Kapitel 6 | Cam

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Mein ganzer Körper schmerzt, meine Hände bluten und meine Nase ganz sicherlich auch, denn ich spüre eine Flüssigkeit über meiner Oberlippe, wie sie langsam Richtung Boden sickert.

„Du dachtest, du könntest uns einfach beklauen, ja?" Die Augen dieses Penners sehen mich an. Damians Worte, ich sollte mich in acht nehmen, hallen in meinem Kopf herum, und ich verfluche ihn eine Sekunde lang dafür, dann trifft die Faust von Greg in meine Magengrube. Seine beiden Handlanger halten mich fest.

Ich kotz gleich.

„Du dachtest, du könntest einfach dein Ding durchziehen und mir mein Zeug wegnehmen...du dachtest-" Fuck! Treffer im Gesicht. Ich spucke Blut auf den Boden dieser dreckigen Gasse. „..du dachtest, ich wäre dumm..."
Er zieht diese Schlussfolgerung wie eine Selbstverständlichkeit. Natürlich dachte ich, dass er dumm wäre, aber das muss er ja nicht herausfinden.

Atme, Cam.
Atme einfach weiter.
Er kann dich kaum schlimmer zurichten als dein eigener Vater.

„Hast du mich echt für so blöd gehalten?" Er packt mein Gesicht und sieht mir in die halboffenen Augen. Er hat mein Gesicht jetzt schon so einige Male mit seinen Fäusten geknutscht.

Ich lächle ein blutiges Lächeln, schmecke den metallischen Geschmack im Mund.
„Willst du darauf wirklich eine Antwort?"

Noch ein Schlag ins Gesicht. Ich bin mir sicher, dass er mir eben gerade mein beschissenes Jochbein gebrochen hat. Ich schreie vor Schmerz auf. Die beiden anderen Kerle, Klaus und keine Ahnung, wie der andere noch mal hieß, halten mir meinen Mund zu. Als ich einen von ihnen in die Hand beiße werfen sie mich zu Boden. Mit meiner Hand wische ich mir mein Blut von der Oberlippe, doch das scheint nicht wirklich viel zu bringen. Ich bin mir sicher, dass meine Lippen genau so blutverschmiert sind wie meine Hand jetzt.

Noch immer nicht so schlimm wie das, was mein Dad mir so manches Mal angetan hat. Diese Kerle werden in dieser grottigen Gasse nie versuchen mich in einer Badewanne zu ertränken, weil ich den Haushalt nicht gemacht habe.

„Wann vergeht dir endlich dein dämliches Lächeln?" Greg tritt mir ins Gesicht, KNACK, und mein Kopf trifft auf die Wand in meinem Rücken. Noch mehr Blut strömt aus meiner Nase und tropft an meinem Kinn runter. Mein ganzes Shirt ist in der Sauerei getränkt.

Hustend ringe ich nach Luft als er in meine Haare greift und meinen Kopf noch mal gegen die Wand schlägt. Wie benommen nehme ich wahr wie irgendwas gesagt wird. Mir ist schwindelig. Irgendwie ist alles total düster geworden. So sehr ich auch versuche die Augen richtig zu öffnen, ich kann es nicht. Bei mir dreht sich alles. Die Welt fährt Karussell.
Ich weiß nicht mal ob ich atme.
Ob ich überhaupt noch richtig lebe.

Ich hab mich früher, als meine Mom krank wurde, öfter in der Schule geprügelt. Ich hab die Schule und meine Mitschüler gehasst, denn sie haben nicht verstanden wieso ich kaum gesprochen habe. Für sie war ich immer komisch, weil ich in den Pausen lieber drinnen war als draußen. Weil ich mein Essen lieber alleine gegessen habe als in Gesellschaft. Weil ich düstere Bilder gemalt habe. Und wenn sie mich rumgeschubst haben, hab ich mir das eine ganze Zeit lang gefallen lassen, bis es mir irgendwann gereicht hat.

Meine Mom war gerade dabei zu sterben und diese Kinder hatten nichts besseres zu tun als mich zu piesacken?!

„Camilo", Mom sah mich an einem Abend vielsagend an als sie mein Veilchen bemerkte. „Was ist passiert?"

Ich saß an ihrem Krankenhausbett und schwieg für eine ganze Weile. An diesen Anblick konnte und wollte ich mich nie gewöhnen. Ihre zittrigen Finger, ihre eiskalte Haut, das blasse Gesicht, die ganzen Verkabelungen...das war nicht mehr meine Mom, die dort lag, sondern nur ihre Hülle. Der Rest von ihr, der nach der ganzen Chemotherapie noch übrig war.

TOUCHED - der Tanz ums VerderbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt