Kapitel 5 | Masha

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Valentin bringt mich schon die ganze Woche fast zur Weißglut. Egal was wir tanzen, egal welche Choreografie, welche Musik, alles ist auf ein Mal nicht nach seinem Geschmack. Und wenn alles passt, dann behauptet er ich würde mich ständig vertanzen.

„Was ist mit dir los?", habe ich ihn Mittwoch gefragt, nachdem er wieder 6 Stunden lang an nahezu allen Dingen etwas auszusetzen hatte.
Die Musik ist einen Vierteltakt zu langsam.
Deine Fußarbeit ist nicht perfekt.
Du musst die Knie noch mehr beugen.

„Was soll sein?", murmelte er beiläufig während er sich auf seinem Handy die Choreo erneut anschaute. „Ich will gewinnen."

„Ich auch"

„Merkt man jedenfalls nichts von.", sagte er in dem Moment, in dem auch noch meine Mutter in den Saal kam. „Wenn du wirklich gewinnen wollen würdest, dann würdest du dir mehr Mühe geben."

Meine Mutter beäugte uns argwöhnisch, setzte sich auf eine der schwarzen Sitzbänken und legte ihr Handy auf den dazugehörigen Diner-Tisch ab, auf dem alle während der Kurse immer ihre Handys legen. Man kann von dort auch sehr gut Choreos filmen, das haben Tati und ich irgendwann mal rausgefunden.

„Was ist los mit euch beiden?", kam nun von ihr. Sie sah von mir zu Valentin, dann wieder zurück zu mir. „Letzte Woche lief doch noch alles gut."

„Siehst du-", warf Val seine Hände in die Luft. „Die ganzen letzten Jahren lief immer alles gut. Was ist also los mit dir?"

„Keine Ahnung, ich bin einfach erschöpft..."

„Erschöpft?", atmete Mama auf. „Du hast keine Zeit um erschöpft zu sein. Ihr seid so nahe dran, любимый."
>etwa wie „Liebling"<

„Ich weiß...ich weiß das!", krächzte ich. Meine Stimme hallte im nun stillen Saal. Ich fühlte mich zerdrückt von der Präsenz meiner Mutter und von Valentin's Ego. Er tat die ganze Zeit so als wäre ich eine Nichtskönnerin, dabei würde ich ihn mit meinem Talent jeden Tag um Längen besiegen können. Er selbst war teils vollkommen außer Takt, hatte keineswegs perfekte Fußarbeit und hielt sich in der letzten Zeit für einen Gott.
Und wenn ich eins hasse, dann Kerle, die sich größer machen als sie sind.

Die beiden wollten mich noch aufhalten als ich aus dem Saal ging, doch ich ging einfach stur weiter. Valentin rief noch etwas wie „Nur wenn wir perfekt sind können wir gewinnen, das weißt du!", und allein wegen diesem Satz hätte ich ihm eine reinhauen können.

Heute, am Freitag, wirkt er einigermaßen ruhiger und ausgeglichener. Er trinkt entspannt seinen Latte Macchiato als ich ins Studio komme. Meine Mutter werkelt vorne an der Rezeption herum, sie gibt gleich einen Salsa-Kurs im kleinen Saal, während Val und ich wieder im großen Fenstersaal trainieren.

„Morgen", grüße ich ihn knapp und stelle meinen Rucksack auf der schwarzen Sitzbank ab, auf der meine Mutter noch am Mittwoch gehockt und mich vernichtend angestarrt hat.

Valentin schleicht wie ein nachdenklicher, Kaffee trinkender Tiger über den Parkettboden. Seine Haare sehen ein wenig wüst aus, doch er hat zur Abwechslung mal keine dunklen Schatten unter den Augen, nicht wie die restlichen Tage.

„Du siehst erholter aus."

„Bin ich", lächelt er schwach, „Hab heute schon Yoga gemacht."

„Ah", gebe ich mit einem Schmunzeln zurück und ziehe mir meine Tanzschuhe an. Meine Füße haben sich an den Druck der Schuhe schon viel zu sehr gewöhnt. Ich könnte auf ihnen mittlerweile sogar einen Marathon laufen, glaube ich. „Also Maestro, was trainieren wir heute?"

Wir haben schon fast alles trainiert, was wir im Wettbewerb tanzen müssen.
Wiener Walzer, Quickstep, Tango (Argentino), Cha Cha Cha, Samba, Rumba, Jive, Paso Doble und Charleston
Der einzig fehlende Tanz ist der Contemporary.
Und dieser wird volle 3 Minuten getanzt.

TOUCHED - der Tanz ums VerderbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt