10 - Zwei Seiten des Abgrunds

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Die Fackel über ihnen knisterte leise, während leises Geflüster zur gewölbten Steindecke der Krypta stieg. Irgendwann hat Carol damit begonnen, über ihre erste Unterrichtsstunde bei Professor Woodrow in Alte Runen zu sprechen. Darüber, wie schön das spätherbstliche Wetter doch war und sie diese Jahreszeit allgemein wegen der reichen Ernten und den bunt gefärbten Blättern mochte.

Belangloses Geflüster, doch für Ominis anscheinend wertvoll, denn er lauschte ihr aufmerksam, während er geistesabwesend, jedoch ruhig immer wieder mit seinem Daumen sanft über Carols Knöchel und ihr Handgelenk strich.

Noch immer merkte man Carol die vage Enttäuschung über sein Vorhaben an. Eine nachvollziehbare Frustration über diesen ernüchternden Vorschlag, sich voneinander fernzuhalten. Sie bemühte sich spürbar ihren Gram nebulös zu verschleiern, doch war Carol schon immer überaus schlecht darin gewesen.

»Du solltest in die Große Halle gehen, Carol.«, schlug Ominis mit noch immer rauer Stimme vor, als Carol eine kurze Schweigeminute einlegte, um sich ein neues Thema zu überlegen. Müde neigte er seinen Kopf zu seiner Brust herab und drückte ihre Hand zartfühlend, während ihre Finger noch immer miteinander verwoben waren. Merlin weiß, wie lange schon. »Ansonsten verpasst du meinetwegen das Abendessen.«

Leise atmete Carol die Luft etwas tiefer als in den letzten Stunden ein, sodass sich ihre schmalen Schultern hoben. Zögernd drückte sie seine Hand sanft zurück. »Denkst du wirklich, dass es schon so spät ist, Ominis? Ich habe keine Taschenuhr.«

Ominis Mundwinkel zuckten vage und er drehte seinen Kopf geruhsam in Carols Richtung. Immerhin saß sie genau neben ihm und lehnte sich an ihn, da war es für ihn nicht schwierig ihre genaue Position zu erahnen. »Ich bin mir sogar ziemlich sicher. Ich habe einen siebten Sinn für derlei Dinge.«

Nur zögerlich löste Carol ihre verwobenen Finger, die Ominis scheinbar bereitwillig freigab und zog ihren Arm aus der verschlungenen Berührung, womit sie den Körperkontakt zwischen ihnen abbrach. Die Wärme verweilte jedoch weiterhin an den Körperregionen. Diese Geborgenheit spendende Wärme, die sich zwischen ihnen wie eine gemütliche Decke ausgebreitet hat.

»Ich werde mich bei dir in ein paar Wochen melden, in Ordnung?«, fragte Ominis unsicher und knetete seine Hand, als wollte er Carol an die bittere Abmachung erinnern.

Carol ließ sich mit ihrer Antwort Zeit. »In Ordnung.«, murmelte sie letztlich niedergeschlagen, weshalb Ominis schuldig den Kopf hängen ließ. Mit einem zarten und versucht freundlichen Stimmklang schob Carol nach: »Ich habe im Übrigen deinen Zauberstab gefunden, Ominis.«

Verwundert schoben sich seine Augenbrauen nach oben, als das leise, hölzerne Geräusch neben ihm erklang, während Carol seinen Zauberstab auf dem Steinboden ablegte. Kurz darauf raschelte ihre Kleidung, als sie aufstand und sich den Rock abklopfte. »Bis bald, Ominis. Pass bitte auf dich auf.«, sagte sie mit einem Hauch Melancholie in der Stimme.

Ominis zwang sich bei dem Klang zurückzulächeln und hoffte, dass es nicht wehmütig wirkte. »Mach dir bitte keine Sorgen um mich, Carol. Ich habe mich im Griff.«

Seine Mundwinkel sanken allmählich, während er Carols Schritten lauschte, die sich langsam entfernten. Erst nachdem sie sich in dem tunnelähnlichen Geheimgang verfangen hatten, erlaubte er es sich schwer und trübsinnig zu seufzen. Faul legte Ominis seinen Kopf in den Nacken und lehnte sich zurück gegen das gewölbte Holzfass in seinem Rücken.

Bereits jetzt vermisste er bedauernd Carols geborgene Wärme, während sich ihre Schultern berührt haben. Ja, selbst das Kitzeln ihrer gelockten Haare in seinem Gesicht vermisste er. Ominis sehnte sich nach ihrem aufrichtigen Mitgefühl und ihrer hingebungsvollen Loyalität, die sie ihm bereitwillig zuteilwerden ließ.

Serpent's Lullaby - die Geschichte von Carol RoswellWo Geschichten leben. Entdecke jetzt