Kapitel 64

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~ Amelia ~ 

Elyanor schrie auf und stürzte auf ihren Vater zu. Rufe der Wachmänner wurden laut und schon bald tummelten sich fast alle Palastwachen auf dem Hof. Einige rannten auch auf den Wehrgängen herum und suchten hektisch nach dem Attentäter.

Prinzessin Elyanor kniete weinend neben ihrem Vater, der gerade von ein paar Krankenschwestern versorgt und anschließend nach drinnen getragen wurde. Ich ließ meinen Blick wieder zu den Soldaten schweifen, und bemerkte einen Wachmann, der aus einer kleinen Lehmhütte unterhalb des Wehrgangs kam.

Er beachtete seine Kameraden nicht, als ob sie gar nicht da wären und steuerte auf das kleine Gebäude zu, in dem ich gefangen war. In dem Chaos, das gerade herrschte, schenkte ihm auch keiner Aufmerksamkeit. Aber irgendetwas an ihm kam mir dennoch seltsam vor.

Ich ließ von dem Fenster ab und ging hinüber zu der Zellentür, wo ich die Gitterstäbe umklammerte und zur Eingangstür hinübersah. Der Soldat machte sich dort offenbar mit einem Schlüssel zu schaffen.

Dann schwang die Tür auf, der Soldat trat ein und nahm grinsend seinen Helm ab, als er näher kam.

„Marlies?", fragte ich ungläubig und strich mir über die Wangen, um die lästigen Tränen wegzuwischen.

„Warum muss ich dich eigentlich immer aus solchen Situationen retten?", entgegnete sie gespielt genervt und schnaubte amüsiert.

Ich konnte nichts gegen das Grinsen tun, das sich ebenfalls in meinem Gesicht breit machte. „Ich weiß nicht, vielleicht mag ich es einfach, gerettet zu werden?"

„Du warst schon immer faul", sagte sie und schloss meine Zelle auf.

„Na dann hab ich ja Glück, dass du da bist." Ich trat heraus und schloss sie in meine Arme.

Marlies erwiderte meine Umarmung herzlich und löste sich dann wieder von hier. „Ich denke es wäre besser, wenn wir die große Wiedersehensfreude verschieben, bis wir hier raus sind."

Konzentriert spähte sie aus der Tür und beobachtete die Soldaten, die sich offenbar ein wenig beruhigt hatten und weniger planlos herumliefen. Dann setzte sie sich den Helm wieder auf und sah zu mir zurück.

„Wir müssen uns beeilen. Sie müssten den bewusstlosen Wachmann, dem ich die Uniform abgenommen habe, jeden Moment bemerken."

Marlies sah sich kurz um, bevor sie das Gebäude verließ und ich versuchte, ihr so unauffällig wie möglich zu folgen. Die Anzahl der Wachen war gesunken, wahrscheinlich hatten sie die Hoffnung aufgegeben, den Attentäter noch ausfindig zu machen und eine Krisensitzung einberufen.

Zielstrebig steuerten wir auf das Tor zu, das noch einen Spalt offen war. „Ich schätze, du bist nicht zu Fuß hier?", flüsterte sie mir zu und nickte zu den Stallungen hinüber.

„Was denkst du?", entgegnete ich und hielt auf die Stallungen zu, während Marlies in der Nähe des Tores wartete. Odysseus war noch immer gesattelt und neben den Stallungen angebunden. In der Hektik hatten sie ihn wohl vergessen.

Rasch saß ich auf und steuerte erneut auf das Tor zu, wo Marlies noch immer wartete. Sie hatte einen Koffer dabei, den sie auf den Rücken geschnallt trug und ich hatte so die Vermutung, dass sie darin ein Gewehr aufbewahrte und damit auf den König geschossen hatte.

Ich zweifelte nicht daran, dass sie die Schützin gewesen war. Das wäre schon ein großer Zufall gewesen. Außerdem war Thalassia bislang auch das einzige Land, das Waffen dieser Art produzieren konnte und zumindest die Spezialeinheiten des Militärs im Umgang geschult hatte.

Marlies öffnete das Tor mit einem Schwung und stieg dann hinter mir in den Sattel. „Na los", trieb sie mich an und hielt sich an meinen Schultern fest. 

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