Vogelzwitschern
Blätterrasseln
Windpfeifen
Ein klammes Gefühl, das meinen Körper durchströmt.
Zähneklappern
Uhu-Rufe
Ein Geräusch hinter mir. Was war das?
Mit aufgerissenen Augen drehe ich mich um meine eigene Achse. Alles schreit in mir nach Hause zu gehen, doch mein Verstand weigert sich.
Ich kann nicht mehr zurück. Ich bin hier um ...
Mein Leben, ich halte es nicht mehr aus. Ich habe mir fest vorgenommen, hierzubleiben und das Ende herbeizuführen.
Hier im Wald, im Dunkeln.
Ich bin mir sicher, dass sich meine Familie bereits Sorgen macht, denn ich sollte schon längst zu Hause sein. Aber ich kann nicht.
Dieses Leben ist kein Leben, es ist Überleben.
Jeden Tag Erniedrigung, Mobbing, Frustessen (ich weiß, kontraproduktiv, selbst verletzendes Handeln). Jeden Tag bin ich allein in dieser Welt, in der ich keinen Platz finde. Gibt es den für mich überhaupt?
Langsam rutsche ich an einem Baum hinunter zum Boden. Ich ziehe meine Beine an mich und umschließe sie mit meinen Armen. Den Kopf lehne ich an den Baum und blicke in den Himmel, an dem ich bereits erste Sterne erkennen kann.
Da! Wieder ein Geräusch! Mein Kopf schnellt herum und ich horche.
Doch nichts geschieht.
Es sieht wohl so aus, als wären die Tiere durch meine Anwesenheit irritiert.
Plötzlich höre ich ein Rascheln in der Baumkrone. Wenige Augenblicke später läuft ein Eichhörnchen den Baum herunter und kommt wenige Meter neben mir zum Stehen. Es blickt mich an und legt den Kopf schief.
Ich lächle.
Es überlegt wohl, ob ich Freund oder Feind bin.
Zitternd strecke ich vorsichtig die Hand aus, bewege mich ansonsten nicht.
Es wackelt mit der Nase und kommt ein paar Schritte näher. Seltsam, dass es so zutraulich ist. Vielleicht, weil öfter Menschen in diesem Wald unterwegs sind.
Das Eichhörnchen geht wieder auf Abstand und blickt mich noch einen Moment an, ehe es in den Wald verschwindet.
Uhu-Rufe
Ob der Uhu zum Schlafen aufruft?
Mein Handy piept und nehme es aus meiner Jeans.
'Hey, wo bleibst du? Mama'
Soll ich darauf antworten? Vermutlich sollte ich das. Sie machen sich Sorgen.
Ich sehe mich im Wald um und bemerke, dass es ruhiger geworden ist.
Der Wind hat sich zu einer leichten Brise verändert. Dadurch ist mir nicht mehr so kalt.
Es wäre so einfach. Hier sitzen bleiben und so lange warten, bis es vorbei ist. Vielleicht wollen die Tiere mich fressen?
Ich bin zu feige, es selbst zu tun. Auch damals auf der Brücke habe ich mich von jemandem abhalten lassen. Aber hier im Wald wird in der Nacht niemand vorbeikommen. Meine Eltern würden niemals herausfinden, dass ich hier bin, denn in den Wald bin ich das letzte Mal als Kind gegangen.
Seit mein Onkel verstorben ist, habe ich mich hinter den PC geklammert. Die Außenwelt zu schmerzhaft. Daher würden sie mich im Wald als Letztes vermuten – wenn sie überhaupt darauf kommen würden.
Mein Handy piept erneut.
'Ist alles ok? Ich hab deinen Freund angerufen, aber der sagte, du bist schon vor einer Stunde weggefahren. Wo bist du? Komm endlich heim! Das Abendessen wartet auf dich.'
Ich seufze. Essen. Schon wieder.
Ein Kloß bildet sich in meinem Hals und ich würge, doch übergebe mich nicht. Essen. Immer nur Essen. Wann hört das auf?
Ich stecke mein Handy weg und stehe auf. Zitternd ziehe ich meine Kapuze über den Kopf und stampfe tiefer in den Wald hinein.
Mit jedem Schritt wird es stiller – windstill.
Unheimlich, wenn es so ruhig ist.
Mein Freund. Mehr oder weniger. Mein Freund, der gefährlich ist, weil er seine Tabletten nicht nimmt. Mein Freund, der mich schon mit einer vollen Wasserflasche abgeworfen hat. Mein Freund, der mich schon des Öfteren geschlagen hat.
Auch das muss ich beenden.
Doch ich bin allein zu schwach dafür. Was soll ich nur tun?
Äste knacksen und ich blicke nach oben, aber ich konnte nichts erkennen. Die Dunkelheit erschwert mir die Sicht.
Ich fühle mich beobachtet und unwohl. Soll ich das wirklich durchziehen?
Nochmals piept mein Handy.
'Wenn du nicht in der nächsten halben Stunde zu Hause bist, ruf ich die Polizei! Komm sofort heim! Mama'
Erneut seufze ich. Ich blicke mich im Wald um und schließe danach die Augen.
Meine Ohren rauschen und eine innere Unruhe breitet sich aus. Meine Gedanken springen von einem zum nächsten, machen keinen Halt, überfluten mich.
Tief atme ich durch, schüttle den Kopf und öffne sie wieder.
Nein, ich kann das nicht tun. Ich kann das meinen Eltern nicht antun.
Ich drehe mich um und renne durch den Wald, bis ich nach einiger Zeit auf den Waldweg gelange. Kurz bleibe ich stehen und atme schwerfällig, ehe ich weiterrenne.
Nach Hause.

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Gedankenspiel
Ficción GeneralEINE LEBENSGESCHICHTE PROSASAMMLUNG Verarbeitung verschiedener Themen. ACHTUNG: Enthält Themen wie Mobbing, Selbstmordgedanken/Selbstmordversuche, Verfolgungswahn, Verlustverarbeitung, schwere Depressionen, AD(H)S, Autismus, Neurodiversität, Geschle...