Kapitel 1 | Masha

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Meine Lunge brennt.
Ich spüre meinen Atem beben, wie mein Blut in den Adern pulsiert. Spüre die Schweißtropfen hinablaufen, und wenn die Musik nicht so laut wäre, würde ich sie sicher auch zu Boden fallen hören.
Nicht aufhören.

Meine Beine kennen das Wort Muskelkater kaum noch, so lange trainiere ich schon. So lange reize ich jede einzelne Faser in meinem Körper bis zur absoluten Explosion.
Nochmal.

Ich gehe die Choreografie erneut von Anfang bis Ende durch. Schlucken, atmen, den Schweiß von der Stirn wegwischen. Als Kind konnte ich vor Erschöpfung nie schlucken und dann atmen ohne direkt danach zu husten. Meine Lunge hat gebrannt wie ein loderndes Lagerfeuer, und bei jedem Training dachte ich, dass mir mein Herz gleich aus der Brust springt und ich einfach tot umfalle.

Ich lasse mich nach dem neuen Durchgang zu Boden fallen, sacke auf meine Knie, beobachte für einen Moment lang die Schweißtropfen, die von meiner Stirn fallen, auf dem Boden ankommen, und dort zerplatzen, wische mir über meine Augen. Mein Spiegelbild sieht fertig aus. Ein hochroter Kopf, schweißnasse Haare und ein müder Blick - so sehe ich seit einigen Wochen fast jeden Tag aus. Zumindest an jedem Tag, an dem ich nicht mein ganzes Herz auf der Theaterbühne lasse.

Ich kenne diesen Anblick schon auswendig. Mein ganzes Leben besteht aus Tanz, aus Leidenschaft, Bühne, Wettbewerbe, schönen Kleidern, Tanzpartnern und Proben, Proben und noch mehr Proben. Ich bin damit aufgewachsen, das ist meine Leidenschaft und dafür brenne ich. Genau dafür wurde ich geboren. Seit ich klein war wollte ich sein wie meine Mutter, wollte tanzen, wollte lernen, war ehrgeizig und wissbegierig. Dass meine eigenen Eltern eine Tanzschule besitzen war mir also immer nur zum Vorteil. Ich bin mehr hier als zu Hause, glaube ich.

Die Musik stoppt.
„Sag mal, willst du taub werden?"

Ein Lachen entkommt meiner trockenen Kehle. Kopfschüttelnd sehe ich zu meiner Schwester auf.
„Ich hab dich nicht kommen sehen."

Ich sehe normalerweise jeden kommen, denn der Saal, in dem ich trainiere, hat eine lange Fensterfront zur Hauptstraße. Ich könnte also eigentlich während des Trainings ganz simpel, nur so nebenbei, eine Showeinlage für jeden Passanten hinlegen, ohne es zu merken. Das Tanzstudio hat eine wirklich schöne Lage. Zu Fuß ist es bloß 20 Minuten von unserem Haus entfernt, schön hell, und ich kann hier selbst unterrichten, gemeinsam mit meinen Eltern und meiner Schwester. Wir alle leisten hier unseren Beitrag als Familie, was mir immer gefallen hat. Zuhause sind wir relativ schweigsam zueinander, doch hier sprechen wir genau eine Sprache.

„Wie auch?", Tatiana kommt mit zwei Starbucks Getränken auf mich zu geschlendert, „Du versinkst ja in deiner Choreografie."

„Eigentlich ist es deine." Ist es. Es ist ihre, die ich bloß abgewandelt habe um sie als Training für meine Ausdauer zu verwenden. Diese ganzen Hip-Hop Choreos sind eigentlich Tatiana's Ding, nicht meins. Ich hab mich im Standart- und Lateintanz immer wohler gefühlt, und genau das hasst Tatiana.

„Touché" Sie stellt einen der Starbucks Drinks vor meiner Nase ab und setzt sich zu mir auf den Boden. Ich schaue sie mit erhobenen Augenbrauen an. Gott, wie ich dieses Getränk liebe. Caramel Frappuccino. „Schau mich nicht so an!"

„Du weißt, dass-"

„Dass du immer strenge Ernährungspläne hast, ja, wie auch immer, aber ich bin extra für dich um dir eine Freude zu machen dorthin gelaufen, habe verdammte 15 Minuten in einer blöden Schlange gewartet, nur um dann hierher zu kommen und von deiner Musik einen Tinnitus zu bekommen, also vergiss deinen Plan mal für eine halbe Stunde, okay?"

Ich pruste laut vor lachen los: „Ist ja schon gut!", und schiebe mir den Strohhalm zwischen die Zähne.

Grinsend nehme ich den ersten Schluck und bereue keine Sekunde davon. Wenn ich eine Sache auf ewig trinken könnte, dann wäre es genau das hier. Ich beobachte uns im Spiegel, wie wir auf dem Boden sitzen und an unseren Getränken nuckeln. Tati hat irgendwas mit Matcha. Sie liebt Matcha. Ich glaube, wenn sie irgendwas für den Rest ihres Lebens konsumieren müsste, dann das.

TOUCHED - der Tanz ums VerderbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt