Medicina... Gib Spucke! ...

21 1 28
                                    


Falcon Grand Hotel, Falconwood, London

Spätherbst 2016; der Tag, an dem Pablo ins Hotel kam

| Pablo ist 22 Jahre alt | Aegir ist 49 Jahre alt, sieht aber aus wie 30



Medicina

... Gib Spucke! ...


„Aegir!"

Janets scharfer Ton ließ ihn zusammenzucken und er tauchte wieder aus seinen Gedanken auf.

„Entschuldige, ich ..." Aegir unterbrach sich selbst und fuhr sich mit beiden Händen über seine müden Augen, die eben noch abwesend über den Bildschirmrand seines Computers gestarrt hatten. Seufzend wandte er sich zu Janet.

„Es ist nur ... Der Neue –"

„Señor García", ergänzte sie und nickte mit nachdenklich zusammengezogenen Augenbrauen.

„Ja."

Pablo García. Er war aus dem Nichts aufgetaucht. Sowas kam durchaus vor. Junge Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen in London gelandet waren. Aber am Ende trieb sie nur ein Grund in das Vorzimmer zu seinem Büro mit der Bitte darum, einem Vampir zu dienen: der Wunsch nach Unsterblichkeit. Oder seltener der Wunsch nach Rausch. Jenem durch Gefahr oder jenem durch den Zustand, in den sie versetzt wurden, bestand der geschlossene Deal daraus, dass sie im Gegenzug Vampirblut süffeln konnten.

Charlotte hatte über die Kontakte in den Straßen bisher nur in Erfahrung bringen können, dass Pablo das erste Mal vor zweieinhalb Wochen aufgetaucht war. Frisch aus Bolivien eingereist hatte er sich durchgefragt, bis ihm jemand erzählt hatte, was er hören wollte: Ja, es gab einen Mann in London, der sich von Menschenblut ernähren musste, um zu überleben. Er war einer der mächtigsten Männer der Stadt. Und er lebte in einem der beliebtesten Hotels. Was der junge Latino wirklich von Aegir wollte und warum er nach England gekommen war, statt sich einem der Clans in La Paz, Sucre, Oruro oder Potosí anzuschließen, war ihnen noch ein Rätsel. Etwas in Pablos Blick jedoch – seinen gutherzigen, aber verschreckten, braunen Augen – hatte sich an Aegirs Herz gehängt und ziepte seitdem immer wieder daran. Aegir war inzwischen alt genug, um zu wissen, dass es nichts Gutes sein konnte.

Janet seufzte erneut. „Du musst aufhören, dir um jeden dahergelaufenen Menschen den Kopf zu zerbrechen. Sie haben ihre Entscheidungen getroffen, wenn sie hier auftauchen. Und du hast auch so mehr als genug um die Ohren, mein Lieber." Ihre Stimme wurde mit jedem Wort strenger und Aegir ahnte, was sie ihm gleich verkünden würde.

„Oh nein, was hat er nun schon wieder angestellt?"

Während sie tief einatmete, löste sich Janet aus dem Türrahmen, in dem sie gestanden hatte, und fing an, eine Liste von dem Zettel abzulesen, den sie mitgebracht hatte.

„Die Universität hat wieder angerufen. Reyk hat sich zum zweiten Mal in dieser Woche geprügelt."

„Schon wieder?! Ist nicht erst Dienstag?!"

„Richtig." Janet verzog keine Miene. „Sie werden ihn exmatrikulieren, sollte sich nochmal ein Vorfall ereignen." Sie machte eine kurze Pause, bevor sie schließlich hinzufügte: „Und sie haben die Polizei informiert."

„Na großartig", seufzte Aegir schwer und schloss die Augen, um sich besser darauf konzentrieren zu können, regelmäßig zu atmen. Dieser Junge ... Er würde es wohl doch noch schaffen, in die Geschichte einzugehen als erster und einziger Mensch, der einen Vampir mit einem stressbedingten Herzinfarkt ins Grab brachte ...

Entre Corazones - The Homes We BecomeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt