14. Kapitel

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Ich schlug die Augen auf. Um mich herum war nichts als Dunkelheit.

Irritiert drehte ich meinen Kopf zur Seite, aber auch dann konnte ich nichts sehen. Mein Rücken schmerzte. Ich lag auf einem Holzbrett. Das war merkwürdig. Schließlich hatte ich noch nie auf einem Holzbrett geschlafen.

Erst ganz langsam kamen die Erinnerungen wieder. Und sie führten nicht dazu, dass ich mich besser fühlte. Mir liefen vielmehr direkt Tränen über die Wangen. Mein eigenes Schluchzen klang in dem Raum, indem ich mich befand viel lauter, als es eigentlich war.

Ich erinnerte mich an alles. An Tilos verzweifelten Blick. Weil ich uns auseinander gerissen hatte, um seine Schwester Mia aus den Fängen von diesem Psychopathen Drew zu befreien. Und ich hatte es geschafft. Ich hatte es wirklich geschafft, Mia und ein anderes kleines Mädchen zu retten, im Austausch gegen mein eigenes Leben.

Draußen kam es mir wie eine recht akzeptable Idee vor. Aber jetzt, hier drinnen und ganz alleine, hätte ich schreien können wegen meiner eigenen Dummheit.

Hätte es nicht noch irgendeine andere Alternative gegeben? Eine Möglichkeit, die Kinder zu befreien, ohne dass sich jemand opfern musste?
Aber selbst wenn, würde ich es nicht mehr erfahren.

Langsam setzte ich mich auf. Die Minuten verstrichen und meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit. Wie nicht anders zu erwarten, befand ich mich in einer kleinen Zelle. Zumindest zeichneten sich die Gitterstäbe langsam aus der Dunkelheit ab. Na wunderbar.

Ich rutschte auf meinem Brett ein bisschen weiter nach hinten, bis ich mit dem Rücken gegen die Steinmauer stieß. Meinen Kopf lehnte ich auch gegen die Wand und trauerte meinem alten Leben hinterher. Ich vermisste sie alle.

Claire, meine Chefin aus der Tanzschule, in der ich gejobbt hatte. Meine Eltern, ihre zickige Katze und den Kanarienvögel, der immer die ganze Nachbarschaft unterhielt. Meine bescheuerten Nachbarn, die ihren Müll nie richtig sortieren und oft bis spätabends Partys feierten. Oder sollte ich lieber Orgien dazu sagen?

Aber all diese Probleme, kamen mir in dieser Situation unwichtig vor. Warum regte man sich über so Kleinigkeiten auf?

Es gab doch viel Wichtigeres im Leben. Viel bedeutungsvollere Sachen, über die man sich aufregen oder hinterher trauern konnte.

Am meisten vermisste ich aber Tilo. Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen, als ich an ihn dachte. Er hatte seine kleine Schwester wiederbekommen. Seine Eltern konnten endlich mit der Suche aufhören. Aber dafür hatte er mich verloren. Meine Seite von unserem großen Bett würde nun immer leer bleiben. Mein Stuhl am Tisch würde nicht mehr benutzt werden, meine Sachen im Badezimmer würden unangetastet bleiben und langsam aber sicher verstauben.

Mittlerweile liefen mir die restlichen Tränen lautlos über die Wangen. Ich hatte keine Kraft mehr, um richtig zu weinen. Ich lehnte mich nur erschöpft gegen die Wand und wartete darauf, ob jemand zu mir kommen würde. Was auch immer in der Spritze gewesen war, die Drew mir gegeben hatte, sie hatte mich auf jeden Fall eine Zeit lang richtig abgeschossen.

Ich wusste nicht ob Minuten oder Stunden vergangen waren. Aber irgendwann hörte ich Schritte. Das Licht wurde angeschaltet und ich kniff meine Augen zusammen. Mein Kopf fing an zu schmerzen und ich verzog mein Gesicht. Die Schritte kamen näher und verstummen schließlich vor meiner Zelle.

"Sie ist wach", hörte ich eine kratzige, tiefe Stimme und öffnete meine Augen. Vor mir stand ein mittelalter Mann mit kantigen, harten Gesichtszügen. Seine Augen musterte mich kurz desinteressiert. Das Funkgerät in seiner Hand knacktste.
"Bring sie hoch", kam dann der Befehl von Drew höchstpersönlich. Der Mann vor mir steckte das Funkgerät an seinen Gürtel und holte stattdessen einen Schlüssel raus. Ich wunderte mich irgendwie gar nicht darüber, dass die Leute hier mit einem Funkgerät in einem Haus kommunizierten. Ich würde mich in meiner jetzigen Lage auch nicht darüber wundern, hier einem Elefanten über den Weg zu laufen.

Sacrifice - Don't touch herWo Geschichten leben. Entdecke jetzt