11. Man selbst sein

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Noch nie zuvor in meinem Leben freute ich mich so sehr darüber, dass Paul den Bandvan vor Louis' und meinem Haus parkte. Ohne große Verabschiedung an meine Freunde, hechtete ich aus dem schwarzen Auto und weiter über das unendlich große Grundstück zur Tür.

Den gesamten Aufnahmetag ohne Lou, dachte ich an ihn. Was hatte er nur? Wurde er krank?
„Louis?" Meine Stimme halte durch das große Haus, sobald die Tür hinter mir in Schloss fiel. Nachdem wir hier zusammenzogen, hatten wir uns Mühe gegeben, jede Wand hier so persönlich wie möglich zu gestalten und trotzdem schien alles noch viel zu weiß und kalt. Wir hatten zu viel Platz. Louis behauptete manchmal, dass er seine Schuhe und seine Kleidung nur überall rumliegen ließ, um die Leere zu füllen.
„Ich bin hier." Ohne lange zu warten, lief ich – noch komplett angezogen – in unser Schlafzimmer.

Er lag da, wie eine schlafende Disneyprinzessin, und starrte an die Decke über ihn. Nur in Boxershort. Jeder andere Moment hätte nicht verhindern können, dass meine Sehnsucht nach dem jungen Tomlinson sich auch das letzte Kleidungsstück an seinem Körper wegwünschte. Nur bei einem traurigen oder bedrückten Lou, hatte ich meine Gedanken im Griff.

„Hey Hazzi", murmelte mein bester Freund. Seine blauen Augen waren blutunterlaufen und plötzlich nahm ich die halb leere Bierflasche neben dem Bett wahr.
„Hast du getrunken?"
„Nee, mit dem Bier habe ich deine Pflanzen gegossen." Er lachte ironisch. Noch immer hatte er mich nicht angesehen. Wahrscheinlich nicht mal geblinzelt.

„Was ist denn los Boo?" Langsam lief ich auf ihn zu.
„Nenn mich nicht so!"
Die Verzweiflung in seiner Stimme ließ mich Mitten im Schritt still halten.
„Hää? Was? Wieso?"
„Weil es so schwach klingt."
„Du bist nicht schwach."
„Stimmt. Lediglich untalentiert, unbrauchbar und verweichlicht. Wo liegt denn jetzt der Unterschied?"
Ich trat weiter auf ihn zu und setzte mich neben ihn, auf meine Seite des Bettes.
„Was redest du denn da?"

„Ich bin nicht gut genug für dieses Business. Ich weiß nicht, was ich hier mache. Ich bin zu unfokussiert, muss die ganze Zeit daran denken. An diese Party. Was ist nur los mit mir? Wieso wisst ihr alle, was ihr hier macht? Wieso weiß ich es nicht. Und wieso weine ich jetzt?" Während er sprach, setzte er sich auf, griff nach der Bierflasche und nahm dann einen kräftigen Schluck.
„Wovon redest du Louis? Welche Party." Sein Schluchzen wurde schlimmer. „Hey, alles ist gut." Sanft fuhr ich über seine Wange, versuchte jede Träne aufzufangen. Die Zusammenhangslosigkeit seiner Worte gerade, verwirrte mich.
„Na diese Party eben. Die vor einem halben Jahr."
„Bitte Louis, ich will verstehen, was in deinem Kopf vorgeht. Ich kann es nicht verstehen, wenn du nicht Klartext mit mir redest." Verzweifelt streichelte ich durch seine Haare.

„Warte noch ein bisschen. Ich sags dir, wenn ich mir genug Mut angetrunken habe."
Ich seufzte. „Ich will nicht, dass du trinkst."
„Schade, dass du nicht mein Daddy bist.

Kurzes Schweigen, Louis trank weiter.

„Hazzi, wo in der Band ist mein Platz?"
„Das kann ich dir nicht sagen Louis."
„Was? Wieso?" Er klang so verzweifelt, als würde seine letzte Hoffnung, eine Antwort auf seine Frage zu finden, wie eine Seifenblase zerplatzen.
„Weil nur du das entscheiden kannst."
„Nur ich?"
„Nur du. Und egal wer du in der Band sein willst, ich unterstütze dich. Und die anderen auch." Ich griff nach seiner Hand und drückte sie. Er sah auf sie herab .
„Wo ist dein Platz, Hazzi?"

Die Frage ließ mich Schlucken. Ich kannte meinen Platz, nur durfte ich ihn nicht haben. Das Management war dagegen. „Mein Platz, der ist auf der Bühne oder anderweitig in der Öffentlichkeit. Mit einer Flagge in der Hand. Mit vielen verschiedenen Flaggen in der Hand."
„Was für Flaggen?"
„Bunte Flaggen. Flaggen der Vielfalt Louis. Ich würde Menschen gerne das Gefühl geben, dass sie sie selbst sein zu können."
„Wieso machst du das dann nicht? Wieso schwingst du keine Flaggen?"
„Weil ich nicht darf."
„Fookin' Shit."
„Stimmt."

Wieder schwiegen wir kurz. Louis schien nachdenklich, während er einen weiteren Zug aus der Bierflasche nahm. Nun war sie fast alle.

"Aber du würdest gerne?"
"Nichts würde ich lieber, als den Menschen auf der Welt, die nicht sie selbst sein können, eine Tür zu öffnen. Eine Tür, hinter der eine Welt liegt, wo jeder er selbst sein kann."
"Warum hast du den anderen Jungs nie gesagt, dass du Schwul bist?"
Die Frage überraschte mich. Louis und ich hatten noch nie darüber geredet. Über ein Outing meinerseits. Ich wusste, dass es ihn interessierte, aber er hatte nie gefragt. Bis jetzt.
Ich seufzte, mein Hals schnürte sich zu. "Mir wurde es verboten. Ich hätte es nicht mal dir sagen dürfen. Lena meinte- Sie meinte es würde den Bandfrieden stören und dass mein Interesse an Jungs, nichts ernsthaftes wäre. Wahrscheinlich denkt sie, dass jedes bisschen Queerheit aus meinem Geist verschwunden war, nachdem sie mich aufforderte den Raum zu verlassen."
"Das ist doch Bullshit. Wieso sollte ein Outing den Frieden in der Band belasten?"
"Ich weiß es nicht Louis."
"Und warum sagst du es ihnen dann nicht?" Wieder trank mein bester Freund einen großen Schluck aus seiner Flasche.
"So einfach ist das nicht."

Keiner sagte etwas und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Ich konzentrierte mich auf den Schmerz, der plötzlich in meiner Brust saß, während ich mich an das Gespräch zwischen Lena und mir vor einem Jahr erinnerte. An ihr schockiertes Gesicht, als wäre das, was ich ihr sagte, ein fürchterlicher Fehler in ihrem System und in ihrem Plan für die Band. Als wäre ich der Fehler.

„Weißt du was Harry? Scheiß drauf." Louis trank alles aus. „Wir haben miteinander geschlafen. Vor nem halben Jahr. In diesem Bett. Betrunken", ließ er die Bombe platzen.
„Was?!"

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Das Thema dieses Kapitels ist mir absolut wichtig. In meinen Augen sollten wir alle ein bisschen mehr wir selbst sein und andere sie selbst sein lassen. Wieso bewerten wir ständig das Verhalten anderer? Wieso stempeln wir Menschen ab? Pick me, Schwuchtel, Idiot, Hure... Hinter all den Menschen, die derart betitelt werden, stecken Menschen. Menschen mit Problemen, Ängsten, Träumen und Hoffnungen. Sie benehmen sich möglicher Weise nicht den gesellschaftlichen Normen entsprechend, aber was ich daran schlimm für uns? Wieso fühlen wir uns davon angegriffen, dass jemand anderes lebt? Wir alle können immer weiter daran arbeiten, tolerant zu sein und zu akzeptieren. Jeder hat doch das Recht, sein Leben zu leben. 
Ich wünsche euch eine schöne Zeit
xoxo Joy.

hidden pain and sweet taboos | L.SWo Geschichten leben. Entdecke jetzt