Sacrifice - Don't touch her

16. Kapitel

Irritiert blinzelte ich Drew an. Seine Tochter?
Hatte er das tatsächlich gesagt oder hatte ich mich verhört?

Seinem traurigen Blick nach, schien er jedoch die Wahrheit gesagt zu haben. Sehnsuchtsvoll schaute er das Bild an.
"Was ist mit ihr passiert?" traute ich mich zu fragen, als er das Bild auf einen Schrank gestellt hatte. Er richtete es so aus, dass das kleine Mädchen geradewegs in Richtung Sofa lachte. Auf den Platz, wo Drew immer saß. Auch jetzt lief er wieder zu dieser Stelle und setzte sich seufzend hin. Langsam folgte ich ihm und setzte mich mit ein bisschen Abstand neben ihn.

Drew rang mit sich, das sah ich ihm an. Er wusste nicht, ob er es mir erzählen sollte. Ob er mir seine schwache Seite zeigen sollte. Vermutlich befürchtete er, dass ich sie irgendwann gegen ihn verwenden würde. Mit diesem Gedanken lag er auch gar nicht so falsch. Ich würde es tun, wenn sich die Gelegenheit dafür ergeben würde. Aber das ließ ich mir nicht anmerken. Stattdessen sah ich ihn einfach nur ruhig an, was das Eis dann zu brechen schien.

"Sie wurde krank, bekam Leukämie", platzte es dann aus ihm heraus. Es kam mir so vor, als ob er mit niemandem groß darüber geredet hatte. Er atmete tief durch und sah mich dann an.

"Die Diagnose kam überraschend. Meine Frau wollte es bis zum Schluss nicht wahrhaben. Auch nicht als wir jeden Tag im Krankenhaus waren. Lucy ging es immer schlechter. Die Ärzte versuchten, ihren Tod hinauszuzögern, gaben ihr Chemotherapie. Aber es half nicht, sie wurde nur immer schwächer, verlor ihre Haare und ihren Lebenswillen. Also stellten sie die Therapie ein.
Gaben ihr nur noch Schmerzmittel, versuchten ihr das restliche Leben so erträglich wie möglich zu machen. Doch sie kam nie wieder aus dem Krankenhaus raus. Sie starb einige Tage später, ihr Körper war einfach schon zu geschwächt gewesen, sie hatte zu viele Nährstoff verloren, ihr Körper nahm einfach nichts mehr auf.
Es war schrecklich, das mitanzusehen. Zu wissen, dass man absolut nichts machen konnte. Meine Frau ist wahnsinnig geworden. Kurz nach ihren Tod verschwand sie. Ich hab sie bis heute nicht mehr gesehen" erzählte er mir und dabei geschah etwas unglaubliches. Er tat mir leid.

Dieser kranke Psychopath fing an, mir leid zu tun. So etwas sollte niemand durch machen müssen. Nicht einmal er.

Aber es erklärte, warum er so geworden war. Warum er die Kinder entführt hatte. Er wollte seine Tochter zurück haben. Als er merkte, dass die fremden Kinder sie nicht ersetzen konnten, tötete er sie. Tat anderen Eltern den gleichen Schmerz an, den er noch nicht einmal selbst ertragen konnte.

Nicht nur seine Frau war durch den Verlust ihrer Tochter wahnsinnig geworden, sondern Drew selbst auch. Nur das wollte er nicht wahrhaben. Er versuchte seine Trauer durch Folter zu kompensieren. Tat fremden Menschen Schmerzen an, um nicht allein zu leiden.

Ich fühlte mich ein bisschen besser, weil ich endlich die Antwort für sein Verhalten bekommen hatte. Aber eine Antwort fehlte mir immer noch: Warum ausgerechnet ich?

Schließlich war ich kein Kind. Ich war auch nicht mit einem von den Kindern wirklich verwandt, ich kannte Drew vorher überhaupt nicht. Aber er hatte mich ausgesucht, sein nächster Opfer zu sein. Aber ich war erwachsen. Ich hatte ein eigenes Leben, ich hatte einen Freund und eine Familie. Warum riss er mich daraus und mit sich selbst in den Abgrund?

"Das tut mir leid", sagte ich ehrlich und meinte es auch so. Gleichzeitig versuchte ich, ihn am Reden zu halten. Vielleicht würde ich noch mehr Antworten bekommen.

Drew nickte langsam und sah wieder zu dem Bild rüber. "Sie war so fröhlich gewesen...Aber wenn ich jetzt an sie denke, habe ich nur die letzten Tage aus dem Krankenhaus im Kopf. Ihr kahler Kopf, um den wir ihr ein Tuch gebunden hatten. Die tief liegenden Augen. Die schmalen Lippen und die blasse Haut. Ihr abgemagerter Körper", zählte er auf. Dann veränderte sich sein Blick. Wurde wieder hart und kalt.