Kapitel 4 | Cam

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Wann weißt du, dass du mies in der Scheiße steckst?

Wenn dir drei Kerle nachrennen, die den Knast überlebt haben, weil du ihren Stoff geklaut und dem einen genau in die Weichteile getreten hast?
Wenn du durch die gesamte Stadt von der Polizei mit Sirene verfolgt wirst, weil du seit Wochen wegen krummen Dingen gesucht wirst?
Oder wenn dein Boss dich gegen eine Hauswand presst, so sehr dass du kaum Luft bekommst, weil dir die 100$ Auszahlung für seine Drecksarbeit zu wenig Kohle ist?

Drittes ist soeben passiert, und ja, genau dann weiß man es: Ich stecke echt tief drinnen.
In dem Mist. Einen Tag später, nachdem ich die letzten 24 Stunden damit verbracht habe mich zu verbarrikadieren, zwei Tüten Cocain mit meinem Leben zu beschützen und meinem besoffenen, schnarchendem Dad auf dem Sofa beim Schlafen zuzuschauen.

Dad war zwischendurch auch mal wach, hat gehustet, Brote mit Ei gegessen, die ich ihm gemacht hab, nur um diese dann mit Jack Daniels runterzuspülen, davon die Hälfte beim Einschenken daneben zu kippen, und mich dann anzuschreien, dass ich die Suppe gefälligst aufwischen soll, wenn ich mir nicht gleich eine fangen möchte. Ein traumhafter Sonntag Abend war das.
Heute Morgen hat er dann so getan als wäre nie etwas passiert. Er hat weder gefragt, ob die Miete schon bezahlt ist, weil's ihm egal ist, noch hat er mich auf meine aufgeschürften Hände angesprochen, weil's ihm nicht aufgefallen ist. Weil er seit Jahren nicht richtig hinschaut. Er lebt nicht, er existiert einfach nur in seinem Teufelskreis aus Brutalität und Konsum. Er sollte mir eigentlich leid tun, aber nicht mal Mitleid kann ich für diesen Mann noch aufbringen.

Nach Mom's Tod konnte ich das. Ich hab genau so gelitten wie er. Hab nachts genau so geweint wie er. Ich hab die Hölle durchgemacht ohne zu wissen, dass mir die richtige Hölle noch bevorstand. Er hat mich nie gefragt wie's mir mit allem ging. Hat mich nie zum Psychologen geschickt oder mit mir über ihren Tod gesprochen. Er hat sich verschanzt, den Bezug zur Realität verloren und mich für meine Existenz zu hassen begonnen, da ich ihr Ebenbild war. Ich habe ihre dunklen Haare, ihre Locken, ihre Augen... nur alles markante hab ich von ihm. Das Kinn, den Kiefer, den leblosen Blick, die Kälte im Ausdruck. Vielleicht sieht er auch sich selbst in mir und hasst mich deswegen so sehr. Vielleicht hassen wir einander, weil wir einander in uns sehen. Er ist das was ich nie sein will, und doch bin ich auf dem besten Weg mein Leben genau so zu versauen. Vielleicht noch nicht jetzt oder in 10 Jahren, aber ich hab weder nen richtigen Job oder eine Ausbildung, hätte keinen Kopf zum studieren, weil ich außer kriminell sein nicht wirklich viele Sachen gut kann, also sieht meine ferne Zukunft aktuell echt nicht rosig aus und das wurmt mich innerlich.
Mit 16 hab ich gedacht, dass ich es sicher nicht bis zu meinem 20. Lebensjahr schaffe, und mit 21 hab ich gedacht: Fuck, du wirst erwachsen und hast keinen Plan, was du eigentlich tust.

Und das geht mir gerade durch meinen Dickschädel, der so hart gegen die Hauswand in meinem Nacken aufkommt, dass mir kurz schwindelig wird.
Was tust du hier eigentlich, Cam?

„100 verfickte Dollar reichen dir also nicht mehr, was?", zischt Damian mir mit seinem polnischen Akzent ins Ohr. „Ist klein Camilo gierig geworden, hm?"

„Ich bin nicht gierig, du Wichser. Ich muss ne Miete bezahlen." Ich versuche seine Arme von meinem Hals wegzubekommen, da er mir die gottverdammte Luft abschnürt.

Er drückt noch fester zu.
„Und ich hab auch so meine Sachen zu bezahlen...jeder hat seine Sachen zu bezahlen...denkst du, du bist eine Ausnahme?"

„Nein"

„Ich hab dich nicht gehört!"

„NEIN!", krächze ich. „Lass mich los, Mann. Komm schon."

Er schaut mir tief in die Augen. Diese Augen haben schon so viel fieses Zeug gesehen. Von Mord bis Folter, Verstümmlungen, ich will gar nicht wissen was noch. Als er seinen Arm wegnimmt und seine Hand lockert, damit ich wieder atmen kann, sacke ich auf den Knien zusammen. Ein kehliges Husten entweicht meiner Lunge. Meine Augen beginnen sich mit Wasser zu füllen. Mir läuft eine einzelne Träne über die Wange, und ich wische sie so schnell und verstohlen weg, dass Damian sie nicht erblicken kann. Ich hab mir geschworen niemals Schwäche zu zeigen. Das darf niemand bei solchen Kerlen. Egal wie schlimm es ist.

TOUCHED - der Tanz ums VerderbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt