V

509 18 13
                                    

Gemeinsam trugen wir alles nach hinten und machten es genauso mit Mountains Schlagzeug.

Es war inzwischen kurz vor zwölf, als wir alles aufgeräumt und verstaut hatten. Ich schloss gerade neben Rain die letzte Kiste, in der die Keyboardständer untergebracht waren, als er mir einen Zettel überreichte. Fragend blickte ich ihn an. Als ich las, was auf dem Zettel stand, bekam ich große Augen. „Aber ich hab nicht genug Geld", erwiderte ich niedergeschlagen, während ich das Konzertticket in meiner Hand betrachtete. „Deswegen ist es auch ein Geschenk", kam es von Sunshine, die neben Rains Rücken vorbeilugte. „Das kann ich doch nicht annehmen-", entgegnete ich.

„Danke!", quietschte ich nach einiger Zeit und freute mich wie ein kleines Kind. „Bedanke dich bei Cirrus, sie hat Papa überredet", grinste Sunshine. „Sie mag dich wirklich", ergänzte Rain lächelnd. Inzwischen hatte jeder die dünne schwarze Maske abgenommen, sodass ich ihre Emotionen besser deuten konnte. Ich schaute auf mein Handy und stellte erschrocken fest, dass mein Zug gerade abgefahren war. „Mist", fluchte ich und schaltete energisch mein Handy aus.

„Was gibt's?", fragte Cumulus, die plötzlich hinter mir stand. „Mein Zug kommt jede halbe Stunde. Ab Mitternacht kommt aber nur noch jede Stunde einer und gerade ist der letzte abgefahren. Ich muss jetzt eine Stunde warten", erklärte ich seufzend. „Naja, jedenfalls will ich euch jetzt nicht länger aufhalten und belästigen", meinte ich und lief zu meiner Tasche, um sie mir über meine Schulter zu hängen. „Ihr müsst bestimmt auch weiter." „Was machst du jetzt die Stunde?", fragte mich Cirrus.

„Am Bahnhof herumlungern und hoffen, dass ich nicht entführt werde", meinte ich und lachte halbherzig über meinen Witz. Sie schauten mich alle an, als würden sie warten, was ich als nächstes tun würde. Meine Wangen verfärbten sich leicht rot, als ich fragte: „Könnte mir jemand den Ausgang zeigen?" Ein Grinsen schlich sie auf die Gesichter der Ghouls und Ghouletten. „Ich zeig ihn dir", beschloss Sodo. Ich lächelte ihm dankbar zu und wusste nicht, wie ich mich von den Bandmitgliedern verabschieden sollte. Also winkte ich in die Runde und sah direkt daraufhin das empörte Gesicht von Cirrus. „Jetzt komm her", befahl sie und breitete die Arme aus. Lächelnd ging ich auf sie zu und umarmte sie. „Also, tschüss bis übermorgen", verabschiedete ich mich und Rain lächelte, da ich das Ticket nach längerem Diskutieren doch angenommen habe.

Ich musste zwar schauen, wie ich dort hinkam, da es ziemlich weit weg von meinem Wohnort war, aber ich schaffte das irgendwie. Ich bedankte mich bei Sodo, verabschiedete mich von ihm und machte mich auf den Weg zum Bahnhof. Es war stockdunkel und auf halber Strecke spürte ich, dass jemand hinter mir lief. Ich bog also ab, um durch ein Wohnviertel einen Umweg zu nehmen. Die Person folgte mir weiter, weshalb ich noch einmal abbog. Ich lief an einem Fenster vorbei und erkannte im Spiegelbild, dass mir eine dunkle Gestalt, ein wenig größer wie ich, folgte. Also bog ich erneut ab und als die Person immer noch hinter mir lief, blieb ich stehen. Die Person lief schnurstracks auf mich zu und als ich spürte, dass sie ganz nah war, drehte ich mich um und holte aus, um ihr eine Ohrfeige zu verpassen. Im letzten Moment fing sie meine Hand auf und ich blickte in das Gesicht einer maskierten Person.

„Swiss?", fragte ich verwirrt, als sich ein Grinsen auf sein Gesicht schlich. „Ganz schön viel Kraft in einem unschuldigen Mädchen wie dir", lachte er und ließ mein Handgelenk los. „Was musst du mich auch verfolgen wie ein Verbrecher", antwortete ich erleichtert, dass es kein Irrer war, der mich entführen wollte. „Ich wollte dir nur das hier bringen", entgegnete er und gab mir mein Handy. Verwirrt sah ich ihn an und er erklärte: „Das hast du auf den Kisten liegen lassen."

Ich nickte und Swiss beschloss, mich zum Bahnhof zu begleiten. „Wie kamst du dazu, unser Logo tätowieren zu lassen? Ich meine, was ist, wenn du unsere Musik irgendwann nicht mehr magst?", fragte mich Swiss auf dem Weg. „Lange Geschichte", lachte ich. „Ich hab Zeit."

„Als ich in der sechsten Klasse war, wurde ich mal ziemlich stark gemobbt. Ich war für mein Alter ziemlich klein und das hat ein Junge aus meiner Klasse als guten Grund genommen, mich zu mobben. Dazu kam, dass ich damals schiefe Zähne hatte. Ich brauchte also eine Zahnspange, für die wir aber kein Geld hatten. Da ich dem ganzen Druck nicht mehr standgehalten habe, habe ich irgendwann, unbewusst, immer weniger gegessen, bis ich einmal sogar fast umgekippt wäre. Also war ich in der Schule immer das ‚kleine Streichholz mit den schiefen Zähnen'. Ich hatte nie Freunde, eben weil alle nichts mit mir, dem Mobbingopfer, zu tun haben wollte. Da ich niemanden hatte, mit dem ich Zeit verbringen konnte, lag ich den ganzen Nachmittag in meinem Bett und war am Handy. Irgendwann bin ich auf das Musikvideo von Majesty gestoßen und mir hat es ziemlich gut gefallen. Der Ausschnitt ‚all beauty lies within you' hat mir dann geholfen, mich selbst wieder zu mögen. Eure Musik hat mir in der Zeit Halt gegeben, dass ich das Schuljahr halbwegs überlebte. In den Sommerferien hat mein Vater einen neuen Job gefunden und somit hatten wir auch Geld für eine Zahnspange. In den sechs Wochen habe ich auch wieder mehr gegessen. Mein Ziel war es, auf ein Konzert von euch zu kommen. Dafür habe ich gegessen, dass ich es überhaupt gesundheitlich schaffe, euch live zu sehen. Nach der Sechsten wurden neue Klassen gebildet und als der Junge, der mich mobbte, nicht mehr in meiner Klasse war, fand ich auch wieder Freunde. In dem Schuljahr hatte ich eine beste Freundin, die mich auch wieder ein wenig aufgebaut hatte. Mit ihr habe ich bis heute zu tun und sie hat mir die Karte zum Geburtstag geschenkt. Wäre ich nicht auf das Video gestoßen, wüsste ich nicht, was ich getan hätte. Von Selbstmordgedanken brauche ich erst gar nicht anfangen. Mein Tattoo bedeutet für mich also, dass man alles schaffen kann, wenn man möchte", erklärte ich. Eine heiße Träne lief mir über die Wange. Inzwischen waren wir am Bahnhof angekommen und Swiss nahm mich in den Arm und drückte mich fest. „Danke, dass du mir das erzählt hast", flüsterte er und ließ mich nicht los. Der ganze Kummer überkam mich wieder und ich fing an, hemmungslos zu weinen.
...
1047 Wörter

Majesty | Swiss x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt