Kapitel 36

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 ~ Amelia ~ 

Nach der Nachspeise wurde der Ball eröffnet, den wir im Anschluss an das Essen geplant hatten und die meisten meiner Tischpartner hatten sich daraufhin einen Tanzpartner gesucht. Ich entdeckte Graces Eltern sowie meine Schwester und Patrick auf der Tanzfläche. 

Nicolas hatte sich Grace geholt und ihre kleine Schwester Lilly war in Richtung Buffet verschwunden. Ich saß also allein an unserem Tisch, bis ich plötzlich Aiden sah, der auf mich zukam. 

"Lady Amelia, ich bestehe auf diesen Tanz." Er streckte lächelnd eine Hand aus und sah mich erwartungsvoll an.

"Du bestehst darauf?", fragte ich verwirrt.

"Ja, das ist richtig. Auf eine Frage würdest du mit 'nein' antworten, also stelle ich sie gar nicht erst."

Ich schmunzelte und ließ mir die Sache durch den Kopf gehen. Wenn Calder machen konnte, was er wollte, dann konnte ich das auch. 

"Also gut, aber ich warne dich: Ich bin eine grottenschlechte Tänzerin." 

Er lächelte wieder und sagte nichts darauf. Stattdessen sah er demonstrativ auf seine Hand, die er mir immer noch hinhielt. Mit einem Seufzer ergriff ich sie und hakte mich bei ihm ein. Aiden steuerte zielsicher auf die Tanzfläche zu. 

Dort angekommen platzierte ich meine Hand auf seine Schulter und die andere in seine Hand, während er seine um meine Taille legte. Dann setzte die Musik ein und Aiden begann, mich zu führen. 

Zuerst sah ich noch auf den Boden und versuchte, mich möglichst synchron mit ihm zu bewegen und ihm vor allem nicht auf die Füße zu treten, was bei anderen Paaren wesentlich einfacher aussah. Madame Bouchard hatte uns natürlich im Vorfeld unterrichtet, aber sie war in dem Versuch, es mir beizubringen nicht besonders erfolgreich gewesen.

"Also, welches Gefühl hast du bei Calder?", fragte er schließlich und kam damit gleich zum Punkt. Ich seufzte. 

"Müssen wir eigentlich immer über mich reden? Ich weiß es doch selbst nicht. Ich mag ihn irgendwie. Wir haben die gleichen Interessen und Leidenschaften, aber ... es ist ... kompliziert." 

Meine Stimme klang unsicher und ich sah ihm in die Augen. Hoffte, ablesen zu können, was er darüber dachte. Er drehte mich einmal um mich selbst, nur um mich dann wieder an sich zu ziehen. 

"Ja, das Gefühl habe ich auch bei euch. Und das ist schade. Ihr passt eigentlich gut zusammen." Ich zog eine Augenbraue hoch. "Ach ja?"

"Ich bin sein Bruder und kenne ihn schon mein ganzes Leben. Glaub mir, wenn ich sage, dass er sich verändert hat, seit er dich getroffen hat." Mein Herz überschlug sich fast, als ich das hörte und für einen Moment schwieg ich. 

"Das ... überrascht mich", sagte ich schließlich und Aiden lachte. "Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Cal lässt sich ungern in die Karten schauen und ist eigentlich nicht der Typ für große Gefühle", sagte er und führte mich erneut in eine Drehung, bei der mir ganz schwindelig wurde. 

"Was läuft eigentlich bei dir und Rachel?", fragte ich dann, um von mir abzulenken. Aiden wurde ein wenig rot und mied meinen Blick. 

„Sie ist wundervoll. Wirklich. Sie hat so ein gutes Herz und scheut sich nicht, mit anzupacken und sich dabei die Hände schmutzig zu machen. Sie hat neulich dabei geholfen, die Ställe auszumisten, als sie dort auf mich gewartet hat. Wir hatten eine Verabredung, aber ich bin zu spät gekommen, weil mich mein Vater aufgehalten hat." 

Er schüttelte leicht den Kopf und sah mich dann wieder an. 

"Jedenfalls hat sie beschlossen, sich nützlich zu machen, anstatt rumzustehen und auf mich zu warten. Obwohl wir dafür eigentlich unsere Stallburschen haben. Sie hat für das heutige Bankett einen einfachen Arbeiter und ihre Dorfälteste eingeladen."

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