu behalten. Meine Krawatte.

Auf der Kommode neben mir lag ein Brief. Ich hatte lange mit mir gehadert ihn zu schreiben, aber am Ende hat mein Gewissen mich eingeholt. Es war das letzte was Amy von mir erhalten sollte. Und es gab nur einen Menschen der diesen Brief übermitteln konnte. Ich nahm meine Tasche, verließ meine spartanisch eingerichtete Wohnung die ich irgendwie lieb gewonnen hatte und stieg in meinen Wagen.

°

Der Parkplatz der Uni war überfüllt. Eltern, Geschwister, Freunde und andere Verwandte trafen ein um das Schauspiel um die Liebesgeschichte von Romeo und Julia zu sehen. Bevor ich selbst kurz dem ganzen beiwohnen konnte entschied ich mich für Zurückhaltung. Ich wollte nicht das jemand bemerkte das ich hier war, also zog ich meine Sonnenbrille aus dem Handschuhfach, setzte sie auf, verstaute den Brief in der Innentasche meiner Lederjacke und stieg aus.

In der Menschenmenge ging ich unter, was genau mein Ziel gewesen war. Ich stellte mich in der hintersten Reihe auf, weit weg von der Bühne, die mitten auf der Rasenfläche des Campus errichtet worden war. Mein Blick ging rund herum, auf der Suche nach einem besonderen Menschen : Chris. Ich wusste das Caspian und er hier waren, hatte ich doch bereits den SUV auf dem Parkplatz erkannt. Außerdem ließ Caspian es sich nicht nehmen seiner Tochter zuzuschauen.

Als ich Chris dann endlich entdeckte und er im selben Moment in meine Richtung sah bemerkte ich den ungläubigen Blick und schämte mich etwas. Er kämpfte sich durch die Menge bis er mich erreichte. Mit misstrauischem Blick sah er mich an. "Da bist du ja. Ich dachte du seist schwer krank."

"Was?"

"Ja. Der alte Knacker da unten hat vorhin eine Verlautbarung heraus gegeben das der eigentliche Romeo nicht teilnehmen kann, weil er krank ist. Durch Amy wusste ich das du dafür vorgesehen warst. Aber du siehst ziemlich fit aus."

Es war scheiße. Einfach alles war scheiße. Die Leitung samt Doc Phil hatte meinen Weggang derart vertuscht und behauptet ich sei lediglich krank. Die Beweggründe dafür kannte ich nicht und irgendwie wollte ich das auch gar nicht.

Ich war wegen etwas ganz anderem hier und musste jetzt durchziehen... "Oh, hey... Chris? Ich hab da etwas für... Amy. Kannst du es ihr bitte geben?"

Bevor Chris danach greifen konnte tauchte aus dem nichts Caspian's Hand auf und griff den Brief ab. Genervt schüttelte ich den Kopf. "Was soll der Scheiß?"

Caspian sah mich ernst an, öffnete dann den Umschlag und las die Zeilen durch, die ich für Amy als Abschied hinterlassen hatte. "Ich mache das hier um dich zu schützen und dein Vater... Seien wir ehrlich, er hätte uns eh niemals eine Chance gegeben. Es tut mir leid dass das so harsch klingt und ich weiß das du mich hassen wirst, aber wenigstens musst du so nicht leiden." zitierte er aus dem Brief und hob vielsagend den Blick. "Was wird das?" fragte er schließlich.

Die Aufführung begann und Amy trat als Julia auf. Für einen Moment war ich sprachlos, wollte ich doch längst weg sein ehe es begann. Doch sie wieder zu sehen gab mir den Rest. Selbstsicher und laut sprach sie ihren Text ohne zu wissen wie stolz ich war das sie es ohne Probleme hervorragend meisterte.

Dann sah ich wieder zu ihrem Vater. "Sorg dafür das sie ihn bekommt. Mehr will ich gar nicht. Und keine Sorge... Deine Tochter wird wieder auf Spur laufen. Ich muss los."

Ich blieb nicht unentdeckt. Amy hatte offenbar in der Menge ihren Vater ausgemacht und auch mich gefunden. Für einen kurzen Augenblick sahen wir einander an, dann drehte ich mich um. Ich hörte noch wie sie nach mir rief, wie es immer lauter, klagender, verzweifelter und wütender wurde.

Ich brauste vom Parkplatz, sah ein letztes Mal in den Rückspiegel und da stand sie. Sie hatte mich verpasst, nicht rechtzeitig erreicht. Ich konnte sehen wie sie auf die Knie ging und ihren Kopf hängen ließ...

Es tat weh, ja. Aber es gab keinen Weg zurück. Es musste das Ende sein.

Aurelio Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt