Kapitel 6: Indikatoren und Indizien

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„Die Seiten-" murmelte Bob und blätterte aufgeregt durch das Buch. Er schüttelte es und klappte es auf und zu und auf und zu als ob es dann auf magische Weise Worte enthalten würde.
Bob stöhnte aufgebracht und ließ das Gesicht in den Händen versinken.
Warum war denn alles so kompliziert?
Justus nahm das Buch auf. Er blätterte es auf und roch zu Peters Erstaunen an den Seiten.
„Das riecht nach irgendeiner Chemikalie, Dritter. Wenn ich schätzen müsste, Phenolphthalein. Das benutzen wir in Chemie Unterricht nämlich immer als Indikator."
Bob blickte auf.
„Was bedeutet das?"
Justus runzelte die Stirn.
„Nun ja, Indikatoren zeigen den PH-Wert des Stoffes an-"
Bob stöhnte und sprang auf, nur um Justus in die Schulter zu knuffen.
„Ich bin nicht bescheuert Just, ich weiß was ein Indikator ist. Was bedeutet das für uns? Was bedeutet das für dieses Buch?" zischte Bob. Er wurde selten wütend, aber er war so furchtbar angespannt.
Justus rieb sich den Arm. Er wirkte wohl nicht nur körperlich sondern auch emotional verletzt. Von Bob angefahren zu werden war wahrscheinlich eines der verletzendsten Dinge auf der Welt.
„Mit Ammoniaklösung müsste die Schrift sichtbar werden." Sagte Justus, und drückte das Buch zurück in Bobs zitternde Hände.
Bob seufzte erleichtert auf, und drückte sich das Buch gegen die Stirn.
Seine Mutter rieb ihm liebevoll die Schultern.
„Ich würde sagen, wir machen für heute Pause, Jungs." Mrs. Andrews warf Peter und Justus einen beschwichtigenden Blick zu.
„Ich denke, dass war genug Einbruch und verschollene Artefakte für einen Tag."
Bevor Justus und Peter etwas sagen konnten, stellte sich Bob demonstrativ vor seine Freunde.
„Nein, Mum. Nicht jetzt. Nicht so kurz vor Dad's Geheimnis. Wir können ihn befreien Mum, willst du das nicht?"
Bob hob das Buch dramatisch in die Höhe, während er das sagte. Seine Mutter verschränkte die Arme vor der Brust, und blickte unsicher zwischen den drei Jungen hin und her. Schließlich senkte sie erschöpft den Blick und seufzte laut aus.
„Na gut ihr Hobbydetektive. Ich vertrau aber darauf, dass ihr mir meinen Mann bald und heil zurückbringt." Seufzte sie und zu Justus und Peters Erstaunen umarmte sie alle Drei bevor sie sich zum Schlafen gehen verabschiedete. Justus war ganz mollig und warm davon gewesen.
Er vermisste das Gefühl davon, umarmt zu werden, und vergaß sogar den Seitenhieb „Hobbydetektive".
Mathilda und Titus umarmten ihn selten. Wenn es jemand tat, dann war es meistens Mathilda, aber das auch nur wenn Justus mal wieder in letzter Sekunde von seinem Tod gerettet worden war. Er erinnerte sich immer noch an die lange Umarmung die er bekommen hatte, nachdem Cliffwater versucht hatte, ihn zu erschiessen. Sogar von Titus, der sich zusammenreißen musste, nicht zu weinen. Und an die lange Umarmung, nach dem Flugzeugabsturz.
Zufrieden drehte sich Bob zu den Zwei um. „Hier weiter arbeiten oder zur Zentrale?"
Peter und Justus tauschten einen unentschlossenen Blick aus.
„Hier, gerne. Ich mag dein Bett lieber als die ollen Sessel in der Zentrale." sagte Peter grinsend und Justus schaute ihn empört an, seufzte dann jedoch und nickte zustimmend.
„Na gut, dann bleiben wir hier Kollegen."
———
Bobs Zimmer war ein kleiner Raum im Dachgeschoss, mit einem Fenster dass schräg am Dach lag. Darunter stand sein Schreibtisch, der voll gepackt mit Ordnern und Büchern war, die Peter nun freudig durchblätterte.
„Frankenstein? Das hast du gelesen?" fragte er, während er dass Buch herumwedelte, so dass Bob Angst hatte, es würde gleich zerfallen.
„Ja, ein paar mal."
„Ein PAAR MAL?"
Peter riss die Augen weit auf und blickte dann beinahe angeekelt auf das alte Buch, so dass Justus lachen musste.
„Ich mag das Buch auch. Aber es gibt viele gute Bücher von Mary Shelley." murmelte er und Bob nickte zustimmend.
Peter fühlte sich ein bisschen Fehl am Platz.
Er setzte sich auf dem Bett zurück und guckte sich im kaum beleuchteten Zimmer um.
Bobs Bett war weich und Peter war glücklich, sich dafür entschieden zu haben, denn Bob hatte seine Lieblingsbettwäsche drauf und schlief wie immer mit mehreren Kissen, von denen er sich nun eins unter die Arme klemmte.
Auf seinem Schreibtisch brannte eine Kerze, obwohl die Nachttischlampe angeknipst war.
An den Wänden hingen Poster von Bands und in der hinteren Ecke des Zimmers neben dem Kleiderschrank stand ein kleiner Hocker mit einem Plattenspieler. Auch ein CD Player hatte Bob, der neben anderen Büchern über seinem Bett auf einem Wandregal stand.
Den CD Spieler benutzte er öfter, wie er meinte, da er mehr CD's als Platten besaß. Peter stand auf und schlenderte an Bobs Bücherregal entlang, aus dem manche Bücher mehr herausguckten als andere. Doch beinahe alle Seiten waren schon leicht gelblich oder aufgeweicht und gut durchgelesen.
Nachdem Peter noch ein paar weitere Bücher aus ihren Plätzen gezogen hatte, nahm Bob sie ihm sanft aus den Händen und drückte Peter auf den Schreibtischstuhl.
„Das reicht jetzt Zweiter." sagte Bob lachend und klopfte dem zweiten Detektiv liebevoll auf die Schulter. Peter schmollte ein Bisschen, drehte sich dann aber zu Justus um, der nun an seiner Stelle auf dem Bett saß und auch Bob ließ sich mit einem Plumps auf den Boden fallen.
Die Drei saßen sich gegenüber und Bob schlug den Computer auf, und stellte ihn auf die überkreuzten Beine.
„Was sucht du?" fragte Peter und beugte sich so sehr vom Stuhl, dass Bob Angst bekam, er würde umkippen und auf ihn knallen.
„Nach dem Ruxton Fall. Die Polizei muss ja noch mehr gefunden haben, nachdem wir sie informiert haben. Und danach, was die Breckenridge jetzt macht." er knackste seine Knöchel, so dass Peter ein Schauer über den Rücken lief.
„Bitte lass das."
„Was?" Bob grinste und knackte erneut mit den Fingern.
Theatralisch drückte sich Peter die Finger auf die Ohren.
Bob tippte auf seinem Computer herum, ohne überhaupt richtig hinzusehen und schaffte es wohl trotzdem, einen richtigen Satz zu formulieren.
Er murmelte einige eigenständig unschlüssige Worte und knabberte sich auf der Lippe herum, bevor er nach einer Weile aufschnellte und Peter und Justus mit einem freudigen Grinsen anblickte.
„Universität Ruxton- Drogenbaronin und Kultleiterin wird auf lebenslänglich verhaftet."
Bob nahm einen Schluck von seinem Tee.
„Die 38-Jährige Francine Breckenridge wird am Abend des 31.09.2018 von der Polizei Kaliforniens festgenommen. Verbrechen? Das Leiten eines Drogenringes, verabreichen von Drogen an Minderjährige und dem Versuch, aus der Universität Ruxton und seinen schülerInnen willenlose Handlanger zu machen."
Peter lief ein Schauer über den Rücken.
„Klingt wie aus einem Batman Film."
Justus dachte anscheinend an andere Dinge.
„Steht nichts von uns in dem Artikel?"
Ein Bein über dem anderen lehnte er sich leicht über zu Bob, um einen Blick auf seinen Computer zu werfen.
Bob zog ihn mürrisch zur Seite und sah Justus böse an.
„Ist das wichtig?"
Justus kratzte sich am Hinterkopf.
„Nun ja wir verdienen doch ein wenig Anerkennung dafür dass wir einen ganzen Drogenring außer Gefecht gesetzt haben." murmelte Justus und grinste bevor Peter ihm mit einem Kissen eins überzog.
Justus machte ein Geräusch was tiefem Quieken glich und presste sich die Hand auf den Hinterkopf.
„So, jetzt hört mir mal zu ihr Zwei." schnaubte Bob und warf Peter einen bösen Blick zu. 
Bob räusperte sich dramatisch bevor er weiter vorlas.
„Die gebürtige Britin wurde zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. In einem Interview sagte sie, dass das Gelände der Ruxton Universität bereits jahrelang in dem Besitz ihrer Vorfahren sei. Sie habe die Tradition, laut ihr, nur fortgeführt. Sie sei dazu von den Geistern ihrer Ururgroßeltern verpflichtet worden."
Murmelte Bob und die drei blickten sich verwirrt an.
„Wenn ihr mich fragt ist die Irre." sagte Peter ohne lange zu schwafeln.
„Aber Hallo." schnaufte Bob und schob den Computer beiseite um Platz für das Tagebuch zu machen. Justus hatte sein Grübelgesicht auf.
„Was ist wenn es stimmt?" sagte er mysteriös und Peter machte ein empörtes, grunziges Geräusch.
„Ach du denkst die Geister ihrer Ururahnen sind heruntergeschwebt und haben ihr gezwitschert, dass sie Drogen an ein paar Jugendliche verfüttern und sie gleichzeitig in einen komischen Kult rekrutieren soll?"
Justus wedelte aufgeregt mit der Hand.
„Nein Zweiter red keinen Unfug. Was ist, wenn es irgendeine Tradition ist. Ein Ritual. Wenn dieser ganze Humbug nur ein Ziel hatte- den Wunsch ihrer Ururahnen zu erfüllen? Und was ist wenn genau DAS etwas mit der indigenen kalifornischen Bevölkerung zu tun hat?"
Justus schnipste. Aufgeregt blickte er zu Bob, der nur mit der Schulter zuckte.
„Den Tongva?" sagte peter halbfragend.
„Genau, Zweiter. Gut gemerkt."
„Na klar. Ich hör dir ja zu wenn du redest."
Peter grinste.
„Auch wenn's manchmal anstrengend sein kann."
Bob und er kicherten wie gehässige Grundschulkinder.
Justus verschränkte beleidigt die Arme.
„Sehr witzig, Kollegen."
Bob setzte einen Schmollmund auf und ahmte den Ersten nach.
„Aber ohne Witz, die Idee ist garnicht so dumm. Ich guck mal nach ihren Vorfahren. Irgendwas muss sich ja über die Gründer der Ruxton-Uni finden lassen."
murmelte Bob und hob den Daumen, um ihn Justus dankbar entgegenzustrecken.
„Garnicht so dumm? Sie ist brilliant."
Peter und Bob tauschten einen schnellen, umso gehässigeren Blick aus und schüttelten daraufhin seufzend den Kopf. Justus bemerkte es entweder nicht, oder tat zumindest so, als hätte er es nicht gesehen.
„Peter und Ich machen uns auf den Weg, um Ammoniaklösung zu besorgen."
Justus zog Peter sanft am Ärmel hoch, der irgendetwas unverständliches murmelte und sein Gesicht in Bobs Kissen vergrub.
„Will noch nicht gehen."
er strich über seine Lieblingsdecke. Er wusste nicht genau, was für Stoff es war aus dem die Decke bestand aber es war sicherlich kein Polyester. Es war ganz angenehm weich, wie Fleece.
„Peterchen, das Bett ist auch da wenn du wiederkommst. Ihr geht doch nur schnell zur Apotheke." Bob war bereits aufgestanden und streichelte ihm nun sanft über den Hinterkopf. Peter presste das Gesicht ins Kissen und seufzte, bevor er sich hochpresste und Justus und Bob böse anguckte.
„Dafür schlaf ich nachher alleine im Bett."
Bob riss die Augen weit auf.
„Du willst mich ja wohl verarschen Zweiter, das ist MEIN Bett"
Genervt zog Bob Peter die Decke unter den Händen hervor.
„Und jetzt Abflug. Die Apotheke hat nur bis 8 auf."
Peter grinste.
„Ja Mama" sagte er verbissen und Justus und Bob begannen zu lachen, bevor Justus Peter am Hemdkragen aus dem Zimmer zog.
————
„Als ob man Ammoniaklösung einfach so kaufen kann? Was kann ich noch einfach so laufen? Nitroglycerin?" Peter strich über einige Flaschen die auf den Regalen standen. Justus sah sie schon in einem Dominoeffekt umfallen und kaputt gehen. Er nahm Peter die Flaschen vorsichtig aus der Hand.
„Weißt du überhaupt wofür das gut ist Peter?" Justus grinste und sah sich nach Ammoniaklösung um, da er sich wie immer strikt weigerte einfach nach etwas zu fragen.
Peter überlegte kurz, er wollte nichts unnötig dummes sagen. Auf der anderen Seite war es ungemein witzig, etwas dummes zu sagen und damit Justus zu provozieren. Peter zog den rechten Mundwinkel zu einem halben Lächeln hoch und lehnte sich an die Wand an.
„Bomben bauen und so? Oder?"
Justus Kopf schnellte herum.
„So halb richtig."
Peter verschluckte sich beinahe.
„Ich hatte recht?"
„Halb." korrigierte ihn Justus.
„Glyceroltrinitrat ist ein Sprengstoff, wird aber auch als Arzneimittel verwendet. Man kann damit auch Brustdruck bei Herzrythmusstörungen lindern." Justus drehte sich wie verrückt im Kreis und wirbelte beim Reden durch den Laden. Die Frau an der Kasse hatte ihn fixiert, stützte sich aber entspannt auf den Ellenbogen ab als wartete sie nur darauf dass er aufgab.
„Wie das?" fragte Peter, während ihm eine Flasche ins Auge fiel. Er grinste.
„Stellt die Körpervenen weit... Herz muss weniger Blut aufnehmen..." murmelte er und schob Gefäße und Flaschen beiseite.
„Just ich glaub du gehst der Frau ziemlich auf den Keks."
Justus ignorierte ihn gekonnt.
Peter zuckte mit den Achseln und warf der Frau ein Lächeln zu, die sich ein Kichern verkneifen musste. Sie war um die 20, lange blonde Haare und eine Runde Brille auf der Nase.
Hübsch.
Wie auf Kommando erklang das Piepen einer Nachricht. Er zog sein Handy aus der Tasche und Jeffreys Name poppte auf.
Wie geht es Bob? Sag ihm bitte Liebe Grüße!"
Peter grinste.
Mach ich Palmer. Sind grade Ammoniaklösung kaufen. Bob ist zuhause. Wusstest du das Nitroglycerin ein Sprengstoff und ein Arzneimittel ist?"
Peter starrte auf den Bildschirm als ob Jeffrey ihm sofort antworten würde. Jeffrey hatte sicher besseres zu tun als andauernd auf Peters Nachrichten zu-
Ammoniaklösung? Wozu das?"
Peter war ein wenig verletzt dass er seinen spannenden Fakt ignorierte.
Geheimschrift sichtbar machen :3"
Warum frag ich eigentlich?"
Justus stöhnte während er den Laden weiter auseinandernahm. Die Frau begann laut zu lachen, sodass sich Justus und Peter beinahe gleichzeitig umdrehten.
Sie schob die Brille auf ihre Nasenspitze und sah darüber hinweg. Sie hatte Sommersprossen auf dem Nasenrücken.
Mit einem langen Finger zeigte sie auf Peter der nervös die Schultern zusammenzog. 
„Dein hübscher Freund hält seit ungefähr 10 Minuten eine Flasche Ammoniaklösung in der Hand" sie schob die Brille wieder auf den kleinen Hügel ihrer Nase.
„suchst du danach?"
Justus Kopf schnellte herum und Peter fühlte wie sein Gesicht ganz rot wurde. Beinahe willentlich ließ er sich die Flasche von Justus aus der Hand ziehen.
Justus bezahlte und Peter zählte die Sommersprossen der Frau. 21.
Sie lächelte ihn nervös an und schob sich die blonden Strähnen hinter die Ohren.
Und während Justus ihn zeternd aus dem Laden zog zwinkerte die Frau Peter noch einmal zu. Und er erschrak ein bisschen, denn die ganze Zeit in der er ihre Sommersprossen gezählt und auf ihre Haare geguckt hatte, hatte er daran gedacht dass Jeffreys Sommersprossen ähnlich aber anders verteilt und geformt waren, bis über die Schultern reichten und das seine Locken weniger gelb waren als ihre, aber ihm ähnlich wie ihr in die Stirn fielen.
Er hatte nicht wirklich sie angelächelt.
Er hatte garnicht an sie gedacht.

Die drei Fragezeichen und der falsche Verbrecher Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt