"Gib auf! Beuge dich der Macht und dem Worte des Königs - noch hast du die Chance, mit einer Geldstrafe davonzukommen!", brüllte ich dem Geistesgestörten zu. Er war wohl an die zwanzig, groß und stämmig gebaut - aber dennoch dünn -, und sein langes schwarzes Haar flatterte im Wind, als wäre es sein Banner. Auf dem Rücken trug er ein langes Breitschwert - ein Bihänder Claymore - mit dem Griff über der rechten Schulter. Lustlos und dennoch beeindruckend, wie ich zugeben musste, hing es da, gebändigt und gefesselt von dem dunkelbraunen Leder seiner Schwertscheide. Es noch nicht gezogen zu haben war leichtsinnig! Der Unbekannte trug gerade mal einen Ledermantel mit Kapuze, der einzige Stahl an ihm war, neben seinem Schwert und einigen Wurfmessern an der Brust, ein Kettenhandschuh, der seine linke Hand umarmte. Mitsamt dem Mädchen stand er in der Mitte eines Kreises aus drei duzend Soldaten - meinen Soldaten! Ich selbst bin nämlich kein geringerer als der Kommandant der Königlichen Leibgarde - Edric Garlan!
Als solcher war es meine Pflicht das vom König gesprochene Urteil zu vollstrecken. Er hatte dieses Mädchen nämlich für eine Nacht zu sich eingeladen, doch hatte sie die Ehre nicht annehmen wollen. Verständlich, denn der König war weder besonders hübsch, noch ein angenehmer Zeitgenosse - bloß wagte es sich niemand dies auszudrücken, da es den Tod zur Folge hätte! Das arme Mädchen war vollkommen verstört, wie ein bunter Vogel im grauen aussichtslosen Gewitter. Auch das war verständlich, schließlich war sie dem Tode geweiht und ihm näher als manch Schurke am Galgen! Hübsch war sie, keine Frage, wie eine einsame Blume im trostlosen Ödland. Doch deswegen für sie das Leben lassen? Nun gut, ich werde mein Leben für die Loyalität zu meinen König verlieren. Beides ist seine eigene Form der Ehre und es ist jedem selbst überlassen zu entscheiden, welches er nun als edelmütig und welches als einfach nur verrückt erachtet.
Als meine rechte Hand Ario Jast treu wie er ist das Urteil vollstrecken wollte, tauchte dieser Kerl wie aus dem Nichts auf: "Niemand reckt seine Griffel nach ihr - oder ich werde sie euch abhacken. Dies ist keine Drohung, es ist ein Versprechen." Unheilverkündend hallten seine Worte über den Platz und über die Köpfe der gegen ihn stehenden Übermacht. Sein Wiederstand war absolut lächerlich, doch irgendetwas an dem Ernst seiner Stimme schien mich glauben zu lassen, er könne es schaffen zusammen mit ihr heil aus dem Schlamassel herrauszukommen...
"Tötet ihn, und diese Hure gleich mit!", schrie unser König und beendete meine Überlegungen damit abrupt. Wenige Augenblicke später sprangen meine zwei duzend Ritter auf den vermeintlichen Retter, um unserem König die Köpfe der beiden wie Murmeln vor die Füße zu werfen. Ein weiteres Duzend Bogenschützen legte Pfeile ein und erhob die Bögen, zum Schuss bereit. Zu meinem Bedauern hasteten meine übereifrigen Ritter einzeln auf ihr Ziel zu, weshalb es dem Romantiker gelang sie durch einschüchterndes Zucken zu einem Schritt zurück zu verleiten. Verdammte Weicheier! Zugegeben sah man ihm ein gewisses Kampftalent an, und zusammen mit seiner Selbstsicherheit umschlich einen seine Moralbrechende Ausstrahlung, jedoch sollte die Laibwache des Königs sich von so etwas nicht beeindrucken lassen - erst recht nicht bei solch einer Überzahl! Mit all dem im Hinterkopf war es nicht überraschend, dass sich der Unbekannte nicht ergab. Seinen Namen kenne ich nicht, denn ich machte mir gar nicht erst die Mühe ihn danach zu fragen, immerhin sollte er sich in ein paar Momenten mit dem Pflaster der Straße vereinen! Der Einfachheit halber schrie ich meinen Bögenschützen zu: "Schießt!" Und sie schossen. Ein Duzend Pfeile zischten über meinen Kopf hinweg auf die beiden Umzingelten zu und, so lächerlich es klingt, der Verrückte zog sein Schwert. Mit einer solchen Geschwindigkeit zog er es, dass es mir Kopfschmerzen bereitete! Jedoch achtete ich nicht darauf, zu sehr war ich von dem Tanz der Luft schneidenden Klinge gefesselt, mit welcher er wie ein Geistesgestörter über dem Kopf des Mädchens herum fuchtelte, die sich starr vor Angst nicht ansatzweise bewegte. Als dann nur einen Augenblick später endlich die Pfeile in die beiden einschlugen, als sie vom Himmel regneten wie Hagelkörner, entspannte ich mich schon und nahm die Hand von meinem Schwert - zu früh wie ich feststellen musste: Wie durch Zauberhand traf nicht einer der Pfeile sein Ziel, obwohl sie es eindeutig taten! Dieser Schwachkopf muss sie alle abgewehrt haben... Es gab keine andere Möglichkeit! Aber wie sollte er... Meine Schützen hatten sich extra auf das Henkerspodest gestellt um Sichtkontakt mit ihren Zielen zu halten. Auch ihnen stand der Schock ins Gesicht geschrieben und eben jenen nutzte der Verfluchte gnadenlos aus, indem er blitzschnell drei Wurfmesser von seiner Brust löste. Er hielt sie alle in der linken Hand, immer eins zwischen zwei Fingern, während er den Daumen in der so entstandenen Faust vergrub. 'Unmöglich!', dachte ich mir, 'Das kann er nicht vorhaben... Das kann er nicht schaffen!' Doch der Unbekannte warf seinen Arm nach hinten und fokussierte den Haufen Bögenschützen mit eisernem Blick. Selbst das Gewicht seines Schwertes nutze er um Schwung zu holen und schleuderte die drei Messer tatsächlich in deren Richtung. Ich konnte ihnen nicht folgen, es sah aus als wären sie gar nicht mehr in der Luft, als plötzlich drei meiner Männer vom Podest kippten. Damit hatte niemanden gerechnet. Nach einem Moment der Starre tobten die Ritter, die alles ungläubig mit angesehen hatten, und griffen den Messerwerfer an, nun endlich alle auf einmal stürmten sie auf ihn zu! "Duck dich, Mädchen!", schrie er und schlug mit seinem Schwert in Richtung des nähsten seiner Gegner. Ich traute meinem Augen kaum als dieser sein eigenes kaum hob und, obwohl das Abwehren eines solchen Angriffs schon in der Grundausbildung erlernt wird, seinen Kopf verlor. Da sich die zu Beschützende mittlerweile auf dem Boden zusammen gekauert hatte, konnte der um sich Wütende seine Klinge über ihren Kopf zischen lassen und sie so vor einem ähnlichen Schicksal bewahren. Als endlich mehrere Mann in Schlagweite waren entspannte ich mich, denn nun war es aus für den selbsternannten Beschützer. Zumindest dachte ich das. Je mehr meiner Männer kamen, desto lauter wurde das Klirren der Schwerter - obwohl der seltsame Kämpfer kaum mehr Hiebe durchführte als davor! Es sah fast so aus, als kämpften sie gegen unsichtbare Schwerter... Ich wollte ihnen gerade etwas zurufen, als mit einem Mal vier weitere Köpfe flogen. Wie gelähmt stand ich fassungslos da und selbst meine sonst so unaufhaltsamen Ritter wichen zurück. Mit vor Blut tropfendem Schwert stand er nun da, in der linken Hand erneut drei Wurfmesser. Langsam, damit auch niemand etwas verpasste, hob er die Stimme und sah mich direkt an als er sprach: "Ihr habt gesehen, ich halte meine Versprechen." Erst jetzt fielen mir die Finger meiner Männer auf, die wie versprochen abgeschlagen im Haufen aus Köpfen und Körpern lagen. "Doch lasst uns diesen Streit zivilisiert beenden - ich fordere euch, als Repräsentanten des Königs, zu einem Duell um das Mädchen heraus!" "Ich nehme die Herausforderung an.", hörte ich mich sagen. Ein Duell kann man nicht ablehnen, man kann es nur verbal verlieren! Männer mit Ehre werden niemals eine Herausforderung abschlagen. Abgesehen davon war es praktisch: Ich konnte ihn selbst besiegen und würde nicht noch mehr meiner Ritter verlieren. Mein Herausforderer riss mich aus den Gedanken: "Wenn ich gewinne, lasst ihr mich mitsamt dem Mädchen ziehen. Ich verlange des Weiteren, dass uns für all das hier..", er hob die Arme und auf die Toten, das Mädchen und den König zeigend, drehte er sich um sich selbst, ".. was