TOUCHED - der Tanz ums Verderben

Kapitel 7 | Masha

Ich sitze auf der Lederbank im Tanzstudio, habe meinen Kopf auf dem Diner-Tisch liegen und beobachte Valentin dabei, wie er seine Quickstep-Schritte durchgeht. Das einzige Geräusch im Raum kommt von seinen Schuhen, denn die fegen im schnellen Takt über den Boden. Müde sehe ich zurück aufs Handy, auf dem ich die Choreo für den Contemporary geöffnet habe. Ich hab sie am Laptop ausgearbeitet, auf mein Handy gezogen, und zerbreche mir jetzt den Kopf über die Musik.
Die Grundschritte und Story dahinter hab ich schon, doch-

„Willst du dich auch mal bewegen oder nur hier sitzen und grübeln?"

Ich schaue zu Val, der mich vom anderen Ende des Raumes frustriert anschaut. Seit zwei Stunden sind wir hier und seit genau zwei Stunden übt er immer wieder seine eigenen Schritte. Zugegeben, in den zwei Stunden hab ich nicht nur über den Contemporary nachgedacht, sondern auch über den gestrigen Abend. Über alles was Cam zu mir gesagt hat.

Fick dich.

Ich hasse ihn. Mein Gott, ich hasse ihn einfach. Ich war zwar nicht sonderlich nett oder höflich oder respektvoll, aber ich hasse ihn einfach nur. Er denkt, weil er so Bad Boy ist und in der Kriminalität drinsteckt, hat er das schwerste Leben auf der Welt. Er denkt, dass niemand außer er Sorgen hat. Man kann ihm vom Gesicht ablesen, dass er jedes Mal, wenn er mich nur ansieht, denkt, dass ich ein absolut sorgenloses und perfektes Leben führe. Wenn er nur wüsste. Wenn er mich richtig kennen würde, dann würde er merken, dass mein Leben vielleicht nicht so hart ist wie seins, meine Probleme kaum vergleichbar, aber der Druck auf meinen Schultern meine Psyche terrorisiert.
Ich hab's nicht schwer, wirklich nicht, aber ich hab's auch nicht super einfach.

Jeder trägt sein Päckchen mit sich herum und das Leben ist immerhin kein Wettbewerb.
Wer hat es am schwersten?
Wer hat am meisten gelitten?
Das ist nichts auf das man stolz sein sollte.

„Ich will nur sitzen.", stöhne ich auf und lehne mich gegen die Wand in meinem Rücken.

„Vom Sitzen hältst du nicht deine Figur."
Arschloch.
Jetzt würde ich ihm gern das an den Kopf werfen, was Cam mir an den Kopf geworfen hat.

Tief atmend erhebe ich mich von der Bank.
„Lass uns die Schritte vom Contemporary durchgehen, ja?"

Valentin gibt nach.
Ich ziehe meine Schuhe aus, er seine, und ich erkläre ihm anhand der Zeichnungen, die ich mir aufs Handy gezogen hab, die Schrittfolge.

„Du hast einen Contemporary entworfen, der sich um Sex dreht?", fragt Valentin dann irritiert, nachdem ich mein Handy wieder zu meinen Sachen gelegt habe. „Du kannst bei dem Wettbewerb keinen Contemporary zeigen, der sich um puren Sex dreht, Masha."

„Er dreht sich nicht um puren Sex.", verteidige ich meine Choreo, „Das Thema ist Sex, ja, aber wir machen ja auf dem Parkett nichts verbotenes oder-"

„Du hast da sehr anzügliche Schritte eingebaut."

Ich entferne mich einige Zentimeter von ihm.
„Na und? Die ganzen letzten Jahre habe ich nie sowas dort gesehen, weil sich das keiner traut! Weil es was neues ist, was innovatives, was-...wir könnten damit gewinnen."

„Oder uns lächerlich machen."

„Valentin-"
Dieser Contemporary ist so gut.
Ich weiß es.
Wieso erkennt er das Potential nicht?

„Masha, deine Eltern werden zuschauen. Die Welt wird zuschauen. Ich will das gewinnen, und man gewinnt nicht mit neuen, noch nie vorgekommenen Tänzen. Contemporary ist schon ein Tanz, bei dem man neue Schritte einbauen kann, das sollten wir nicht mit einem Tanz über Sex ausreizen. Die Jury ist so alt wie meine Großeltern, die werden das nicht gut finden."