passiert ist, nicht gerügt wird." Oh dieser verfluchte Hund! Mit seiner Formulierung hatte er sowohl mich, als auch den König herausgefordert. Mich, um nicht gegen dessen rechte Hand kämpfen zu müssen, und den König, damit er seine Forderungen stellen konnte - ich selbst wäre nicht befugt gewesen sie ihm zu bewilligen. Es kam nun darauf an ob der König mich als Repräsentanten anerkannte, oder mich mit Schande belud indem er es nicht trat. Aber seinen Hauptmann als unwürdig zu schimpfen, würde auch ihn selbst dumm dastehen lassen! Nach etwas Bedenkzeit ertönte schließlich des Königs Stimme: "In Ordnung. Doch was ist, wenn ihr verliert?" "Dann werde ich euch von nichts mehr abhalten können. Auch wenn ich es versuchen würde.", erwiderte unser Herausforderer kühl. Das war unerwartet. Allesamt waren wir sprachlos und wie ein Virus verbreitete sich die Stille. Ich selbst fand als erster meine Stimme wieder und erhob sie sogleich in herrausforderndem Ton: "Ihr gebt also zu, ihr hättet die Vereinbarung gebrochen? Die heiligen Duellregeln missachtet?" "Dieser Kampf wird durch den Tod entschieden - denkt nicht weiter über solch Belanglosigkeiten nach. Im Tod ist die Ehre nichtig.", er stellte sich mir gegenüber und zog sein Schwert. Ich hatte nicht einmal mitbekommen, wie er es wieder weggesteckt hatte! Nun steckte er auch die Wurfmesser wieder ein. Ich zog ebenfalls meine Klinge - ein Einhänder, jedoch mit einem Griff für zwei Hände. Es war eine Sonderanfertigung für mich und ich kannte niemanden, der seine Waffe schneller schwingen konnte als ich diese! Meine Männer wichen von uns zurück und bildeten einen Ring um uns drei - keiner traute sich mehr in die Nähe des Mädchens, um welches die abgeschlagenen Köpfe und deren Besitzer in der Lache aus Blut und Finger herumlagen und so eine gedachte, aber unüberwindbare Grenze bildeten, die das arme Mädchen in ihrer Mitte schützte.
Der König selbst eröffnete das Duell und mein Kontrahent begann langsam auf mich zu zulaufen. Betont langsam holte er mit seinem Schwert aus, was seinen kompletten Körper offen legte, und streckte es weit nach rechts - wie ich war er Rechtshänder. Auch ich ging ihm entgegen. Ich sah wie er seine linke Hand zu einer Faust ballte, jedoch nicht komplett... Als hielt er etwas fest - doch dort war nichts zwischen seinen Fingern. Ich konnte nicht weiter darüber nachdenken, denn plötzlich hörte man einen Pfeil surren! Einer der Bögenschützen - vermutlich ein guter Freund von einem der Getöteten - hatte ihn in seiner Wut auf das Gemetzel direkt auf das Mädchen geschossen. Mein Duellpartner riss sein Schwert in die Höhe und warf es mit hasserfülltem Blick hoch in die Luft. Beim hochreißen kam es meinem Hals gefährlich nahe und ich erhob mein eigenes zum Schutz - oder zumindest wollte ich: Es bewegte sich nicht, weder vor noch zurück, als würde es festgehalten werden! Ich schaute hin, doch niemand stand auch nur in der Nähe und erst als ich beschloss dieses Phänomen vorerst zu ignorieren und zu schauen, ob der Mann den Pfeil nun mit seinem gewagten Schwertwurf abgefangen hatte, bemerkte ich, dass mein Kopf nicht mehr auf meinem Hals saß. Bevor ich letztendlich starb, glaubte ich noch zu sehen, wie der Mann dem ehrlosen Schützen sein Schwert bis zum Anschlag in den Hals rammte - doch das konnte nicht tatsächlich passiert sein! Wie hätte er so schnell seine Klinge fangen und zu dem Unglücklichen gelangen sollen? Den letzten Funken Bewusstsein verlor ich mit dem Aufschlag auf den Boden und mein letzter Gedanke war: "Er hatte Recht. Was hilft mir meine Ehre jetzt noch?..."
DU LIEST GERADE
Die heiligen Helden
AvventuraEs gibt auf der Welt nur wenige Helden die ihr Leben riskieren um Unbedeutende zu retten. Doch was können eine Handvoll Kämpfer schon ausrichten, wenn der Krieg metzelnd seine Opfer fordert? Selbst wenn es Krieger sind, Helden um ihnen gerecht zu we...